Die Stimmung knistert. Die 16 Besucher, die bei der öffentlichen Fraktionssitzung der Freien Grünen Liste den fünf Stadträten Zekine Özdemir, Daniela Löchle, Gisela Kögel-Hensen, Thilo Sindlinger und ihrem Sprecher Siegfried Lehmann sowie der Ortsverbandsvorsitzenden Susanne Pantel gegenübersitzen, fällen ein eindeutiges Votum. Das geplante Feriendorf im Biotop Streuhau hinter der Bora-Sauna im sogenannten Gebiet „Herzen“ in Radolfzell schmeckt ihnen nicht: „Muss da grundsätzlich was gemacht werden? Wir Bürger wollen das gar nicht“, heißt es unter Beifall am Tisch in der Villa Windschief.
Siegfried Lehmann verhehlt nicht, dass er viel Sympathie für diese Position aufbringen kann. „Für mich galt im Herzen immer, bis zur Bora-Sauna und Bora-Hotel, aber dann ist Schluss.“ Schluss mit einer Bebauung, Schluss mit einer touristischen Verwertung des Gebiets, das sich inklusive Bodenseereiter-Areal bis zum Naturschutzgebiet Aachried zieht. Doch so einfach sei die Sache nicht, auch die Mitglieder der Freien Grünen Liste müssten Mehrheiten suchen: „Wir entscheiden das nicht alleine, wir sind sieben von 27 Stimmberechtigten im Gemeinderat.“
Lehmann: „Sehr komplexe Situation“
Dann dröselt der Vorsitzende der Fraktion die „sehr komplexe Situation“ auf. Der Grundsatz, nach der Bora komme die Natur, gelte nur bis zum Gelände des Bodenseereiters: „Dort war immer eine Freizeitnutzung geplant, dafür gab es immer eine Mehrheit“, blickt Lehmann auf die Geschichte im Westen des Herzen-Areals zurück. Die Naturschutzverbände hätten als höherrangiges Ziel ausgegeben, möglichst das Aachried als Naturschutzgebiet zu schützen. „Deshalb ist es zum Vorschlag mit dem Tausch der Schutzgebiete gekommen.“
Doch so einfach sei dieser Tausch auch nicht. Zum Bodenseereiter, dessen Gelände unmittelbar an das Aachried grenzt, gehören zwei Steganlagen, die einer Segelgemeinschaft und der Steg des Technischen Hilfswerks. Sollte es zur Ausweisung als Schutzgebiet kommen, „müsste das ganze Gerümpel Richtung See weg“, so Lehmann. Der Streuhau sei ein Beispiel, wie die Natur wächst. „Wenn man nichts macht, entsteht ein Biotop.“ Selbst auf einer „Schutte“, wie im Alemannischen früher die Deponien hießen. Lehmann drückt es etwas vornehmer aus: „Der Streuhau ist ein Aufschüttungsgebiet, das alte Feuerwehrgerätehaus liegt da.“
Vom Umgang mit schutzwürdigen Gütern
Die Steine und Balken des alten Feuerwehrgerätehauses sind für viele Radolfzeller immer noch ein schmerzendes Beispiel, wie mit erhaltenswerten Gütern in der Stadt umgegangen worden ist. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde 1980 am Untertorplatz für den Neubau der Stadtwerke abgerissen. Zuvor hatten Jugendliche das Gebäude besetzt, sie wollten dort endlich ihren Traum vom selbstverwalteten Jugendhaus verwirklichen.
Nun ist auf diesen Steinen ein Biotop gewachsen, die Überbleibsel des Feuerwehrgerätehauses sind ein zweites Mal „geschützt“. Jedenfalls bis zum Aushub für ein Feriendorf. Lehmann bleibt skeptisch gegenüber der Idee, Streuhau und Bodenseereiter zum Naturschutzgebiet zu erklären: „Dafür werden wir keine Mehrheit bekommen.“ Es gehe darum, auszuloten, wo man etwas von seiner Position retten kann. Über das Feriendorf könne man ja reden, aber als er die Pläne gesehen habe, sei er überrascht und verärgert gewesen: „Jetzt kommt so ein Riesenteil mit einem Hotel dahin.“ Für ihn steht fest: „Wenn wir dem zustimmen, machen wir uns die Hände schmutzig.“
Protest an den Tischen
Der Protest an den Tischen wird laut und ungehalten. Von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid ist die Rede. Claudia Meßmer, für die der Erhalt des Biotops im Streuhau ein Herzensanliegen ist, schiebt eine Warnung an die Mitglieder der FGL-Fraktion und den Gemeinderat nach: „Wir nehmen das nicht hin.“