Die Turniersiedlung, jenes Areal aus den 1920er Jahren zwischen Mangold-,Turnier-, Mayenfisch- und Fischenzstraße: Geschindelte Außenfassaden, grün abgesetzte Holz-Fensterläden, dazu die innenliegenden Loggien, Balkone, die ganz unterschiedlich umrandet, oft in grauem Stein sind und die Ansicht zum Hof auflockern.
Dazu die Steinreliefs oder sogar bemalten Rosetten über den Eingängen – all das macht dieses Ensemble zu einem Schmuckstück im Paradies. Zumal die Wobak zuletzt viel Außenrenovation betrieben hat und dieses in neu-altem Glanz erstrahlen lässt. Auch die Bewohner sind ähnlich begeistert.
Madeleine Jehle und Matthias Hollecker leben mit ihren drei Kindern seit 2013 auf etwa 100 Quadratmeter: „Klar, zu fünft fehlt ein Zimmer, aber die Wohnung ist super geschnitten, hell und hat eine große Wohnküche.“ Dazu einen Innenhof mit Wiese, wo die Kinder spielen können.

Und da seit 2018 für die Autos an der Straße Anwohnerparkplätze ausgewiesen wurden, ist auch das Abstellen der Fahrzeuge kein allzu großes Problem mehr. Dazu ruhig und stadtnah, ideal. „Wir sind vom Döbele hierher gezogen, da wurden die 60 Quadratmeter zu viert damals zu klein.“ Man habe nur drei Monate warten müssen. Und das bei einem Mietpreis unter 10 Euro pro Quadratmeter, ein Glücksfall.
Seit acht Jahren lebt ein Berliner mit italienischer Abstammung in der Mayenfischstraße. Zusammen mit seiner Partnerin bewohnt er dort eine Drei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss, den Kellerraum darunter mit Fenster zum Hof benutzt er als Atelier.
Der 71-jährige Leonardo Camatta ist Maler. Bei Kunstlicht entwirft er dort Gemälde mit mediterranen Motiven. „Ich mag dieses Höhlenartige hier unten, so ein weißes, helles Atelier war noch nie so meins“, sagt er.
Er habe auch in Berlin immer in seiner direkten Lebensumgebung malen wollen, da habe das mit dem Kellerraum für ihn optimal gepasst. Ein Atelier in Konstanz zu finden, wäre eh schwierig geworden. Und teuer.“ So muss er nur die Treppe hinunter und kann loslegen.

Diverse Ausstellungen wie zum Beispiel im Wasserturm in Stromeyersdorf oder im Gewölbekeller der Stadt hat es schon gegeben. Das Quartier gefällt ihm immer besser. „Die Gastronomie hat sich in den letzten Jahren hier im Umfeld gut entwickelt. Vorher war es schon etwas öde.“
Sabine Striebl-Schieß wohnt seit 31 Jahren an der Mangoldstraße 21. Mit ihrem Mann hat sie eine Drei-Zimmer-Wohnung mit etwa 70 Quadratmetern. Nach hinten blickt man auf einen gewaltigen Baum, der auf einer großen Wiese steht. Schön anzuschauen, aber bei Sturm brechen Äste und die Blätter verstopfen öfter die Regenrinnen.
Sie sitzt gerne auf dem gemütlichen Balkon, beobachtet die spielenden Kinder und freut sich darüber, „dass das in den letzten Jahren wieder viel mehr geworden sind.“
Im Laufe der Jahre hat sie etliche Sanierungen erlebt, vor zirka 15 Jahren wurden sogar alle Schindeln erneuert. Nur die Fenster seien noch alt, öfter übermalt und ließen sich deshalb nicht mehr richtig schließen. Für sie gebe es aber definitiv keinen Grund, hier jemals wieder wegzuziehen.
Auf 58 Jahre Wohnen mit kleineren Unterbrechungen kommt Notker Dannenmayer. Er hat von der elterlichen Wohnung aus nur die Straßenseite gewechselt. Mit seiner Frau Ruth fällt der Blick auf diesen wunderbaren, überdachten Balkon in den Hinterhof mit italienischem Flair. Noch vor der Sanierung im Jahr 1989 musste man im Keller mit einem Kännchen Öl holen, um die Öfen in den Zimmern zu speisen.
