Mehrere Minuten nahm die Verlesung der Vorstrafen mit 23 Einträgen in Anspruch. Gefährliche Körperverletzung, Diebstahl, räuberische Erpressung, Betrug, Urkundenfälschung, Hausfriedensbruch, unerlaubter Besitz und Erwerb von Betäubungsmitteln, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung – die Liste der begangenen Straftaten ist lang.
Dieses Mal saß der 40-Jährige wegen Diebstahl auf der Anklagebank. Der Radolfzeller wurde beschuldigt, am 23. April 2021 zwischen 17 und 17.30 Uhr ein gesichertes Fahrrad vor einem Supermarkt in der Böhringer Straße gestohlen zu haben. Dafür wurde er vom Amtsgericht zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Angeklagte, der sich aktuell wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Haft befindet, räumte die Tat ein. Allerdings habe er das Fahrrad nicht stehlen wollen, wie er dem Gericht schilderte. Er habe das Rad lediglich umgeparkt. Das Zweirad, das vor dem Eingang des Supermarktes stand, habe er auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter der Terrasse einer Pizzeria abgestellt und sei dann gegangen, berichtete der Mann.
Jeder hätte das Fahrrad mitnehmen können
Das Fahrrad hätte ein Schloss um das Hinterrad gehabt, sei aber nirgendwo zusätzlich gesichert gewesen, sagte er. Der 40-Jährige habe das Hinterrad angehoben und hätte das Fahrrad dann geschoben. „Das Fahrrad hätte jeder mitnehmen können“, war sich der Angeklagte sicher.
Und dennoch: „Ein Schloss ist ein Schloss. Es bedeutet das Fahrrad gehört mir und du darfst es nicht mitnehmen“, versuchte Richterin Ulrike Steiner dem vorbestraften Angeklagten klar zu machen. „Wieso haben Sie das Fahrrad umgeparkt?“, fragte Steiner.
Laut dem Angeklagten sei der Besitzer des Zweirades ein komplizierter Mensch und in der Stadt für seine unangenehme Art bekannt. „Er pöbelt manchmal die Leute in der Stadt einfach an. Da dachte ich mir, bevor ich dem einfach eine auf die Ampel haue...“, sagte der Angeklagte und ließ den Satz offen. Er habe ihm einen Streich spielen wollen, erklärte der 40-Jährige seine Beweggründe.
Sein Verteidiger Oliver Merle fragte ihn, ob er zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal an der Stelle vorbeigelaufen sei. Dies bejahte der Angeklagte. „Als ich etwa eine Stunde später dort vorbeigelaufen bin, stand das Fahrrad noch da. Am Tag darauf habe ich nochmal nachgesehen und es war weg.“
Verteidiger sieht keine strafrechtliche Relevanz
Verteidiger Merle sieht in der Tat seines Mandanten keine strafrechtliche Relevanz. Er habe den Sachverhalt im Vorfeld nochmals gründlich geprüft. „Es scheitert an der Aneignungsabsicht.“ Sein Mandant habe dem Geschädigten zwar einen Streich spielen wollen, aber das begründe keine Aneignungsabsicht, so Merle. Daher handle es sich nicht um einen Diebstahl.
Der Geschädigte selbst machte am Verhandlungstag eine Zeugenaussage. Er sei an dem 23. April mit dem Fahrrad zum Supermarkt gefahren, um Einkäufe zu erledigen. Dort sei er von dem Angeklagten angesprochen worden, was für ein schönes Fahrrad er doch habe. Als der Mann mit dem Einkauf fertig war, bemerkte er, dass sein Fahrrad weg war. Er sei um den Einkaufsmarkt gelaufen, habe die umstehenden Personen gefragt, ob sie etwas gesehen hatten. Eine von ihnen habe ihm gesagt, ein Mann mit dunkler Hose und weißer Jacke habe das Fahrrad weggetragen.
„Die Beschreibung passte auf den Angeklagten“, sagte der Geschädigte. Daraufhin habe er sich bei der Polizei gemeldet. „Zunächst habe sich nichts getan, später wurde ich zu einer Personenidentifikation eingeladen. Ich habe ihn auf dem Foto sofort wiedererkannt“, sagte der Mann und blickte zu dem Angeklagten, der schon für viele Vergehen verurteilt wurde.
Zahlreiche Straftaten in jungen Jahren
Die erste Straftat habe der 40-Jährige aus Radolfzell 1996 als Jugendlicher begangen. Er sei in den darauffolgenden Jahren mehrmals in Jugendarrest gewesen. Der gelernte Fahrzeuglackierer habe bis zu seiner Inhaftierung Anfang dieses Jahres Arbeitslosengeld bezogen und Schulden in Höhe von rund 7000 Euro angesammelt. „Die Aktion war nicht wirklich eine Heldentat, nicht wahr“, fasste Richterin Ulrike Steiner zusammen.
Nach einer Beratungspause kam es zum Urteil. „Das Gericht hat dem Angeklagten nicht geglaubt, dass er das Fahrrad nur dazu verschoben hatte, um den Geschädigten zu ärgern“, sagte die Richterin. Er habe sich, wenn auch nur vorübergehend, das Rad angeeignet. Deswegen sei der Tatbestand erfüllt.
„Zu Lasten des Angeklagten sprechen die unzähligen einschlägigen Vorstrafen, dass er die laufende Bewährung nicht eingehalten hat und es mehrfach zu Versäumnissen gekommen ist.“ Der Angeklagte habe verordnete Termine bei der Alkoholberatung sowie Treffen mit der Bewährungshelferin nicht wahrgenommen. Arbeitsauflagen von 200 Stunden wurden nicht erfüllt.
Aus diesen Gründen sei eine Bewährungsstrafe in diesem Fall nicht möglich. Die Richterin stimmte dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft, einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu verhängen, zu. „Der Angeklagte hat dem Gericht keinen Anlass gegeben, zu glauben, dass er verstanden habe, dass er keine Straftaten mehr begehen darf. Mit einer Geldstrafe ist er nicht mehr zu erreichen“, so Richterin Ulrike Steiner.