Die Erste, der ich auf meinem Rundgang durch die Niederburg begegne, ist Gela Homburger, Inhaberin der Zimmerbühne in der Sankt-Johann-Gasse, wo man Theater, Musik und Lesungen erleben kann. Ich treffe sie beim Plakatekleben für eine Autorenlesung an.
„Das ist halt so bei einem Ein-Frau-Betrieb“, sagt sie und verschwindet in einer Bäckerei. Mit ihrem Mann Notker führt sie die Zimmerbühne in der Niederburg nun schon ins zehnte Jahr. 2022 wird das kleine Jubiläum gefeiert.
Vier Abende pro Monat darf sie die Bühne bespielen, das reicht auch, schließlich ist sie berufstätig. Gestartet hat Gela Homburger mit einem kleinen Erbe ihrer Mutter, „die immer Schauspielerin werden wollte, es aber nie verwirklichen konnte“.
Die Tochter, wenn sie zum Beispiel in der szenischen Lesung „Boheme in Kustenz“ auf der Bühne steht, weiß dann, dass ihre Mutter zuschaut und sich freut, dass es mit dem Theater in der Familie doch noch etwas geworden ist.
Historisches zur Niederburg
In derselben Gasse, Nummer 8a, gilt es, ein paar Legenden aufzuklären. Die kleine Steinfigur über dem Eingang, die ein „Ärschle“ zeigt, ist kein Hinweis darauf, dass dies einmal ein Freudenhaus war – oder gar noch eines ist. „Ich eine Puffmutter? Um Gottes Willen, nein!“ Angelika Faden-Werner, der das rosa angestrichene Haus mit ihren Söhnen gehört und die darin auch Ferienwohnungen betreibt, weist das weit von sich.
Eine Nachbarin, inzwischen verstorben, wollte schon prozessieren, dass das „Ding“ wegkommt; schließlich wolle sie nicht neben einem Bordell wohnen. Dabei war das Haus früher, zu der Kirche Sankt Johann gehörend, ein Stall und ein Weinkeller.
Ebenfalls unrichtig ist das, was Stadtführer Daniel Groß vorführt: Wenn man sich streckt, kann man mit den Armen den Stein berühren. „Und der Po strafft sich. Gut gegen Zellulitis!“ Geistreich, aber nicht wahr.
Und es stimmt auch nicht, dass man bald eine Freundin findet, wenn man als Junggeselle den Hintern küsst. Was aber die jungen Testosteron-Gesteuerten nicht davon abhält, hochzuklettern und sich dem Po mit dem Mund zu nähern. „Wie oft ich die Tür schon habe neu streichen lassen…“, seufzt die Besitzerin.
Fast wöchentlich werde das steinerne Gesäß mit Spülmittel gereinigt. Sie habe es schon entfernen wollen, damit endlich Ruhe einkehrt, die blitzlichternden Touristen, das Jungvolk, aber alle waren dagegen. Und so bleibt es, das „Ärschle“.

Die Wahrheit über den Stein ist aber folgende: Als sie damals mit ihrem Mann Anfang der 1970er-Jahre von Berlin hierher kam, das Haus kaufte und renovierte, brachte sie ihren leiblichen Sohn und ein adoptiertes Kind aus Kolumbien mit. „Und da wir sehr exaltiert gelebt haben, wurde in der Nachbarschaft viel geredet.“
Es gab Straßenfeste, bei denen der Puppenspieler Stingl in der Garage spielte und auf dem kleinen Platz davor wurde dafür gestuhlt. „Wir haben eigentlich schon in den 70ern mit dem Gassenfreitag angefangen!“, erinnert sich die heute 80-Jährige.
Bei so einem Fest kam die Idee auf, der befreundete Münsterbaumeister Frieder Neidsch solle doch eine Figur fertigen, die der Umgebung zeigt: „Ihr könnt uns mal! Wir leben unser Leben, auch wenn es euch nicht passt!“
Angelika Faden-Werner zeigt mir zum Schluss den großen Steinkeller. An der Decke hängen noch die Lichterketten dieser vergangenen Fest-Zeiten, spinnweben-umwölkt. Heute sei man natürlich längst in der Nachbarschaft akzeptiert, aber der Anfang sei nicht leicht gewesen.

