So voll war der Sitzungssaal 107 im Amtsgericht Konstanz auf der Unteren Laube wohl schon lange nicht mehr. Denn der Angeklagte wurde von einem Großteil seiner Familie begleitet. Einer seiner Brüder und sein Vater nahmen neben ihm auf der Anklagebank Platz. Zwei weitere Brüder wohnten dem Prozess als Zuschauer bei.
Verhandelt wurde an jenem Tag unter anderem wegen Raubes. Doch im Laufe der Verhandlung kam es dann ganz anders, und weitere Straftaten des Angeklagten entwickelten sich zum tragischen Mittelpunkt des Prozesses.
Die Vorwürfe vor Gericht
So wurde dem kokainabhängigen Angeklagten vorgeworfen, gemeinsam mit seinem Vater und seinem jüngsten Bruder, in seiner alten Wohnung in Konstanz einen anderen Mann geschlagen und getreten sowie ausgeraubt zu haben.
Dabei sollen die drei Angeklagten dem mutmaßlichen Opfer etwa 1000 Euro sowie das Handy abgenommen haben. Das mutmaßliche Opfer habe Schmerzen, Prellungen und Hämatome davongetragen. Alle drei mutmaßlichen Täter waren deshalb der gefährlichen Körperverletzung und wegen Raubes angeklagt.
Darüber hinaus wurden dem 30-Jährigen weitere Straftaten im Zusammenhang mit seiner Ex-Frau vorgeworfen. So soll er seine ehemalige Partnerin und Mutter seiner Kinder Ende 2019 in der Wohnung ihrer Eltern gewürgt haben, bis diese ohnmächtig wurde. Er soll sie außerdem verprügelt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.
Fast ein Jahr später soll er seine Ex-Frau beleidigt haben und sie erneut körperlich angegangen sein. Die beiden lebten inzwischen bereits mehrere Monate getrennt. Er soll an jenem Tag außerdem auf der Fürstenbergstraße mit dem Fahrzeug seines ehemaligen Schwiegervaters einen Unfall gehabt haben, als er über eine rote Ampel gefahren sein soll. Das Ganze ohne Fahrerlaubnis und unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Mit im Auto: seine schwangere Ex-Frau.
Der letzte Anklagepunkt: Er soll einen Notruf bei der Polizei abgesetzt haben, in dem er schilderte, wie er seine Ex-Frau dabei beobachtet habe, ihre Kinder entführt zu haben. Er habe damit ein Ermittlungsverfahren gegen die 30-Jährige erreichen wollen, so der Vorwurf. Aufgrund dieser Taten war der bereits vorbestrafte Angeklagte wegen Nötigung, Körperverletzung, falscher Verdächtigung mit Missbrauch von Notrufen und Fahren ohne Fahrerlaubnis angeklagt.
Angeklagter räumt die meisten Taten ein
So umfassend die Anklageschrift, so kurz die Befragung des 30-Jährigen. Der Angeklagte räumte durch eine Erklärung seines Verteidigers die meisten der Taten zu weiten Teilen ein. Allerdings sei er bei dem Raubdelikt nicht direkt beteiligt gewesen, sondern lediglich anwesend gewesen sein. Das konnte zunächst jedoch nicht bestätigt werden, weil sowohl sein jüngster Bruder als auch sein Vater zu der Angelegenheit keine Angaben machten.
Jedoch konnte das mutmaßliche Opfer der Tat, der erste Zeuge im Prozess, ein wenig Licht ins Dunkel darüber bringen, was in jener Nacht geschehen war. Der Zeuge sprach nur gebrochen Deutsch, weshalb eine Dolmetscherin seine Angaben übersetzte.
Er schilderte die Tat vom 16. November 2020 folgendermaßen: Die Körperverletzung gegen ihn sei hauptsächlich vom Vater und dem Bruder des Angeklagten ausgegangen. Die beiden hätten außerdem den 30-Jährigen, der nun auf der Anklagebank saß, davon abgehalten, selbst auf das Opfer loszugehen.
Dem vorangegangen war wohl ein Streit um Geld. So soll der Zeuge wohl der Dealer des 30-Jährigen gewesen sein, abschließend konnte dies jedoch nicht festgestellt werden. Sicher sei jedoch, dass Vater und Bruder eine höhere Geldsumme und das Smartphone des Opfers erbeuteten. Als sie von ihm abließen, und er die Wohnung verließ, forderten sie nochmals Geld von ihm. Erst wenn er dieses aushändige, würde er sein Handy zurück bekommen.
Später hatte der Mann dann die Taten bei der Polizei angezeigt. Während der Befragung verhedderte sich der Zeuge selbst jedoch in eine Reihe von Widersprüchen, wie die vorsitzende Richterin mehrmals anmerkte. Was genau zwischen den vier Männern vorgefallen war, blieb in der ersten Sitzung des Prozesses noch nicht abschließend geklärt.
Ex-Partnerin legt Familiendrama offen
Der zweite Komplex in der Verhandlung drehte sich um die Taten, die der 30-Jährige im Zusammenhang mit seiner Ex-Frau begangen haben soll. Die Konstanzerin war selbst Nebenklägerin und Zeugin im Prozess, sagte also selbst zu den Taten aus. Sie schilderte die Vorkommnisse so, wie sie auch der Anklageschrift zu entnehmen waren.
Währenddessen würdigte sie den 30-Jährigen keines Blickes. Verantwortlich für seine Aggressionen gegenüber ihr machte sie vor allem seine langjährige Kokainsucht. „Wenn er vom Kokain runterkommt, dann muss man rennen“, sagte sie vor Gericht.
Die Folgen seiner mutmaßlichen Taten gegen sie: Panikattacken, Depressionen, Angststörungen. Ihre Kinder würden leiden, genauso wie ihre Eltern. „Ich muss jeden Tag kämpfen, um meinen Kindern nicht zu zeigen wie kaputt ich bin“, sagt sie vor Gericht.
Mehrmals während der Befragung war die junge Frau den Tränen nahe, während sie von Aufenthalten in Frauenhäusern und dem Versteckspiel vor ihrem Ex-Mann berichtete. Ihre Mutter, die ebenfalls als Zeugin geladen war, bestätigte ihre Aussagen auf dem Zeugenstuhl. Auch mehrere, in die verschiedenen Delikte involvierte Polizisten sagten vor Gericht zu den Anklagepunkten aus.
Zu einem raschen Urteil kam es vor dem Amtsgericht Konstanz nicht, zu komplex war der Fall: Es wurde ein zweiter Termin für Freitag, 24. Juni, angesetzt. Dann soll die Beweisführung abgeschlossen und ein Urteil verkündet werden. Bis dahin bleiben noch viele Fragen unbeantwortet. Welche Abgründe der zweite Gerichtstermin zu Tage fördert, bleibt offen. Es gilt die Unschuldsvermutung.