Harry Kiefer ist spät dran. Eigentlich hätte er die Post in der Schwaketenstraße bereits um 11.30 Uhr abliefern sollen. Doch es ist bereits kurz nach 13 Uhr. Der Grund für seine Verspätung: Der Schneeeinbruch in der vorangegangenen Woche, der noch immer seine Spuren hinterlässt.
„Wir haben nicht alle Kollegen auf die Straße schicken können, weil es witterungsbedingt zu gefährlich war“, sagt er. Deshalb stehen an diesem Tag in der vergangenen Woche mehr Sendungen an als sonst. Und das, obwohl Kiefer und seine Kollegen bereits seit Wochen mit mehr Arbeit zu kämpfen haben.
Zahl der Bestellung steigt rapide an
Denn seit dem zweiten Lockdown, der Mitte Dezember begann, stieg die Zahl der Bestellungen rapide in die Höhe. „Normalerweise ist die Weihnachtszeit für uns die herausforderndste Zeit, aber seit Mitte Dezember nehmen die Bestellungen nicht mehr ab“, sagt Kiefer.
Das bedeutet für ihn als Postboten: Mehr Arbeit für die gleiche Arbeitszeit. Deshalb sagt er: „Wir sind körperlich und mental am Anschlag.“ Ein Zusteller müsse derzeit am Tag rund 2000 Sendungen bearbeiten, viel Zeit zum Verschnaufen bleibt da nicht.
So eine große Steigerung der Bestellungen habe es im ersten Lockdown noch nicht gegeben. „Im Frühjahr waren die Menschen noch verhaltener, was das Bestellen angeht“, so Kiefer. Doch das hat sich inzwischen geändert. Kiefer geht davon aus, dass das Bestellvolumen der Konstanzer auch in den kommenden Wochen hoch bleiben wird.
„Viele Leute haben Geschmack am Online-Handel gefunden“
Seine Vermutung: „Viele Leute, die vorher nicht online bestellt haben, haben sich jetzt eingelernt und daran Geschmack gefunden. Es ist deutlich bequemer, Dinge vom Sofa aus einzukaufen.“ Deswegen glaubt er, wird der Online-Handel weiter florieren. Auch wenn der Lockdown irgendwann ein Ende findet.
Darüber beschweren will er sich aber nicht. Denn die Postboten würden inzwischen durch zusätzliche Kräfte entlastet. Und: Durch die vielen Bestellungen habe er einen sicheren Job – anders als andere Menschen, beispielsweise aus der Gastronomie, die gerade seit Monaten um ihre Existenz bangen müssen.
Kaum Zeit für einsame Kunden
Nur gerade in der jetzigen Zeit würde Kiefer sich wünschen, auch mal Zeit für die Kunden haben zu können. „Für viele, gerade ältere Menschen, ist der Postbote momentan der einzige Sozialkontakt am Tag“, so der 59-Jährige. Manche stünden bereits am Fenster und warteten freudig auf den Zusteller. Doch Zeit für ein nettes Gespräch habe er oft nicht. Denn die Zeit rennt.

Das sei schon vor Corona so gewesen, weil die Sendungsnachverfolgung den Druck erhöhe. Der hohe Zustellaufwand seit dem Lockdown steigere diesen Druck allerdings nochmal. Das sei früher anders gewesen. Da habe ein kleines Schwätzchen mit den Kunden auch mal seinen Platz gefunden. Sein Job sei menschlicher gewesen und es habe mehr Respekt gegeben.
Kiefers Wunsch: Pakete an der Tür entgegennehmen
Deshalb würde er sich über mehr Rücksicht von Kunden und vor allem Straßenteilnehmern freuen. Oft versuche er vom Straßenrand in den Verkehr einzubiegen, doch keiner lasse ihn rein. Kunden seien dann ungehalten, weil das bestellte Paket nicht im angezeigten Zeitrahmen angekommen ist.
Dabei sei es recht einfach Postboten wie Harry Kiefer zu unterstützen. „Es wäre schon nett, wenn Menschen aus dem fünften Stock runter kommen und ihre Sendung entgegennehmen würden“, sagt der 59-Jährige.
Eine Frau, die er beliefere, erzählt er, freue sich regelrecht, wenn sie die Post an der Tür abholen könne. Sie habe erzählt, sie sei im Home-Office und freue sich, wenn sie endlich mal einen Grund habe, um an die Tür zu gehen. So hätten beide etwas davon.
Trotz vieler Kontakte keine Angst vor Corona
Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus hat Kiefer nicht. Und das, obwohl er am Tag mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt kommt. Und er auch manchmal Kunden ermahnen müsse, dass sie den erforderlichen Mindestabstand einhalten sollen.
Bisher seien er und seine Kollegen aber glücklicherweise weitestgehend von einer Infektion mit dem Virus verschont geblieben. „Das liegt bestimmt an unserem guten Immunsystem, weil wir bei Wind und Wetter draußen sind“, mutmaßt er. Dann steigt er wieder in sein gelbes Postauto, um die nächste Sendung bei seinem Empfänger abzuliefern.