Aufgenommen hat dieses schöne Gassengewirr im ältesten Teil von Konstanz auch Ruth Pabel, gelernte Geigenbauerin. Die Ausbildung gibt es nur zweimal in Deutschland: In Mittenwald oder in Klingenthal, wo sie dieses Handwerk erlernte.
In der Konradigasse 8 befindet sich die hübsche Werkstatt, in der die Uhren langsamer gehen und aufgereiht die braunen Geigen von der weißen Decke hängen. Pabel genießt die Ruhe in der Niederburg. „Zum Glück kommen nicht so viele Touristen zur Tür herein.“ Sie schätze es, ungestört vor sich hin arbeiten zu können.

Hauptsächlich verdient sie ihr Geld mit Reparaturen, auch könne man bei ihr für Kinder Instrumente ausleihen. Geigen bauen, das mache sie eher selten, meist eine pro Jahr, dafür brauche sie ungefähr sechs Wochen, in Coronazeiten waren es auch mal drei.
Die Miete für die Werkstatt und den Verkaufsraum in einem sei bezahlbar. „Aber reich wird man mit dieser Arbeit sicher nicht.“ Zumal sie sich als vierte und jüngste Geigenbauerin im Raum Konstanz niedergelassen hat. Und so groß ist der Markt auch nicht. Dennoch sei sie mit viel Freude bei dieser besinnlichen Arbeit.
Selbstständig werden, diesen Prozess hat auch Noah Rieth eingeläutet. Seit April wohnt der 20-Jährige in den eigenen vier Wänden, 500 Meter Luftlinie von den Eltern entfernt. Die Ein-Zimmer-Wohnung in der Konradigasse im vierten Stock gibt vom Balkon aus den Blick frei über die Dächer, Balkone und Klein-Terrassen der Niederburg. Der Blick ist grandios!

Fast die Hälfte seines Ausbildungslohnes als Elektriker geht für diese erste Bude drauf, aber der junge Mann genießt es. Bekannte haben ihm Gemüsepflanzen geschenkt, die umhegt er nun fürsorglich, die Petersilie gedeiht prächtig im Kasten und zur Holundersirupschorle zupft er frische Minze ab.
Die Abnabelung vom Elternhaus hat, trotz der Nähe, schon prima geklappt. Von dort gibt es nur mal selbst gemachte Marmelade und eben diesen Holundersirup, von der Mutter hergestellt. „Und ab und zu eine Waschmaschine Wäsche.“
Die Niederburg kennt Noah Rieth von früher. „Ich bin immer gerne, wenn ich zur Seestraße wollte, durch die Gassen gelaufen.“ Besonders nachts zurück, das sei schön gewesen. In der Niederburg lässt sich eben auch entspannt das Erwachsenwerden angehen.
Den Rundgang schließt ein Gang ins Blende 8-Café ab. In dem ehemaligen Brauereigebäude in der Gerichtsgasse 14 wartet ein Innenhof mit Tischen unter den Arkaden auf den Bummler.
Von den Touristenströmen unbemerkt, kann man hier hochwertige Kameras erstehen (von der teuersten kostet allein das Gehäuse 18.000 Euro!) oder drinnen in der Galerie aktuell Schwarz-Weiß-Fotos der bekannten ostdeutschen Pressefotografin Evelyn Richter betrachten.
Geführt wird das Geschäft von Markus Wintersig, dem Inhaber von „Lichtblick“, der an diesem schönen Platz im Mai 2019 eine weitere Dependance eröffnet hat. Warum die Räume zehn Jahre leer standen, ist ihm schleierhaft. Auf alle Fälle gut, dass dieser Ort nun wieder offen ist und man sich gemütlich an einem Cafétisch niederlassen kann.