Wenn man sich auf der Internetseite der Stadt Konstanz zum Sanierungsgebiet Stadelhofen durchgeklickt hat, ergibt sich folgender Eindruck: Hier ist ein Patient, dem dringend geholfen werden muss. Die Mängelliste ist lang.

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Gebäude und Spielplätze verwahrlosen, Gewerbeflächen stehen leer, im öffentlichen Raum gibt es kaum Möglichkeiten, sich (kostenlos) aufzuhalten, ein schlüssiges Parkplatzkonzept fehlt auch, und irgendwie ist das ganze Quartier durch die Bodanstraße von der Altstadt abgehängt.

Der Gemeinderat hat Ende April die Grenzen des Sanierungsgebiets einstimmig beschlossen. Erste Finanzhilfen aus dem Bund-Länder-Programm „Lebendige Zentren“ in Höhe von 1,7 Millionen Euro können fließen – zum Großteil wird es darum neben dem Thema Lebensqualität um die Verringerung des Energieverbrauchs gehen.

Luftbild vom Voruntersuchungsgebiet für die Sanierung Stadelhofens.
Luftbild vom Voruntersuchungsgebiet für die Sanierung Stadelhofens. | Bild: Stadtverwaltung

Wie entstand Stadelhofen?

Auf einem Rundgang mit Martina Rebholz, Hans-Peter Metzger und Heidrun Horn wird deutlich: Stadelhofen hat seinen Charme, aber es ließe sich viel verbessern. Da ist der zugepflasterte und weitgehend leere Bodanplatz, das eigentliche Zentrum. Mehr Bäume auch als Schallschutz zur Bodanstraße, Grünflächen, Begegnungsräume – das wär‘s, da sind sich die Gründer der „Initiative Stadelhofen“ einig.

Martina Rebholz.
Martina Rebholz. | Bild: Michael Buchmüller

In der Hüetlinstraße, so Rebholz, sei früher noch der Lkw-Verkehr durchgedonnert. „Da hat unser ganzes Haus gewackelt!“ Das sei nach ersten Maßnahmen in den 1970er Jahren schon besser geworden. Aber geht man die Kreuzlinger Straße lang, dann sieht man auch, was noch im Argen liegt: Drei Nagelstudios auf 50 Metern, weiter vorne das Wettbüro und schräg gegenüber eine Table-Dance-Bar, von der keiner so genau weiß, ob sie wieder aufmacht. Nicht unbedingt die Läden, die man sich als Anwohner wünscht.

Kreuzlingerstraße.
Kreuzlingerstraße. | Bild: Michael Buchmüller

Und doch gibt es hoffnungsvolle Zeichen: In derselben Häuserzeile der „Old Marys Pub“ mit seinem heimeligen Schankraum, viele Jahre von Luigi Pesaro geführt, der nun altersbedingt aufgehört hat. Aber sein Nachfolger hat versprochen, alles so zu belassen. Daneben produziert Pesaros Frau ein Eis, das über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.

Einige Meter davor die Bierboutique, in deren Garten man Bieryogakurse belegen kann. Einen Hundefriseur und einen Non-Profit-Secondhand-Laden des Vereins Sprungbrett findet man ebenfalls. Dazu gesellen sich kleine Ateliers, Schmuckläden, internationale Imbissstuben. Stadelhofen könnte ein „In-Viertel“ werden, wie man es mit der Niederburg versucht hat.

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Die Zogelmannstraße ist eine der hübschesten Straßen. In ihr kann man durch Hofeinfahrten auf Hinterhöfe gelangen, rechts ab sieht man den modernen Kindergartenbau der katholischen Altstadtpfarrei.

Die Zogelmannstraße, eine Gasse mit altem Baumbestand, schön renovierten Häuserfasseden, und in Hinterhöfen mit gelungener Nachverdichtung.
Die Zogelmannstraße, eine Gasse mit altem Baumbestand, schön renovierten Häuserfasseden, und in Hinterhöfen mit gelungener Nachverdichtung. | Bild: Michael Buchmüller

Links ab im Hof ein gelungenes Beispiel von Nachverdichtung: Auf dem Werkstattgelände der ehemaligen Firma Elektro Nägele wurden 2006 vier Passiv-Reihenhäuser gebaut.

Im Hinterhof der Zogelmannstraße auf dem ehemaligen Werkstattgelände von Elektro Nägele entstanden vier moderne Passivhäuser.
Im Hinterhof der Zogelmannstraße auf dem ehemaligen Werkstattgelände von Elektro Nägele entstanden vier moderne Passivhäuser. | Bild: Michael Buchmüller

Susann Sprondel öffnet die Tür und gewährt Einblicke in ein Wohnen mit Terrasse und Garten. Ob man nicht doch ein wenig auf dem Präsentierteller sitze, umgeben von den Rückseiten der Häuser vierer Straßenzüge? „Mich stört‘s manchmal, meinen Mann nicht“, sagt sie, aber das sei eben der Preis für eine ansonsten „geniale Wohnlage“.

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Zurück am Bodanplatz, Eingang Hüetlinstraße, hier hat Martina Rebholz das elterliche Haus vor etwa 25 Jahren renoviert, und auch das alte Hintergebäude mit der Werkstatt wurde von der Familie zu Wohnungen umgebaut.

