Obwohl Egg nicht groß ist, gab es schon früher ein Unterdorf und ein Oberdorf. Oben, das waren die Siedlungshäuser aus den 1930er-Jahren. Unten, das war der alte Dorfkern an der Bachgasse hinunter mit den dort ansässigen Bauern.
Dazwischen lagen Wiesen, auf denen man, so erinnert sich Bauer Ralf Sandmann, „geheuet“ hat. Wenn man so will, gibt es heute noch einen dritten Teil, das Mittel-Dorf: Die hinzugekommenen Neubauten der letzten Jahrzehnte, die hauptsächlich genau auf diesen Egger Wiesen entstanden.

Neu und Alt dicht nebeneinander, das lässt sich in Egg überall beobachten: Im Hof des Elternhauses der Weißhaars steht noch eine alte Mostpresse, im Schuppen dahinter wird Schnaps gebrannt, hauptsächlich Obstler.
Keine zehn Meter weiter die Einfahrt in ein modernes Wohnhaus mit Carport, unter dem die Boote und SUP-Bretter hängen, davor ein parkendes Wohnmobil. Dahinter eine Nachverdichtung im wahrsten Wortsinn. Die eng stehenden Häuschen werden unter der Hand wenig freundlich „Hasenställe“ genannt. Wenn man sich dazwischen bewegt, weiß man, warum.
In die andere Richtung, nach Osten hin auf den freien Wiesen, stehen die 27 Schafe der Weißhaars. Direkt darunter an der Hoheneggerstraße ein neuer Wohngebäudekomplex, der erst kürzlich fertiggestellt wurde. Premiumlage mit Seeblick und garantiert sündhaft teuer.

Am Beginn der Anhöhe Richtung Allmannsdorf der Bauernhof der Sandmanns: Nach dem Krieg ist die Familie aus dem Dorf hier hochgesiedelt. Als Ralf Sandmann den Hof vom Vater übernahm, zog er von Litzelstetten nach Egg. Für ihn gibt es nichts Schöneres, als am Sonntag um sein Haus laufen zu können und niemandem begegnen zu müssen.
Während in den Neubaugebieten, ergänzt seine Mutter Lioba, alle Häuser „wie Schuhschachteln aneinander gepappt wurden.“ Er hat Platz hier am Rand des Dorfes. Der einzige Vollerwerbsbauer, den es in Egg noch gibt, setzt ganz auf Obst und Gemüse, angebaut teils auf eigenem, teils auf gepachtetem Land. Tiere gibt es noch, vier Ziegen, mehr nicht. Ihr Hofladen, zweimal die Woche geöffnet, bietet den Eggern die einzige Einkaufsmöglichkeit.
Die Geschichte von Egg
Die Verbindung zwischen alt und neu verkörpert vielleicht am besten das Haus von Dr. Tobias Payer. Direkt neben der Kapelle gegenüber dem Dorfbrunnen hat der Arzt 2010 einen alten Hof in der Bachgasse erstanden. Das Gebäude, ursprünglich eine Mühle aus dem 17. Jahrhundert, stand unter Denkmalschutz. Keiner wollte es haben, er musste nur den Bodenrichtwert für das Grundstück bezahlen.
Sieben Jahre lang renovierten Payer und seine Frau die Gemäuer. Wofür sie 2015 den Preis für das bestsanierte Haus in Deutschland bekamen. Im Garten und in der Scheune parken Unimogs, mit einem ist er schon als Begleitarzt bei der Rallye Paris–Dakar mitgefahren, andere benutzt er fürs Heuen oder Holzmachen.
Die Egger begleiteten diese Sanierung mit Interesse, brachten Werkzeug und Fleischkäswecken vorbei und halfen beim Pflastern des Vorplatzes mit. So kam Payer im Dorf schon an, bevor er da wohnte. Heute stellt er fest: „Wir sind hier die Mitte. Die Leute kommen aus dem Oberdorf zu uns, genauso wie aus dem Unterdorf.“
Payer hilft nämlich auch außerhalb seiner Sprechstunden, unkompliziert und nachbarschaftlich. Und wenn einer Kuh eine Infusion gelegt werden muss, macht er sogar das. Zudem engagierte er sich von Anfang an im Verein Egger Bürgergemeinschaft. Die Gründungsveranstaltung fand im April 2015 in seiner Scheune statt.