Inzwischen gibt es eine Gasheizung. Dafür ist der alte Holzofen weggefallen, die Kamine wurden stillgelegt und auch die alte Holztreppe im Aufgang ist unter Laminat verschwunden. „Die ältere Dame unter uns hat mir noch gezeigt, wie man das Treppenholz pflegt: mit Stahlwolle, Terpentin und Öl.“ Heute alles erneuert, die Hellhörigkeit der Räume ist geblieben, aber das nehme man gerne in Kauf. „Es ist einfach wunderbar hier“, sagt das Paar.
Noch einmal deutlich länger im selben Haus, nämlich in der Fischenzstraße 3, lebt Hans Schröder mit seiner Ehefrau Edda. Bei ihm sind es inzwischen 77 Jahre. Er ist Jahrgang 1941. Die Nachkriegszeit ist ihm in Erinnerung vor allem wegen der französischen und marokkanischen Soldaten, die in Konstanz stationiert waren und ums Haus irrten.
Auf der Suche nach „Der roten Laterne“, dem einzigen Bordell damals. „Das stand da hinten, wo es heute zur Europa-Brücke hochgeht, einsam auf einer Wiese zwischen den Gärten, zugewuchert.“
Für den Hinweis, wo es lang ging, gab es Süßigkeiten. „Und die Mutter hat gedroht: Geht da ja nicht hin.“ Und auf dem Schänzle-Sportplatz war die „Stadtmiste“. Was nach Grünabfall klingt, war der städtische Müllplatz, auf dem man sich, so Schröder, rumtrieb, um Ersatzteile fürs Fahrrad zu suchen. „Zur Stephansschule sind wir von hier komplett durchs Grüne gelaufen.“
Historisches zur Turniersiedlung
Da sei nicht viel bebaut gewesen im Paradies, die Schlosserei Sauter mit ihren Werkstätten, die stand schon, erinnert er sich. In den 60er Jahren wurden dann am Seerhein die Studentenwohnheime gebaut. „Das waren riesige Klötze“, später kam die Brücke. „Vom ersten Spatenstich bis zum ersten Auto habe ich alles dokumentiert“, sagt Hans Schröder.“ Seine Fotos lagern heute im Stadtarchiv.
Ruth Schlachter hat auf jeden Fall die ältesten Erinnerungen von allen. Sie hat an der Turnierstraße schon vor 93 Jahren gelebt, da waren die Häuser noch keine zehn Jahre alt. Dazwischen wohnte sie mit ihrem Mann einige Jahre in Allmannsdorf, danach wieder hier. „Unser Hof war eine große Familie“, sagt sie. Alle immer draußen, eine Horde von Kindern, auf der Wiese wurde die Wäsche tagelang zum Bleichen ausgelegt.
Mit sechs Jahren ist sie schon für alle einkaufen gegangen. „Da habe ich oft einen Pfenning bekommen, und wenn es zwei gab, bin ich besonders schnell gerannt.“ Von 1928 bis 1937 ist ja der Zeppelin von Friedrichshafen aus nach New York geflogen. Und zurück. „Der schwebte nachts über unsere Häuser. Wir wachten von dem Brummen auf.“
Sie, die ein Leben lang als Wirtin arbeitete, zuletzt, bis sie 75 wurde, im Bären auf der Reichenau, kocht seit acht Jahren für einen Herrn in Kaltbrunn das Mittagessen. Täglich. „Er holt mich mit dem Auto ab, wir kaufen unterwegs ein, und dann kriegt er sein Mahl.“ Ruth Schlachter hat viel durchgemacht. Von elf Kindern haben sechs überlebt, der Bruder ist mit 21 Jahren im Bodensee ertrunken, der Ehemann früh verstorben, aber die Lebensenergie, die aus ihr immer noch blitzt, ist ungebrochen.
Rund 100 Jahre Wohnen im Paradies in der Turniersiedlung. Mit all diesen Lebensgeschichten, die hinter den Fassaden warten, wirken die Gebäude in der Turniersiedlung nun noch schöner. Was eigentlich gar nicht geht.