Gemeinschaft ist ein Begriff, den die Pandemie mit einer völlig neuen Bedeutung versehen hat. Doch sie ist es, worauf es vor allem im Vereinsleben ankommt. Der Gesangverein singt nicht mehr, der Sportverein treibt keinen Sport mehr, der Schwarzwaldverein wandert nicht mehr – die Vereine haben fast zwei Jahre lang eine Zwangspause eingelegt. Schuld daran trug die Pandemie, die vor allem 2020 und 2021 besonders heftig gewütet hat. Hat die Corona-Krise der Solidarität in der Gesellschaft geschadet oder den Zusammenhalt in den Vereinen zerstört?

Eine Gemeinde – zwei Vereine – eine Liebe

Nein, sagt Harald Schütz vom TV Ehingen. Er ist beim Turnverein Leiter der Abteilung Handball. „Natürlich hat uns die Pandemie hart getroffen, das ging allen Vereinen so“, sagt er. Aber diese schwierige Zeit habe seiner Ansicht nach auch etwas Gutes zu Wege gebracht. „Ich finde nicht, dass der Zusammenhalt verloren ging. Er wurde vielmehr gestärkt“, so Harald Schütz weiter. Was er damit meint: Über die Corona-Zeit habe der Verein kaum bis gar keine Mitglieder verloren. „Es sind alle sprichwörtlich am Ball geblieben“, sagt Schütz: Dies zeige die tiefe Verbundenheit der Mitglieder mit dem TV Ehingen.

Dabei war gerade die Corona-Zeit für die Handball des TV Ehingen – eigentlich wie für alle Vereine und Organisationen – eine herausfordernde. „Zum Teil haben wir mit bis zu 40 Spielern oder Kindern in einer Halle trainiert“, erinnert sich Schütz. Dies sei vor allem der Tatsache geschuldet gewesen, dass die Kreissporthalle über einen langen Zeitraum nicht mehr zur Verfügung stand und zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert wurde.

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Und noch ein Umstand zeigt, dass die Vereine in Mühlhausen-Ehingen unfassbar eng miteinander verbunden sind: Die Fußballer des SV Mühlhausen und die Handballer des TV Ehingen haben in der Zwischenzeit die Vereinsfreundschaft wieder aufleben lassen. „Es ist Wahnsinn, was die Fußballer bei unseren Heimspielen für Stimmung machen“, betont Schütz. Unter dem Motto „Eine Gemeinde – zwei Vereine – eine Liebe“ würden sich die Mannschaften und Mitglieder gegenseitig anfeuern.

Sie singen für ihr Leben gern: die Popcorner.
Sie singen für ihr Leben gern: die Popcorner. | Bild: Andreas Kochlöffel

„Jedes Mitglied ist uns wichtig!“

Zwei, die das wissen müssen, sind Melinda Liebermann und Ilona Grudda. Wenn sie über ihre Liebe zum Gesang sprechen, dann nimmt man ihnen dies zu voll und ganz ab. Schon beim Kennenlernen sagt Melinda Liebermann, dass jeder Mensch singen kann. Auch der kopfschüttelnde Redakteur wird spontan gebeten, eine Gesangsübung zu vollziehen und siehe da: „Wir würden Dich nehmen als Tenor“, sagt Melinda Liebermann. Sie muss es wissen, schließlich leitet sie die Popcorner seit deren Gründung als Dirigentin.

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Seit 2006 gibt es die Popcorner Singen, Ilona Grudda und Melinda Liebermann sind schon seit Beginn dabei. Damals noch als Interessensgemeinschaft. „Da steckt das Wort Gemeinschaft ja schon drinnen“, sagt die Vorsitzende Ilona Grudda. Und genau die Gemeinschaft unter den Sängern sei es, welche die Popcorner auszeichnet. „Wir lieben das gemeinsame Singen“, sagt sie.

So stärken Vereine die Gemeinschaft

Die Popcorner sind 43 Sängerinnen und Sänger aus allen Schichten, aus allen Altersklassen. Das jüngste Mitglied ist 21 Jahre alt, das älteste geht auf die 80 zu und ist 77 Jahre alt. „Jedes Mitglied ist uns wichtig“, sagt Melinda Liebermann. Dass dies nicht nur eine leere Phrase ist, das macht Ilona Grudda deutlich: Denn sollte ein Mitglied bei einem Konzert oder einer Probe fehlen, dann würde das den Klang verfälschen.

Jeder hat seine eigene Stimme

Besonders schmerzhaft zu erfahren sei dies während der Corona-Zeit gewesen. Über 1,5 Jahre hätten die Popcorner laut Grudda nicht gemeinsam singen dürfen. „Jeder hatte nur seine eigene Stimme, aber alle Stimmen gemeinsam, das macht die Popcorner aus. Nichts ersetzt das gemeinsame Singen“, sagt sie.

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Gesang sei für beide das beste für Körper und Seele. „Das wichtigste bei einer Gemeinschaft ist es, dass man aus dem Alltag ausbrechen kann. Gemeinschaft ist ein Gefühl, angenommen zu sein – egal ob bei einem guten oder einem schlechten Tag“, sagt Melinda Liebermann. Das Wort Wohlfühlatmosphäre fällt in dem Gespräch oft.

Die Popcorner singen ausschließlich auf Englisch. Gospel, Pop, Musical. Die Sänger kommen aus Singen, Gottmadingen, Rielasingen, Steißlingen, Hilzingen, Engen, Radolfzell, Bohlingen, Schienen, Stockach und sogar aus der nahen Schweiz. „Wir Popcorner bringen alle zusammen“, sagt Melinda Liebermann und lacht auf ihre unnachahmliche Art.

Gemeinschaft – nicht nur in guten Tagen

Auf die Gemeinschaft bauen, das macht auch der FC Radolfzell. Nicht nur heute, aber besonders in den vergangenen Tagen. Vor einigen Tagen liegen auf dem Spielfeld zerstörte Fußballtore sowie zerschlagene Stühle und Tische. Unbekannte haben große Teile des Mettnau-Stadions verwüstet. Daneben liegen umgekippte Blumenkübel und Schirme, der Grillwagen ist aufgebrochen. Ein Video, das in sozialen Netzwerken kursiert, zeichnet ein brutales Bild der Zerstörung.

Stefan Salzborn, Vorsitzender FC Radolfzell: „In einem Verein kommen all jene zusammen, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen. ...
Stefan Salzborn, Vorsitzender FC Radolfzell: „In einem Verein kommen all jene zusammen, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen. Dies ist der Grundstein jeder Vereinsgemeinschaft.“ | Bild: Georg Lange

Am Tag danach rückt der FC Radolfzell sprichwörtlich zusammen. Gemeinsam geht es ans Aufräumen. Alle packen mit an. Gleich am Montagmorgen hätten sich laut dem FC-Vorsitzenden Stefan Salzborn Vereinsmitglieder getroffen, um aufzuräumen und zu putzen. „Das einzig Gute an dieser Sache war die breite Solidaritätswelle, die uns entgegengeschwappt ist“, sagt er.

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Vereinsarbeit sei für ihn nicht nur guten Zeiten wichtig. „In einem Verein kommen all jene zusammen, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen. Dies ist der Grundstein jeder Vereinsgemeinschaft“, so Salzborn. Für ihn böten Vereine die Fläche, um Integration in deren Ursprung zu leisten. „Egal woher die Leute kommen, sie spielen bei uns alle zusammen. Wir wollen einfach alle gemeinsam kicken.“