Ein Spaziergang durch das Sierenmoos lohnt sich. Es gibt so viel zu entdecken: einzelne Schuppen, idyllische Sitzgelegenheiten, auf dem nächsten Grundstück gibt es ein Jacuzzi mit Holzumrandung und zwei Quadratmeter Sandstrand plus Liegestuhl.
Da kräht ein Hahn neben dem Spielplatz, man entdeckt mehrere Hühner-und Wachtelställe, eine Kanarienvogel-Voliere und manchen Kaninchenstall. Katzen streifen durch Hecken, in denen emsige Kohlmeisen zwitschern.
Das Sierenmoos ist ein Glücksfall. Die Häuserzeilen haben historischen Charme, oder wie Dieter Schott 1982 zum 60-jährigen Bestehen der Siedlung im SÜDKURIER schrieb: „Kein einzelnes Stilelement versucht die Wirkung des Ensembles zu übertönen, alles ist auf gediegene Schlichtheit gestimmt!“
Geschichte des Sierenmoos

Seit einigen Jahren unter Denkmalschutz stehend, hat es allen Versuchungen der Nachverdichtung widerstanden. Und angesichts der Quadratmeterpreise in Konstanz verschlägt es einem fast den Atem, wenn man die großzügigen Gärten betrachtet, die sich hinter jedem Haus erstrecken.
Ein kleines Paradies für junge Familien
Spricht man mit jungen Familien, die auf Wohnungssuche sind, so bekommen sie alle glänzende Augen, wenn vom Sierenmoos die Rede ist. Da würde jeder gerne wohnen! Einige haben es auch tatsächlich geschafft. So wie die Familie Manz/Schrade.
2015 konnte sie ein Haus an der Allmannsdorferstraße erwerben, das aber erst einmal von Grund auf saniert werden musste. Es bekam ein neues Dach, eine großzügige Terrasse und im Erdgeschoss wurden viele Wände herausgenommen, um einen offenen Küchen-, Ess-und Wohnraum zu schaffen.
Dann konnte die Familie mit ihren drei Kindern dort einziehen. Die Wohnfläche sei nicht gerade üppig. „Im Sommer“, so Heike Manz, „verlagern wir unser Leben komplett in den Garten, unser größtes Zimmer.“
Ein Garten, in dem ein Kirsch-, Feigen-, Walnuss- und Mirabellenbaum steht. „Eine inzwischen verstorbene Nachbarin ist immer mit einer Kiste gekommen und hat gefragt, ob sie von den köstlichen Mirabellen etwas abhaben könne.“
Und dazu auf der Wiese ein Gehege mit einigen Wachteln, was inzwischen bei anderen Familien Nachahmer gefunden hat. Jeden Tag eine Handvoll der gesprenkelten Eier. Selbstversorgung aus den Gründertagen findet hier seine Fortsetzung.

Vom Garten aus erreichen die Kinder über den Gartenweg autofrei ihre Freundinnen zum Spielen. Unterhalb des Sierenmoos befindet sich ein großer, zwischen den Häusern liegender Spielplatz, der rege genutzt wird. Das sei wie auf dem Dorf, ohne Verabredung losziehen können. Die Nachbarschaft sei herzlich, so Heike Manz weiter, von den einen bekomme man Äpfel geschenkt, einige Senioren brächten immer wieder Gebäck vorbei.
Andreas Schrade beschreibt die Atmosphäre im Sierenmoos so: „Irgendwo zwischen Bullerbü und einem großen Campingplatz!“ Nur nach vorne zur Allmannsdorfer Straße hin ist es laut. „Die Fahrradfahrer und Autos rasen hier vorbei“, beschwert sich Sofie, die 10-jährige Tochter. Ihr Vater habe schon im Scherz vorgeschlagen, den Eingang doch zuzumauern. Dort sei es nur „zugig und laut!“.
Zeitweise viel Verkehr auf der Allmannsdorfer Straße
Dem kann der Nachbar Thomas Eichelberger nur zustimmen. „Morgens, wenn die ersten Fähren mit Pendlern anlanden, geht es los. Ab halb sechs brausen die hier durch!“ Die Anrainer der Allmannsdorfer Straße leiden, zum Weinberg hin, schon im Grünenbergweg mit seinem hübsch gestalteten Hausvorplätzen dagegen friedliche Ruhe.

