Einen Perspektivwechsel hat Kerstin Krieglstein ihren Start als Rektorin der Universität Freiburg genannt. Sie wolle „gut zuhören und daraus eine Agenda für die kommenden Jahre ausarbeiten“, ergänzte sie in der Video-Botschaft zur Begrüßung der Hochschulmitglieder zum 1. Oktober.

Nach zwei Jahren in Konstanz: Rückkehr nach Freiburg
Gemeint war ihre neue Rolle an alter Wirkungsstätte: Krieglstein war bis 2018 elf Jahre in Freiburg Professorin, deren Leitung sie nun nach zwei Jahren als Konstanzer Rektorin übernommen hat. Der Perspektivwechsel passt aber auch sonst ins Bild.
Statt den bis mindestens 2026 währenden Konstanzer Exzellenz-Status verteidigen zu können, tritt die 57-Jährige nun von vorn an: Freiburg ging bei der Bewerbung um Förder-Millionen der Exzellenzinitiative zuletzt leer aus.

Ein überraschend früher Abschied als Konstanzer Rektorin
An der Uni Konstanz sorgte der überraschend frühe Abschied der Rektorin, der durch Recherchen des SÜDKURIER im Frühling öffentlich geworden war, für Unruhe zur Unzeit: Mitten in einer Pandemie musste eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gesucht werden.
Untätig war die Findungskommission unter Vorsitz von Henrike Hartmann seit Sommer nicht. Am 9. Dezember stehen mit Malte Drescher und Katharina Holzinger zwei Kandidaten zur Wahl – interne Kandidaten, wohlgemerkt: Chemie-Professor Drescher arbeitet seit 2008 auf dem Gießberg und ist aktuell Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs; Holzinger hat dort seit 2007 einen Lehrstuhl für Internationale Politik inne.

