Vor etwas mehr als zwei Wochen wurde der neue Bundeskanzler Olaf Scholz vereidigt – mit einem Unterschied zu all seinen Vorgängern. Er ist der erste Bundeskanzler Deutschlands, der bei seinem Amtsantritt auf Gottes Beistand verzichtet hat.

Der Satz, „So wahr mir Gott helfe“, suchte man in seinem Eid vergeblich. Betrachtet man die aktuelle Mitgliederentwicklung der christlichen Gemeinden in Deutschland, scheint es wohl nur eine Frage der Zeit gewesen zu sein, bis ein Kanzler ohne Gottes Hilfe sein Amt antreten würde. Auch in der ehemaligen Bischofsstadt Konstanz gibt es diese Entwicklung.

Die Konstanzer Katholiken sind nicht mehr in der Mehrheit

In den vergangenen 20 Jahren nahmen die Mitgliederzahlen evangelischen und römisch-katholischen Gemeinden sukzessive ab. Noch vor zehn Jahren gab es mehr Katholiken in Konstanz als Konfessionslose und Mitglieder anderer Religionen oder christlicher Konfessionen zusammen – evangelische Christen ausgenommen. Nur zwei Jahre später, im Jahr 2013, änderte sich das. Neu machten die Gruppe der Konfessionslosen und Sonstigen 38,8 Prozent aus, Katholiken 37,9 Prozent und evangelische Christen 23,3 Prozent.

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Bis heute setzt sich dieser Trend fort, die Mitglieder der christlichen Konfessionen werden immer weniger. Mittlerweile gehören in der Konzilstadt laut Zahlen der Stadtverwaltung 47 Prozent zur Gruppe „Sonstige, konfessionslos“. 33 Prozent sind Mitglied der katholischen Kirche, 20 Prozent sind evangelisch (Stand Dezember 2020). Die Katholiken müssen den Nicht-Christen also immer weiter weichen.

Auch Konstanz kann sich nicht gegen den Zeitgeist wehren

Mit einem Anteil von 33 Prozent Katholiken liegt Konstanz immerhin noch über dem bundesweiten Schnitt von knapp 27 Prozent. Trotzdem laufen auch den Kirchen in der katholisch geprägten Stadt die Mitglieder davon. Bernhard Rigling ist Konstanzer und pensionierter katholischer Pfarrer. Auch ihm ist diese Entwicklung nicht entgangen.

„Ich denke, das ist einmal der Zeitgeist. Das Thema Kirche und Glaube ist eine schwierige Sache geworden“, sagt er. Rigling wuchs in der Konstanzer Altstadt auf und als er ein Kind war, gehörte die Kirche einfach dazu – anders als heute. Das Interesse der Jugend am christlichen Glauben schwinde, so der ehemalige Pfarrer.

Bernhard Rigling ist pensionierter Pfarrer aus Konstanz und lebt in Allensbach, wo er einmal die Woche Messen abhält.
Bernhard Rigling ist pensionierter Pfarrer aus Konstanz und lebt in Allensbach, wo er einmal die Woche Messen abhält. | Bild: Esteban Waid

Ähnlich sieht das auch Dieter Kaiser. Er ist Humanist, aktiv bei der humanistischen und aufklärerischen Giordano Bruno Stiftung (GBS) Bodensee, und steht damit sozusagen am anderen Ende der Glaubens-Skala. Er und Rigling meinen beide, dass die Skandale um sexuellen Missbrauch in der Kirche zwar ein Grund für die Austritte seien, aber bei Weitem nicht der einzige.

„Die rasante Zunahme der Kirchenausritte liegt nicht nur an den sexuellen Übergriffen, die gibt es auch in konfessionsfreien Familien. Das kann man nicht nur den Kirchenleuten anhängen. Und es liegt auch nicht an der Kirchensteuer. Die Jugend kann mit Gott einfach nichts mehr anfangen“, sagt Kaiser.

Universitäts- und Bischofsstadt: Geht das zusammen?

