Carla* [*Name von der Redaktion geändert] ist 27 Jahre alt und suchtkrank. Am Ufer des Seerheins erzählt beim Treffen mit dem SÜDKURIER sie von ihrer Krankheit – und wie sie es geschafft hat, nicht mehr zu trinken.

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Carla erzählt...

Mit dem Wort Alkoholikerin kann ich nicht viel anfangen. Da stellt man sich keine 27-jährige Erzieherin vor. Wirklich schief gegangen ist es bei mir im ersten Corona-Lockdown 2020. Ich war nicht glücklich in meinem Beruf, die Arbeit mit Kindern ist zwar schön, aber ich habe nie gesagt: „Yeah, das ist es.“ Ich habe dann gekündigt und wollte eine Ausbildung zur Köchin machen. Und dann kam der Lockdown, der Job war weg, die Gastro zu, und ich hatte plötzlich gar nichts mehr.

Ich habe nur noch getrunken. Morgens, mittags, abends, nachts. Ich habe die erste Flasche Wein vor dem Essen getrunken. Das wirkt schneller und besser. Es war ein schönes Gefühl, wenn ich gemerkt habe, jetzt kommts, jetzt kribbelts, alles ist ein bisschen betäubt und wie in Watte. Nicht fühlen zu müssen, das war schön. Und abends wollte ich einen Blackout haben und einfach einschlafen.

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Ich war Pegeltrinkerin. Ich bin nie auf Null Promille runter, habe immer drauf getrunken. Geschlafen, abgebaut und drauf getrunken. Zwei Promille werde ich wohl durchgehend gehabt haben.

Irgendwann habe ich gemerkt: Ich muss was machen. Sonst überlebe ich das nicht. Ich hatte Unfälle in meiner Wohnung. Ich bin in Scherben getreten. Ich hatte eine Platzwunde am Kinn und wusste nicht warum. Ich bin in meinem Bett aufgewacht und alles war voller Blut. Ich hatte leichte Psychosen, ich dachte dauernd, meine Haare seien nass.

„Es ist kein einfacher Weg, aus der Sucht zu kommen. Ich hatte viele Rückfälle.“
Carla* (27)

Ich habe mich dann selbst in die Psychiatrie eingewiesen. Und sie haben erstmal einen Alkoholtest gemacht – ich hatte 4,8 Promille. Dann war klar, dass ich auf die Intensivstation muss. Und dort habe ich das erste Mal entzogen. Es ist kein einfacher Weg, aus der Sucht zu kommen. Ich hatte viele Rückfälle. Ich war fünfmal in der Tagesklinik und hatte einige stationäre Aufenthalte – so bin ich auch nach Konstanz gekommen.

Aber jeder Rückfall war wichtig, weil ich daraus gelernt habe. Ich musste mir beweisen: Ich kann nicht trinken, ich werd‘s nie im Griff haben, ich komme immer wieder an den gleichen Punkt. Und dazu musste ich ein paar Mal hinfallen. Und ich musste lernen, Verantwortung zu übernehmen. Es gibt keinen Grund, der rechtfertigt, dass ich wieder trinke.

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Ich bin jetzt seit einem Jahr und sechs Monaten abstinent. Die Suchtberatung in Konstanz und die Mitarbeiter in den Kliniken haben mir wahnsinnig geholfen und ich bin ihnen sehr dankbar. Am Anfang habe ich noch die Tage gezählt, jetzt nicht mehr. Aber ich freue mich immer noch.

Wenn ich Stress habe, dann kommt schon noch der Gedanke, dass es schön wäre, einfach abschalten zu können. Ich habe einen Selbstzerstörungsknopf, den kann ich einfach drücken und alles kaputt machen. Aber auch wenn es mir gut geht, denke ich manchmal: Ach komm, vielleicht würde es ja gut gehen.

„So wie ich heute bin, bin ich nur, weil ich das alles durchgemacht habe.“
Carla* (27)

Ich habe immer gewusst, dass etwas mit meinem Kopf nicht stimmt. Ich habe früh gemerkt, dass Alkohol meinen Kopf zur Ruhe bringt. Zwar habe ich vor dem Lockdown nie tagsüber getrunken, aber ich habe mich schon jeden Tag darauf gefreut, abends zu trinken. Und an den Wochenenden habe ich mich abgeschossen, bis ich nichts mehr gefühlt habe.

Ich hatte eigentlich Angst vor Drogen, weil mein Onkel suchtkrank ist. Aber bei Alkohol habe ich immer gedacht, da passiert so schnell nichts. Als klar war, dass das nicht mehr geht, habe ich gekifft. Sechs Monate lang. Es hat mir aber nie gegeben, was ich eigentlich wollte. Es war nie das Gleiche wie Alkohol. Aber ich war dann nochmal in der Tagesklinik, um auch damit aufzuhören.

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Vor fünf Monaten hat man herausgefunden, dass ich ADHS habe. Also, dass ich wirklich zu viele Gedanken habe. Als ich das erste Mal Medikamente bekommen habe, dachte ich: Krass, so ist es, nur einen Gedanken zu haben. Es war ein langer Weg bis zur Diagnose.

Kurz habe ich getrauert. Vielleicht wäre vieles nicht passiert, wenn ich das früher gewusst hätte. Aber es ändert nichts. Ich habe viel über mich gelernt. Und ich würde es, glaube ich, nicht anders machen wollen. So wie ich heute bin, bin ich nur, weil ich das alles durchgemacht habe.

Chillen, Party, Sucht – die Serie

Dieser Text ist Teil von „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen“, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In der nächsten Folge lesen Sie auf SÜDKURIER Online: Es ist ganz einfach, an Drogen zu kommen. Eine Dealerin, die selbst auch konsumiert, erzählt.