Es ist ein besonderer Prozess vor dem Amtsgericht Konstanz, der in einer Schöffensitzung über neun Stunden verhandelt wird. Denn der Angeklagte ist unter den Konstanzer Polizeibeamten berühmt und berüchtigt, lieferte er sich doch mit den Beamten vor seiner Verhaftung eine zweistündige Verfolgungsjagd über die Höri – wobei er unter anderem mit einem Helikopter und einer Drohne gesucht und letztlich in der Gemeinde Moos geschnappt wurde. Nun sitzt der 52-Jährige, der sich gegenwärtig in Haft befindet, erneut auf dem heißen Stuhl vor dem Gericht und muss sich wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei verantworten.

Die Verlesung der Anklageschrift dauert mehr als zehn Minuten. Sie führt 23 mutmaßliche Delikte auf, die der Angeklagte zwischen März und Juli vergangenen Jahres begangen haben soll. Bei den meisten Fällen handelt es sich um Diebstahl, doch es gibt auch Anklagepunkte, die sich mit Delikten wie versuchtem Diebstahl, versuchter Körperverletzung, Computerbetrug, gewerbsmäßiger Hehlerei und Sachbeschädigung beschäftigen. Besonders fixiert ist der Angeklagte bei seinen Diebstählen auf Bargeld und Fahrräder.

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Mit einem bestimmten Vorgehen ist der Angeklagte bei der Polizei bereits bekannt. Er manipuliert in Gaststätten die Waschbecken, sodass diese überlaufen. Danach ruft er einen Angestellten oder den Gastronom herbei, der sich um den vermeintlichen Defekt kümmern solle. Wenn dieser beschäftigt ist, räumt der 52-Jährige den Serviergeldbeutel der Person aus und verschwindet aus der Gaststätte.

So geschehen in diversen Wirtschaften in Konstanz, aber auch in anderen Städten wie Radolfzell und Tuttlingen. Ein ermittelnder Polizist, der als Zeuge aussagt, bezeichnet die Toilettenmanipulation als die „Spezialität“ des Angeklagten. Insgesamt soll er dabei, und bei anderen Diebstählen beispielsweise von Handtaschen und Geldbeuteln von Privatpersonen, innerhalb von vier Monaten im Jahr 2021 mehr als 5000 Euro erbeutet haben.

Langes Vorstrafenregister

Der 52-Jährige ist kein unbeschriebenes Blatt, musste er sich in der Vergangenheit doch bereits vor mehreren Gerichten in Baden-Württemberg, unter anderem in Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe verantworten. Die Liste seiner Vorstrafen ist lang, das Bundeszentralregister enthält 29 Eintragungen.

Der Angeklagte war bereits unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Körperverletzung, Hehlerei, schwerem Raub mit gefährlicher Körperverletzung, Diebstahl, räuberischem Diebstahl, Erschleichung von Leistungen, Betrug, Urkundenfälschung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Unterschlagung, Erwerb, Handel und Besitz von Betäubungsmitteln, Sachbeschädigung, Beleidigung und Computerbetrug angeklagt.

Er saß 15 seiner Lebensjahre hinter Gittern, das erste Mal laut eigenen Aussagen bereits im Alter von 19. Auch gegenwärtig sitzt er sich im Gefängnis, er wurde im vergangenen Mai zu einer Haftstraße von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Er arbeitet dort im Vollzug – das sei ihm wichtig und gebe ihm Normalität. Grund dafür sind wohl auch seine Gerichtsschulden, die er auf 7000 oder 8000 Euro beziffert. Das sind zumindest jene Schulden, von denen er weiß, sagt er.

Schnell ist in dem Verfahren klar: Ja, der Angeklagte hat die allermeisten der ihm zur Last gelegten Taten auch begangen. So räumt der 52-Jährige viele der Vorwürfe vor Gericht ein. „Es gibt nichts zu beschönigen“, so der Angeklagte. Lediglich bei einigen Anklagepunkten bestreitet er die Tat oder will sich nicht daran erinnern. Dennoch: „Im Großen und Ganzen ist das meine Handschrift“, sagt der 52-Jährige. Die meisten Taten können ihm durch Beweismittel wie Video- oder Fotoaufnahmen, durch Zeugenaussagen, DNA-Spuren am Tatort oder Gegenüberstellungen ohnehin nachgewiesen werden.

„Ich habe gezockt, Alkohol getrunken, gezockt“

Doch der Fall gestaltet sich als schwierig, so ist der Anklagte bereits seit langen Jahren hochgradig spiel- und alkoholsüchtig. Das erbeutete Geld landet im Automaten oder wird für Alkohol und Tabletten ausgegeben. „Ich habe gezockt, Alkohol getrunken, gezockt“, gibt er vor Gericht an. Sogar dem Kind seiner Partnerin habe er Geld gestohlen, um zu zocken und zu trinken, wie er angibt. Soweit ging seine Beschaffungskriminalität.

Laut eigenen Aussagen hat der Angeklagte außerdem eine ausschweifende Drogenkarriere hinter sich. „Ich hab alles ausprobiert“, gibt er vor Gericht an. Dazu zählen laut eigenen Angaben Marihuana, Kokain, Heroin, Tabletten und verschiedene Designerdrogen. Darüber hinaus ist der 52-Jährige wohl unter schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen, soll er doch von seinem drogen- und alkoholabhängigen Vater misshandelt und geschlagen worden sein. Doch seine Vergangenheit möchte er weitestgehend im Dunkeln lassen, lediglich eine Sachverständige kann nach einem Gespräch mit dem Angeklagten im vergangenen Jahr ein wenig Licht ins Dunkel bringen.

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Sie bescheinigt dem Angeklagten neben seiner Abhängigkeit von Alkohol sowie seiner Spielsucht eine dissoziale Verhaltensstörung, die sich wahrscheinlich bereits im Kindesalter in Form von Aggressivität, Impulsivität und Jähzorn gezeigt habe. Er selbst sagt, dass ihn die kleinsten Veränderungen in seinem Leben aus der Bahn werfen würden. Er benötige professionelle Hilfe, um vom Alkohol und Spielen wegzukommen. Doch bislang war keine der vielen Therapien laut der Sachverständigen dabei erfolgreich. Ebenso lerne der Angeklagte nicht aus seinen Bestrafungen, er verfüge ferner über eine „geringe Frustrationsfähigkeit“.

Gericht fällt schwierige Entscheidung

Letztlich steht das Gericht vor der Entscheidung zwischen drei Möglichkeiten: Der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, einer Haftstrafe mit anschließender Therapie oder einer Freiheitsstrafe. Das Amtsgericht fällt die Entscheidung, dass der Paragraf 64, welcher eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt samt Therapie und keine Haftstrafe vorsieht, nicht geeignet ist. Zu gering sei die Aussicht auf Behandlungserfolg, zu hoch die Quote der abgebrochenen Therapien in der Vergangenheit. Positiv wird dem Angeklagten jedoch seine Geständigkeit ausgelegt.

Das Amtsgericht verurteilt den Angeklagten am Ende der Verhandlung deshalb insgesamt zu zwei Gesamtstrafen, in einem Fall zu einem Jahr und sieben Monaten, im anderen Fall zu zwei Jahren und acht Monaten Haft. Insgesamt muss der Angeklagte somit vier Jahre und drei Monate wegen gewerbsmäßigem Diebstahl in 16 Fällen und Computerbetrug hinter Gitter. Er bleibt außerdem knapp 6000 Euro schuldig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.