Vanessa Schätzle setzt sich die VR-Brille auf und die Probefahrt geht los. Virtuell hat sie auf dem Beifahrersitz eines Mercedes-Oldtimers Platz genommen und lässt sich durch die täuschend echte Digitalwelt der Virtual Reality (VR) chauffieren. Blick nach links oben: der Rückspiegel. Kopf nach hinten gedreht: die Sicht durch die Heckscheibe. Und als der Fahrer das Auto flott wendet, schwankt sie selbst ein wenig an ihrem Standplatz.

Lucas Beyer hält unterdessen sein Tablet in der Hand, richtet die Kamera auf eine Wand und platziert dort zum Test mal Kuckucksuhren. Lieber ganz klassisch oder doch ein bisschen moderner? Wie groß soll sie sein? Und gibt es vielleicht doch einen noch besseren Platz in der Wohnung für dieses schwarzwaldtypische Wohnaccessoire? Die eigens für diesen Zweck programmierte App zeigt es ihm.

Schätzle und Beyer öffnen an diesem Abend in Konstanz ein besonderes Schaufenster – es führt in das, was die Zukunft des Handels sein könnte. Und noch eine dritte Lösung können die beiden Studierenden der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) präsentieren. Eine App, mit der Kunden im Laden den Sportschuh eines bekannten Herstellers fotografieren und dabei auch Farben auswählen können, die im Geschäft nicht vorrätig sind. Das Programm verrät, bei welchen anderen Händler in der Nähe sie das begehrte Objekt direkt erwerben können.

Das könnte Sie auch interessieren

Drei Antworten auf eine ganze Reihe von Herausforderungen, sagen die beiden Studierenden, die sich bei der Initiative UIH! engagieren. Das steht für „Urban Innovation Hub“, und der Zusatzname Zukunftslabor Konstanz zeigt: Hier geht es um Neuerungen für Innenstädte. Ganz konkret für den stationären Handel.

Der muss sich nicht nur gegen immer mächtigere Internet-Konkurrenz wie Amazon, Zalando oder neue chinesische Anbieter wie Temu behaupten, sondern auch mit dem Fachkräftemangel klarkommen. Das sagt Peter Spindler, der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes.

Szenario: „Der Handel verschläft die Zukunft“

Spindler ist einer der Redner an dem Abend, an dem zukunftsweisende Ideen präsentiert werden. Der Handelsverband Südbaden hat zum Konzilgespräch nach Konstanz geladen und eine Referentin gewonnen, die dem Handel schonungslos klarmacht, welche Szenarien ihm bevorstehen können.

Unter anderem präsentiert Hanna Rammig von der Beratungsgesellschaft Scenario Management International: „Der Handel verschläft die Zukunft“ oder auch „automatisierter Hochleistungshandel“, in dem die Kunden per Roboter aus einem Hochregallager bedient werden und an der Kasse ihre Waren selbst scannen.

Gesprächspartner zur Zukunft des Handels: Sara und Thomas Weisser vom „Haus der 1000 Uhren“ in Triberg im Schwarzwald, Hanna Rammig von ...
Gesprächspartner zur Zukunft des Handels: Sara und Thomas Weisser vom „Haus der 1000 Uhren“ in Triberg im Schwarzwald, Hanna Rammig von der Wirtschaftsberatung ScMI und der Moderator, SÜDKURIER-Redakteur Walther Rosenberger (von rechts). | Bild: Rau, Jörg-Peter

Beides muss so nicht eintreffen, aber dass sich viel ändern wird, ist ausgerechnet zwei Menschen an diesem Abend klar, die so ziemlich das traditionellste Produkt verkaufen, das man sich vorstellen kann: die Kuckucksuhr. Thomas und Sara Weisser arbeiten in ihrem Familienbetrieb zusammen, dem „Haus der 1000 Uhren“ in Triberg im Schwarzwald.

Sie haben für ihre Kunden die App programmieren lassen, mit der sie ihren Kauf vorab in ihren eigenen vier Wänden ausprobieren können. Und sie tüfteln längst an einer smarten Kuckucksuhr, über die sie mit ihren Kunden auch nach dem Verkauf in Verbindung bleiben.

Das könnte Sie auch interessieren

Wie sieht der Handel der Zukunft aus?

Wie wird er nun also, der Handel der Zukunft, für die Kunden wie auch für die Mitarbeitenden? Das fragt bei einer Podiumsrunde der SÜDKURIER-Wirtschaftschef Walther Rosenberger die beiden Weissers ebenso wie die Expertin und Beraterin Rammig. „Immersiv“, sagt Rammig: Digital und Analog im Laden verschränkt, über Bildschirme, VR-Brillen und Assistenten, die mit künstlicher Intelligenz einen Teil der Beratung leisten.

Und wo an der entscheidenden Stelle Empathie und Emotionen, wie sie nur Menschen ausstrahlen können, den Unterschied machen. „Anders“, ist sich Thomas Weisser sicher. Hätte er einfach das Geschäft so weitergeführt, das sein Vater über 30 Jahre groß und erfolgreich gemacht hätte, existierte es womöglich gar nicht mehr.

Das könnte Sie auch interessieren

Den Unterschied machen die Menschen

Für die beiden HTWG-Studierenden ist unterdessen klar, dass sich nur zum Einkaufen in die Stadt bemühen wird, wer dort einen Mehrwert erlebt. Und den, sind auch sie sich sicher, schaffen die Menschen, zum Beispiel Verkäuferinnen und Verkäufer. Deshalb glauben sie auch nicht, dass allein die VR-Brille über den Autokauf oder die neue Wohnungseinrichtung entscheiden wird.

„Aber in ganz vielen Prozessen“, ist sich Vanessa Schätzle sicher, „wird digitale Technik mit Künstlicher Intelligenz eine entscheidende Rolle spielen“. Auch Verbandspräsident Spindler ist sich sicher, dass es ohne Innovationen nicht geht. Die aber, mahnt er, braucht Geld. Und das ausgerechnet jetzt, wo für den Handel die fetten Jahre erst einmal vorbei zu sein scheinen.