Das Grundstück hatte ihr Großvater Anton Fink im Jahr 1930 gekauft und im Hinterhaus eine Schreinerei errichtet. Damals gab es hinter der Ziegelmauer ein Fuhrunternehmen mit Pferdeställen, nebenan lange ein Wirtshaus („Löwe“), hinten raus eine Kegelbahn, im eigenen Hof die Waschküche.

Nachverdichtung in den Hinterhöfen der Hüetlinstraße, links die Gebäude auf dem großväterlichen Schreinergelände der Familie Rebholz, ...
Nachverdichtung in den Hinterhöfen der Hüetlinstraße, links die Gebäude auf dem großväterlichen Schreinergelände der Familie Rebholz, rechts der Wohnblock, wo früher die Kegelbahn des „Löwen“ stand. | Bild: Michael Buchmüller

Das Feuerholz wurde mit dem Leiterwagen irgendwo am Gefängnis abgeholt, aber durch die Gassen sei auch Herr Kaiser mit seiner fahrbaren Säge gezogen, um den Leuten ihr angeliefertes Holz klein zu sägen. Rebholz hat noch erlebt, „dass wir Stadelhofen nicht verlassen mussten, wenn wir einkaufen gingen. Es gab alles hier: Bäcker, Metzger, Milchladen!“ Vorne am Bodanplatz einen Bürstenladen, zu dem ihre Mutter sie hinüberschickte.

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Wie schön, wenn man da wieder hinkäme: Überall kleine Läden für den täglichen Bedarf. Verklärende Vorstadtromantik, die es so nicht mehr geben wird? Die Stadt nennt dieses Konzept in ihrem Sanierungspapier „Wohnen und Versorgen.“ Ein Stadtteil der kurzen Wege.

Aber dafür müsste man noch viel tun. Zum Beispiel die Kreuzlinger Straße. Aus ihr vom Zoll bis zum Schnetztor eine Flaniermeile machen, verkehrsberuhigt, gepflastert, begrünt – und Möglichkeiten, Tische und Stühle vors Geschäft zu stellen. Das wär‘s! Stattdessen ist es eher so: Die meisten Besucher stranden im Lago, das ja auch zu Stadelhofen gehört.

Die Kreuzlingerstraße – mit Blick in Richtung Schnetztor.
Die Kreuzlingerstraße – mit Blick in Richtung Schnetztor. | Bild: Michael Buchmüller

Am Zoll eine Dauerausstellung über die Geschichte von Konstanz und Kreuzlingen. „Hier könnte man auch Freiluftkonzerte stattfinden lassen“, meint Heidrun Horn, Heilprakterin und Coach, die nur hundert Meter von hier im Haus „Zum Drachenkopf“ wohnt. „Aber dafür bräuchte es einen Kulturverein, der so etwas organisiert.“

Ausstellung zur Konstanzer Stadtgeschichte am Schweizer Zoll in der Kreuzlinger Straße. Auf der Rückseite der Stelen in Grün: Die ...
Ausstellung zur Konstanzer Stadtgeschichte am Schweizer Zoll in der Kreuzlinger Straße. Auf der Rückseite der Stelen in Grün: Die Historie Kreuzlingens. | Bild: Michael Buchmüller

Am Zoll beginnt die Schwedenschanze, die gleichnamige Straße führt an dem Grundstück vorbei, auf dem das Denkmal für Georg Elser steht, dem gescheiterten Hitler-Attentäter, der hier versuchte, in die Schweiz zu fliehen.

Gegenüber, Nummer 5, eine Villa aus der Gründerzeit, 1881 erbaut von dem Weinhändler „Ziegler und Gross“. Vor 15 Jahren wurde hier alles topmodern renoviert, beste Wohnlage, citynah, die Anlage heute ein Hingucker.

Schwedenschanze 5, im Vordergrund das herrschaftliche Haus eines Weinhändlers von 1895, in Gelb das ehemalige Weinlager.
Schwedenschanze 5, im Vordergrund das herrschaftliche Haus eines Weinhändlers von 1895, in Gelb das ehemalige Weinlager. | Bild: Michael Buchmüller

Christoph Glatzle, pensionierter Gymnasiallehrer, hat mit seiner Ehefrau im ehemaligen Lager eine Loft-Wohnung erstanden. Hinter dem runden Glaseingang noch die alten Holztüren, beeindruckend und mächtig.

Der Lehmboden im ehemaligen Weinkeller wurde mit einem 50 Zentimeter hohen Betonboden ausgegossen und ist jetzt Tiefgarage für die Anwohner-Autos. Hier und in der Emmishofer Straße die großbürgerlichen Bauten, die zeigen, wer Geld hatte. Dicht neben der einfachen und niedrigen Bebauung der Hüetlinstraße. Stadelhofen vereint die Gegensätze.

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Und die Mieten? Eine Erdgeschosswohnung in der Zogelmannstraße, noch gut in Schuss: knapp 60 Quadratmeter für 730 Euro Kaltmiete. Dazu die Aussage: „Ich habe selten so schön gewohnt!“

Ein Ladengeschäft an der Kreuzlingerstraße, knapp 100 Quadratmeter für 1700 Euro – kein Vergleich zur Innenstadt, aber auch viel, wenn die Kundschaft fehlt. 70 Prozent Umsatz macht man normalerweise mit Schweizer Kundschaft, die zuletzt ja lange ausblieb.

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