
Wer Klettern liebt, der braucht Abwechslung. Das finden Marcel Dippon und Ramon Patone, die zusammen das Kletterwerk in Radolfzell leiten. „Wenn man eine Route geschafft hat, will man etwas Neues machen und nicht die gleiche noch einmal“, erklärt Dippon. Genau deshalb braucht es ihn. Der 32-Jährige ist seit zwölf Jahren Routenbauer.
Mindestens einmal pro Woche stecken er und Ramon Patone, der Geschäftsführer des Kletterwerks, daher sechs oder sieben Routen neu – meist morgens am Montag, Mittwoch oder Freitag. Denn an diesen Tagen öffnet das Kletterwerk erst nachmittags. „Während dem laufenden Betrieb geht es aus Sicherheitsgründen nicht“, erklärt Dippon, der seit seiner Jugend selbst klettert und so zum Routenbauen kam. Doch wie sieht seine Aufgabe eigentlich genau aus?
Hinter dem Routenbauen steckt deutlich mehr Arbeit, als man auf den ersten Blick sieht. Um die neue Route stecken zu können, müssen zunächst die alten Griffe raus – und zwar in großer Höhe. Dafür muss Marcel Dippon nicht nur schwindelfrei sein, sondern zunächst eine Hebebühne in Position bringen, die ihn später an die richtige Stelle fährt.
Heute ist die 16 Meter hohe grüne Wand in Kletterhalle 2 an der Reihe. Die Routen dort stecken bereits am längsten. Ausgestattet mit einem Akkuschrauber und Kisten, in die die abmontierten Griffe kommen, geht es dann in die Höhe.
Dort werden die alten Griffe aus der Wand rausgeschraubt. „Das ist reines Handwerk. Einfach rausschrauben, so schnell es geht, um Zeit für das Stecken der neuen Route nachher zu sparen“, sagt der Routenbauer, während er den Schrauber ansetzt.
Die Griffe sind nach mehreren Wochen in der Wand meist abgegriffen. „Die Leute benutzten Magnesium für einen besseren Halt. Zusammen mit Hautschuppen bleibt das auf den Griffen zurück, weswegen die immer glatter werden und schwerer zu greifen sind“, sagt Dippon.

Die abmontierten Griffe werden daher im Keller nach Farbe und Material sortiert und kommen dann in die Wäsche. Dazu werden sie in Wasser eingeweicht und danach dem Hochdruckreiniger gesäubert.

Im Keller des Kletterwerks befindet sich auch ein großes Lager mit Griffen in allen Farben, Formen und Größen. Bevor Ramon Patone und Marcel Dippon die neuen Routen stecken können, bereiten sie die neuen Griffe hier im Keller vor. Dafür stecken sie bereits die Schrauben in die Griffe. „Hinten sollten sie eine Daumenbreite rausschauen, damit sie fest genug in der Wand halten“, sagt Patone.
Marcel Dippon hat sich am Abend zuvor bereits Gedanken über die neuen Routen gemacht. Doch alles, was er festlegt, sind Farbe und Schwierigkeitsgrad von 1 bis 10 einer Route, keine Details. „Das wäre zu viel Aufwand und bringt nichts“, sagt er. Auf seinem Notizzettel stehen daher nur sechs Zahlen und sechs Farben – zum Beispiel eine grüne Route in der Schwierigkeit 6. „Dafür benötigen wir bei 15 Metern Höhe ungefähr 30 Griffe und ein paar Tritte für die Füße“, erklärt er. Alle für eine Route benötigten Teile kommen dann in eine Kiste.

Die Farbkombinationen sollen cool aussehen, sagt Dippon. Aber es gibt dabei auch einige Regeln zu beachten, erklären die beiden: Griffe der gleichen Farbe sollten nicht in einer Reihe verlaufen, das sehe langweilig aus. Zudem dürfen ähnliche Farben nicht nebeneinander verlaufen, da man sie verwechseln könnte, wenn erst einmal etwas Magnesium darauf ist. So seien zum Beispiel Rot und Pink oder Weiß und Mint tabu.
Auch Grün und Rot dürfen nicht nebeneinander. „Wer so wie ich eine Rot-Grün-Schwäche hat, verwechselt die Routen sonst“, erklärt Patone. Zudem sind die Teile aus verschiedenen Materialen: Manche sind härter und langlebiger, andere dafür weicher und geben nach. Sie eigenen sich besonders für sehr dünne Griffe.
Pro Strecke dauert es 20 bis 30 Minuten
Da die beiden diesmal gemeinsam die neuen Routen stecken, nehmen sie gleich zwei Kisten auf einmal mit in den Korb der Hebebühne und stecken parallel – jeder seine eigene Route. „Wir arbeiten beide im gleichen Tempo, daher funktioniert das gut“, sagt Patone. Während Anfänger bis zu zwei Stunden für eine Route brauchen würden, könnten sie eine einfache Strecke in 20 bis 30 Minuten stecken.
„Das Reinschrauben ist ein kreativer Prozess, das geht länger als das Rausschrauben“, sagt Dippon. Eine Ausbildung, um das zu lernen, gebe es nicht. „Bei mir war es ‚learning by doing‘“, wie er beschreibt – also Lernen durchs Ausprobieren. Dann habe er sich als Routenbauer selbstständig gemacht und eine Kletterhalle in Heilbronn geleitet. Nun ist er seit einem Jahr in Radolfzell.
Patone ergänzt: „Man hat immer Ideen im Kopf, die gehen einem nie aus.“ Auch nicht nach zwölf Jahren. Welcher Griff wohin kommt, entscheiden sie jeweils spontan. „Wir sind beide erfahrene Kletterer, daher können wir einschätzen, was den Leuten Spaß macht und was spannend, aber noch kletterbar ist“, sagt Marcel Dippon.
Wichtig: Die Abstände zwischen den einzelnen Griffen dürfen nicht zu groß sein, sonst würden kleine Menschen benachteiligt. „Die Schwierigkeit erhöhen wird durch Größe und Form des Griffs, nicht durch Abstände“, erklärt der Routenbauer.
Zudem bauen die beiden immer wieder größere Teile ein, die ein bergiges Gelände simulieren sollen. Dadurch werde die Wand dreidimensional und die Kletterer müssen auch mal den Körper vor oder zurückbewegen, erklärt Patone. „Und solche großen Teile funktionieren oft als Eyecatcher. Das ist wie beim Essen: Was gut aussieht und auffällt, wollen die Leute haben“, sagt er.

Das Problem dabei sei, sagt Dippon, dass man die Abstände vom Korb aus einschätzen muss und nicht sofort selbst testen kann. „Deshalb braucht man Erfahrung als Kletterer, um einschätzen zu können, was macht den Leuten Bock und wie schwierig sind bestimmte Griffe“, sagt er.
Erst wenn alle Routen stecken, probiere er sie selbst aus. Notfalls müssen die beiden einzelne Tritte dann noch einmal versetzen, ehe sie die Kundschaft auf ihre neuen Routen loslassen können.