Eichelbergers Großeltern Eugen und Emma Hornstein waren schon Mieter in dem Haus, in dem jetzt die fünfköpfige Familie Manz/Schrade lebt, der Opa Postler und der Vater Elmar Eichelberger nach dem Krieg auch, alle Mitglieder im Spar-und Bauverein.
Ein Mietvertrag aus dem Jahr 1963 weist die monatliche Miete von 76,90 Mark aus, darunter steht: „Die Waschküche ist mit einem Waschkessel ausgestattet.“ Und ach ja, der Garten kostete extra. Das „monatlich“ wurde durchgestrichen und durch „jährlich“ ersetzt, daneben steht: 9 Mark. Und das für 85 Quadratmeter Wohnfläche und 354 Quadratmeter Garten.
Ab Mitte der 2000er-Jahre durfte man die Häuser dann kaufen. Die Ersten wurden noch den Mietern für etwa 60.000 bis 80.000 Euro angeboten, dazu kam die jährliche Erbpacht des Grundstücks, die je nach Grundstücksgröße zwischen 3000 bis 4000 Euro liegt und an die Spitalstiftung geht.

Da der Spar- und Bauverein sich beim Verkauf immer nach dem aktuellen Marktwert richtet, kann man sich leicht ausrechnen, was die Häuser heute wert sind. Jeder, der schon eines vor Jahren kaufen konnte, darf sich glücklich schätzen.
Immer schon ein familienfreundliches Fleckchen
„Am Lindenplatz war ein Bolzplatz, an der Ecke gab es einen Mischwarenladen, einen Bäcker und daneben ein kleines Geschäft der Frau Zech, bei der man offene Milch, abgefüllt in den mitgebrachten Eimer, kaufen konnte“, erinnert sich Thomas Eichelberger. Die 1960er-Jahre seien geburtenstarke Jahrgänge gewesen. Da war draußen immer was los.

So wie jetzt wieder, da so viele Familien mit Kindern im Sierenmoos eingezogen sind. Seine Eltern hätten nach dem Krieg den Garten noch zum Anbau von Kartoffeln, Salat, Tomaten und Bohnen genutzt, aber später sei daraus immer mehr, wie bei allen anderen auch, ein Ziergarten geworden, erinnert sich Eichelberger.
„Und auf der Allmannsdorfer Straße vor dem Haus konnte man zwischen den Bäumen, die dort in Reihe standen, noch parken. Heute ist da der Fahrradweg.“ Früher habe es auch zwischen den Gärten keine Hecken oder Zäune gegeben.
Als Mieter habe einen das nicht gestört. Erst seit die Häuser in Privatbesitz übergingen, habe man sich abgegrenzt. Froh sei er, dass nebenan eine junge Familie wohne, man verstehe sich sehr gut, sagt Eichelberger. Aber man meint, auch etwas Bedauern herauszuhören über den Verlust einer „Gesamtgemeinschaftlichkeit im Sierenmoos“, die er noch von früher kennt. „Ich wohne hier so gern, weil ich so gute Erinnerungen an dieses Quartier habe.“

Der Platz „An der Linde“ ist heute ein Parkplatz, zugestellt mit Fahrzeugen. Seinen Charakter hat er dadurch verloren, aber irgendwo müssen die Anwohner ja parken. Diese berichten dem SÜDKURIER aber auch, dass hier oft Besucher des Krankenhauses ihre Autos abstellen, da sie sich „drüben“ die Parkgebühren sparen wollen.

In den Räumen am Eck, in denen in den letzten Jahren oft die Mieter gewechselt haben, soll demnächst eine Kinderbetreuung einziehen, ist im Quartier zu hören. Aber sicher sei das nicht. Daniel Groß, der Stadtführer, der diese Serie als historischer Experte begleitet, zeigt ein Foto von 1928: Im Eckgebäude ein Kolonialwarengeschäft. Und vorne dran freie Fläche. Die wünscht man sich heute zurück.
Auch Heike Manz könnte sich dort einen Unverpackt-Laden mit Café vorstellen. Und man könnte weiter träumen: Draußen stehen Tische und Stühle, und daneben spielt man Boule unter den Bäumen, Rotwein trinkend und auf neu aufgestellten Bänken sitzend. Ein Traum, der wohl nicht in Erfüllung gehen wird. Der aber dieses ohnehin schon lebens- und liebenswerte Quartier noch mehr aufwerten würde.