Uli Burchardt ist eher der präsidiale Typ. Der Oberbürgermeister von Konstanz beherrscht den Überblick, und so ordnet er beim Bürgerdialog im Bodenseeforum die Dinge ins große Ganze ein. Der Klimawandel, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine – das sind die Probleme der Zeit und bei deren Bewältigung verortet er die Stadt im kommunalen Wettbewerb ganz weit vorne. Schätzungsweise 100 Besucher hören am Mittwochabend, 9. November, die Rede des OB, und innerhalb von 55 Minuten schwellt den Zuhörern unversehens die Brust.

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Und kann man denn nicht zu recht mächtig stolz sein? Mit dem jüngst verliehenen European Energy Award in Gold spielt Konstanz ganz oben in der Landesliga der Klimaschützer. Nur Ulm, Tübingen und Ludwigsburg können mithalten. Oder Corona: „Das haben wir alle gut gemacht“, sagt Uli Burchardt mit Verweis auf die erfolgreichen Appelle an Vernunft und Rücksichtnahme – und so solle es auch im bevorstehenden Herbst und Winter bleiben. Schließlich der Krieg und seine Folgen. 2015 und danach habe Konstanz die zugewiesene Zahl an Flüchtlingen nicht unterbringen können, aber jetzt werde dafür die Quote übererfüllt.

Gut im Umarmen: OB Burchardt ist voll des Lobes über das seiner Ansicht nach in Konstanz ausgeprägte Wir-Gefühl.
Gut im Umarmen: OB Burchardt ist voll des Lobes über das seiner Ansicht nach in Konstanz ausgeprägte Wir-Gefühl. | Bild: Hanser, Oliver

Immer wieder spielt Uli Burchardt dabei die Rolle der Stadtverwaltung herunter, ihm kommt es auf das „Wir“ an. Für ihn, sagt er, sind es die Menschen, die Konstanz nach vorne bringen, die Helfer der Initiative Raumteiler zum Beispiel. Geschickt baut er in seine Rhetorik einzelne Verdienste ein, wie etwa die Beheizung des Bodenseeforums. Die kuschlige Raumtemperatur sei unter anderem der optimierten Nutzung der Köpertemperatur zu verdanken. Wie genau das funktioniere, wisse er auch nicht – womit er sein Marketingziel für das Haus in Sachen Energie und Technik bereits erreicht hat.

Zu diesem Dunstkreis passt der Blick in die Bücher. Seit 2012, also seit seinem Amtsantritt, waren‘s für die Stadt finanziell gute Jahre, so Uli Burchardt. Er verweist dabei auf die Entwicklung der Eigenkapitalquoten bei der Stadt, der Wohnbaugesellschaft Wobak und den Stadtwerken. Sie weisen ein Plus zwischen 20 und 100 Prozent aus und belaufen sich summa summarum auf 157 Millionen Euro. Die aktuelle Verschuldung von 20 Millionen Euro wirkt dagegen wie ein Klacks, zumal die Stadt vor zehn Jahren mit 30 Millionen Euro in der Kreide stand.

Hohe Kosten für die Stadt

Derart ins Gute eingetütet kann der OB beim Ausblick auf die psychologisch geschickt installierte Solidarität der Besucher setzen. Denn eine harte Zeit steht bevor: Allein auf 20 Millionen Euro pro Jahr beläuft sich der Finanzbedarf für die Sanierung von Kitas, am neuen Berufsschulzentrum wird sich die Stadt mit mindestens 40 Millionen Euro beteiligen müssen und beim Verlust für den Klinikverbund ist Konstanz aktuell mit rund 7 Millionen Euro pro Jahr dabei. Gleichzeitig sollen in den nächsten zehn Jahren 150 Millionen Euro für den Klimaschutz ausgegeben werden – und damit sind nur die gröbsten Posten benannt.

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Also muss bei den städtischen Leistungen gespart werden (6 Millionen pro Jahr) und auf der anderen Seite soll mehr in die Kasse kommen (9 Millionen Euro pro Jahr). Uli Burchardt sagt politische Diskussionen voraus, vielleicht auch mal Streit, aber bei keinem der absehbaren Konflikte hat er Zweifel, „dass wir das hinbekommen“. Denn wenn es drauf ankommen, stehe die Stadtgesellschaft zusammen. Jeder werde eine Last tragen müssen, wobei er vor allem diejenigen nicht aus dem Blick verlieren wolle, die dazu nicht imstande seien.

Dafür plant er vor dem Hintergrund steigender Energiepreise beispielsweise einen städtischen Hilfsfonds in Höhe von 100.000 Euro, über den jene unterstützt werden sollen, die durchs Raster der bundes- und landesweit aufgelegten Hilfen fallen. Der OB gibt sich zuversichtlich, dass auf solche Solidarität auch beim Gemeinderat gesetzt werden kann – wie überhaupt die Wahlergebnisse in Konstanz ein Ausweis für den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft darstellen.

Den Duktus einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rhetorik behält Uli Burchardt in der anschließenden etwa 45-minütigen Diskussionsrunde bei. Festlegen lässt er sich dabei nicht, etwa als der seit vielen Jahren schwelende Konflikt der Mittelverwendung von Sport und Vereinen auf der einen, Kultur auf der anderen Seite zur Sprache kommt. Die Verwaltung sei sich dessen bewusst, man müsse abwägen und am Ende fair bleiben. Genaueres sei Sache des Gemeinderats und für den könne der OB im Vorfeld der politischen Diskussion nicht sprechen.

Abrutschen in den Eiertanz

Die präsidiale Kunst des Uli Burchardt rutscht an solchen Stellen in die Nähe des Eiertanzes – etwa wenn er sich beim Sparkurs gegen die Schließung von Einrichtungen ausspricht, gleichzeitig aber mit Verweis auf die durch das Schwaketenbad ausgeweiteten Wasserflächen das Seerhein-Hallenbad als verzichtbar einstuft. Gleichzeitig sieht er sich nicht als Freund der Rasenmäher-Methode, legt Wert auf die Spezifizierung. Im Sozialbereich etwa sieht er kaum Möglichkeiten für Streichungen.

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Für das zuvor erzeugte Wir-Gefühl haben die Besucher somit am Ende den Preis hoher Ungenauigkeit zu begleichen. Das Tausendstel Deutschland, das Konstanz durch seine Größe laut Uli Burchardt repräsentiert, soll in seiner Mentalität samt seiner Infrastruktur so gut bleiben wie es ist, aber eben ohne dies und das. Genaueres sei politisch zu entscheiden, und der OB gibt sich zuversichtlich, dass der Gemeinderat es schon richten wird. Das bleibt im Ungefähren und diese Glaubensfrage diskutieren die Besucher im Anschluss im Foyer bei einem Bier, Saft, einem Wässerchen und halben Butterbretzeln.