Dass junge Menschen kein Interesse mehr an der Kirche hätten, hat für Kaiser vor allem einen wichtigen Grund: Die heutige Jugend sei viel näher an der Wissenschaft, als es früher der Fall war. Was bedeutet das für eine Stadt wie Konstanz, die sich selbst als Universitätsstadt bezeichnet? „Wissenschaft und der Glaube an Gott widersprechen sich nicht generell, aber in vielen Punkten“, so Kaiser.

Dieter Kaiser, Pressesprecher von der Giordano Bruno Stiftung Bodensee GBS-Bodensee e. V.
Dieter Kaiser, Pressesprecher von der Giordano Bruno Stiftung Bodensee GBS-Bodensee e. V. | Bild: Esteban Waid

Auch der ehemalige Pfarrer Rigling kann sich vorstellen, dass ein Bekenntnis zur Kirche in einer Universitätsstadt wie Konstanz schwieriger ist. Was den Glauben angeht, sei Konstanz aber schon immer anders gewesen, hier sei man schon früher sehr liberal gewesen. „Es war klar, man gehörte zur Kirche und es war klar, dass man liberal war. Das hat in Konstanz schon immer zusammengepasst, finde ich“, so Rigling.

Eine „Frömmelei“, also ein „So tun als ob“, was den Glauben betrifft, habe er in Konstanz selten beobachtet. So sei auch die Auseinandersetzung mit dem Vatikan immer eine andere gewesen. Gerade die Nähe zur Schweiz, die immer wieder ein schwieriges Verhältnis zum Vatikan gehabt habe, hat den Alemannischen Raum laut Rigling geprägt.

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Dass sie sich verändern muss, das sieht auch Rigling. Die Kirche sei zu oft mit sich selbst beschäftigt. Wichtige Veränderungen blieben da auf der Strecke. „Die Zeiten, wo die Kirche für sich steht, sind vorbei“, so Rigling. Sie müsse auch mal Stellung zu großen Themen wie dem Klimawandel beziehen.

Humanist Kaiser: „Die Kirchen haben zu große Macht“

Auf der anderen Seite steht Dieter Kaiser, der sich genau die Kritik an der Kirche gemeinsam der Giordano Bruno Stiftung zur Aufgabe gemacht hat. „Viele Leute meinen, wir Humanisten wollten die Religion aus der Gesellschaft verbannen. Das ist durchaus nicht so. Wir wollen aufklären, wenn es irgendwo Missstände gibt, deren Ursachen in der Macht der Kirche liegen“, so Kaiser.

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Das Problem liege also nicht im Glauben, sondern in den Strukturen der Kirche selbst. Sie habe zu viel Macht, so Kaiser. Zusätzlich sei die Unterstützung vonseiten des Staates inakzeptabel.

Wie katholisch ist Konstanz noch?

Dass die Kirche zumindest einmal viel Macht hatte, zeigt sich allem am Konstanzer Stadtbild. Münster, Konzil, Kirchen und diverse andere Gebäude. Aber auch über Bauten hinaus prägt das katholische Erbe die Stadt und die Region: „Es gibt Dinge. Aber da muss ich dann schon nach den Spuren suchen. Das Konradifest hat einen Namen über den Konstanzer Raum hinaus“, erklärt Rigling.

Auf der anderen Seite übt ein Wahrzeichen der Stadt, die Imperia, offen Kritik an der Kirche. Eine Kurtisane, die Kirchenmännern den Kopf verdreht haben soll, und einen Gaukler in Kirchenkleidung auf der Hand trägt. Auch ihre Errichtung 1993 für Protest gesorgt hatte – heute ist sie nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken. Ebenso wenig wie das Konzilgebäude, das wenige Meter von der Imperia entfernt befindet.

Imperia, Konzil und Kirchturm. Religion prägt das Konstanzer Stadtbild.
Imperia, Konzil und Kirchturm. Religion prägt das Konstanzer Stadtbild. | Bild: Marc Kunze - Fotolia/SK-Archiv

Es gibt also noch beide Seiten in der ehemaligen Bischofsstadt. Religion auf der einen, Aufklärung auf der anderen Seite. Ein Ende des Mitgliederschwunds sehen im Moment aber weder der Humanist Kaiser noch der ehemalige Pfarrer Rigling kommen. „Die Kirche muss damit leben, dass es im Moment keinen Bedarf gibt“, so Rigling.