Der Verein hat in den letzten Jahren viel bewegt: Da gab es die Egger Tafel. Auf dem großen Spielplatz in der Mitte von Egg wurden einmal im Jahr im Sommer Tische, Bänke und Pavillons aufgebaut und alle Bürger eingeladen, Essen mitzubringen. Ein ähnliches Treffen mit Bratwurst und Glühwein zum Nikolaus.
Dann zuletzt einmal die Aktion Lebendiger Adventskalender: Egger Familien konnten einen Tag im Advent buchen und zu sich einladen. Eine Nachbarschaftshilfe und ein kreativer Weihnachtsmarkt wurden ebenfalls organisiert.
„Egg Aktiv“ bietet auch immer donnerstags einen Ausflug für Senioren an, zudem gibt es im Verein eine Abteilung, die sich um die Integration der hier immer nur zeitweise lebenden Flüchtlinge kümmert. Alles noch vor Corona gestartet und darauf wartend, wieder aktiviert zu werden.
Ute Reichenbach, eine Pilates-Lehrerin, die mit ihrer Familie seit 20 Jahren in Egg wohnt, ist ebenfalls um das Miteinander im Dorf bemüht. „Bei der Nachbarschaftshilfe haben wir mehr Helfer als Nachfrage. Und wir haben gemerkt, dass es diese Institution gar nicht unbedingt bräuchte, weil sich die Egger nachbarschaftlich sowieso helfen.“ Sie hofft aber darauf, dass das vom Gemeinderat genehmigte Quartierszentrum bald gebaut wird.
Auf dem Spielplatz, im Herzen von Egg, ein Begegnungsraum – das fehle noch für das Dorfleben, vielleicht sogar mit einem genossenschaftlichen Dorfladen ausgestattet. Auch Andreas Marx, Chemieprofessor an der Uni und 1. Vorsitzender des Vereins, würde das begrüßen, hat aber auch Verständnis für die Stadt, „wenn die gerade anderes auf ihrer Prioritätenliste oben stehen haben.“
Das Schönste an diesem Engagement für ihn? „Uns ist es gelungen, dass sich in Egg Menschen treffen und kennenlernen können!“ 150 Mitglieder im Verein, das sei doch eine für sich sprechende Zahl. 2017 gab es sogar einen Workshop zur Zukunft von Egg. Eine Broschüre entstand, „Egg 2030“, die die Ergebnisse festhielt. Was einen störte, was man sich wünschte, wurde auf Tafeln festgehalten, viele kreative Ideen gesammelt.
Trotz der vielen zugezogenen Familien wird Egg altern, und die fehlende Infrastruktur lässt die Frage noch unbeantwortet: Wie kann man sich hier im Alter versorgen? Für die Jugend zumindest scheint gesorgt. Am Unisportgelände hat die Stadt mit der Universität einen „Pumptrack“ gebaut, einen hügeligen Parcours, über den man mit Roller und Fahrrad sausen kann.
Ute Reichenbach, die in der Nähe des Spielplatzes wohnt, hat beobachten können, dass auch die Flüchtlingskinder beim Spielen integriert würden. Ihre Kinder haben hier frei aufwachsen können.
Die große Spielfläche im Zentrum, dazu die nahe Badestelle am Unisportgelände. „Für mich ist Egg eine Oase,“ gesteht sie. Einen Wunsch hätte sie aber noch. Schön wäre es doch, am Wasser sitzen zu können, in einem kleinen Biergarten oder Café. Ob aus dem Wunsch etwas wird, ist eher fraglich. Schade, aber zu verschmerzen. Ober-, Mittel- und Unterdorf sind trotzdem auf einem guten Weg, ein einziges Dorf zu werden und zu bleiben.