Sorgen vor einem neuerlichen frühzeitigen Abschied?
Ist der Blick auf die Stärken im eigenen Haus also eine Reaktion auf 2018, soll mit der Wahl diesmal das Risiko eines erneuten vorzeitigen Abschieds minimiert werden? Die Identifikation mit Konstanz ist bei Malte Drescher und Katharina Holzinger als langjährige Mitarbeiter wohl höher einzuschätzen als der eines Rektors von außerhalb.
Tatsache ist: Außer Drescher und Holzinger, zwischen denen nun entscheiden wird, hatten sich sonst nur 15 externe Kandidaten beworben, wie Uni-Pressesprecherin Julia Wandt auf Anfrage bestätigt. Vier davon sind laut Wandt neben den beiden Konstanzer Professoren von der Findungskommission zu Gesprächen eingeladen worden.
„Vorgeschlagen, weil sie die besten Bewerber waren“
Marius Busemeyer, Professor für Politikwissenschaften und Mitglied Kommission, betont: Beide jetzt zur Wahl stehenden Kandidaten seien „exzellent qualifiziert, fachlich wie in Fragen der Hochschulführung“. Drescher und Holzinger „werden nicht vorgeschlagen, weil sie an der Uni Konstanz arbeiten, sondern weil sie schlicht und einfach die besten Bewerber waren“, sagt Busemeyer.
Geteilte Meinungen über Kerstin Krieglstein
Bei aller Überraschung über den frühzeitigen Abschied von Kerstin Krieglstein: Vorsichtig formuliert war nicht jeder böse darüber. Die Meinungen hinsichtlich ihrer Arbeit gehen weit auseinander. Sie reichen von großer Wertschätzung, unter anderem für die Weiterentwicklung der Uni Konstanz zu einer nachhaltigeren und diverseren Hochschule, bis zu deutlicher Kritik am Führungsstil.
Aus Kreisen der Professorenschaft hieß es gegenüber dem SÜDKURIER, Krieglstein agiere spröde, eine Kommunikation auf Augenhöhe finde kaum statt, bisweilen sei ihr Ton schroff bis respektlos gewesen. Sie habe, so hieß es hinter vorgehaltener Hand, nie richtig nach Konstanz gefunden und gepasst.
Nach Abschied voll des Lobes für Konstanz
Die Kritisierte selbst dementierte all dies stets. Ähnlich wie zuvor auf Anfragen des SÜDKURIER nannte Krieglstein die Uni Konstanz, die ihr „sehr ans Herz gewachsen“ sei, nach ihrer Wahl zur Freiburger Rektorin „herausragend“. Die Entscheidung zwischen „diesen beiden außerordentlich erfolgreichen Universitäten ist mir sehr schwergefallen“, ergänzte sie in einem Presse-Statement.
Andererseits sorgten in der Konstanzer Gesellschaft auch ihre seltenen öffentlichen Auftritte bei gesellschaftlichen Veranstaltungen oder die Beibehaltung eines Hauses nahe der alten Heimat Freiburg für Verwunderung
Kritik, Lob und ein Offener Brief
Als die Kritik an Führungsstil und mangelnder Zugänglichkeit öffentlich wurde, schlug der 57-Jährigen eine Woge der Unterstützung entgegen. Auch die organisierten Studierenden waren irritiert über den Unmut gegenüber ihrer Rektorin.
In einem Offenen Brief, der im großen Kreis per E-Mail versendet und von einer Online-Petition flankiert wurde, hieß es: Ihre Arbeit sei „von Besonnenheit und Augenmaß“ geprägt, ihr Führungsstil „zielorientiert“, sie habe „Raum für Eigenverantwortung“ gelassen. Letztlich unterzeichneten ihn knapp 450 Personen – bei insgesamt rund 13.000 Menschen, die an der Uni Konstanz studieren oder arbeiten.
Warum äußern sich die Kritiker nicht öffentlich?
Ein Professor, der dort seit mehr als zwei Jahrzehnten über einen Lehrstuhl verfügt, hatte versprochen, nach der Wahl in Freiburg – unabhängig ihres Ausgangs – mit seinem Namen zu seiner deutlichen Kritik stehen zu wollen. Er war einer von mehreren, die damals gegenüber der Redaktion von atmosphärischen Störungen und fehlender Wertschätzung für das Kollegium berichteten.
Warum er sich bis heute nicht aus der Deckung wagt, hat zwei Gründe: Erstens stammt er aus dem näheren Umfeld eines der Kandidaten. Mit der Nennung seines Namens oder der Funktion könne die Bewerbung torpediert werden, erklärt der Mann, der mit der Nachfolgerin oder dem Nachfolger auf „eine Politik des Vertrauens statt Misstrauens“ hoffe.
Gerüchte über Frauenfeindlichkeit als Auslöser der Kritik
Zweitens – und dies sei der gewichtigere Grund: Im Anschluss an die damalige Berichterstattung seien auf dem Gießberg Gerüchte verbreitet worden, diese Kritik könne nur von einem Frauenfeind stammen. Auch in der Petition wurde hierauf abgehoben.
„Mir ist Frauenfeindlichkeit fremd und der Vorwurf ist auch nachweislich absurd, weil ich in meiner Karriere vielfach kollegial mit Frauen zusammengearbeitet und auch Forscherinnen gefördert habe“, sagt der Professor. Der Blick auf die Liste seiner bisherigen Publikationen, die teils auch mit Co-Autorinnen verfasst wurden, belegt zumindest die geschlechterübergreifende Zusammenarbeit. „Es liegt mir daher auch nichts ferner, als das Rektorenamt einer Frau nicht zuzutrauen, meine Kritik hatte nichts mit dem Geschlecht zu tun.“
Ihm sei es daran gelegen – und das wiederum eint Kritiker wie Unterstützer der früheren Rektorin – in die Zukunft zu blicken: Unabhängig davon, ob Malte Drescher oder Katharina Holzinger gewählt wird.