Dass es Kommunen an Personal fehlt, hört man immer wieder. Anfang 2021 fehlten dem Staat nach Einschätzungen des Beamtenbundes fast 330.000 Mitarbeiter. Und auch ganz aktuell sorgt Personalmangel in Radolfzell durch den Kita-Notstand für Aufruhr. 22 Stellen sind laut Oberbürgermeister Simon Gröger derzeit allein in Betreuungseinrichtungen offen. Um in dem Bereich Mitarbeiter zu gewinnen, wurde in der Vergangenheit sogar auf Radio- und Onlinewerbung gesetzt. Aber auch woanders gibt es Bedarf: Mit den neuen Stellen, die nach der jüngsten Haushaltsberatung geschaffen werden sollen, gibt es zusätzlich 26 unbesetzte Stellen in anderen Verwaltungsbereichen.
Was die Personalfindung schwer macht
Die Gründe sind vielfältig. Zum einen macht auch der Radolfzeller Stadtverwaltung der allgemeine Fachkräftemangel zu schaffen, wie der OB und Angelique Augenstein, Leiterin des Dezernats für nachhaltige Stadtentwicklung und Mobilität, berichten. „Der Fachkräftemangel nimmt rein demografisch zu“, erklärt Simon Gröger. Die sogenannte Babyboomer-Generation, die Mitte der 1950er-Jahre bis etwa Ende der 1960er-Jahre geboren wurde, geht nach und nach in Rente und weniger junge Menschen kommen nach. Zum anderen hätten sich nicht zuletzt durch Corona die Lebensentwürfe vieler Menschen geändert.
Außerdem seien in vielen Städten und Gemeinden Stellen unbesetzt, potenzielle Mitarbeiter hätten so eine große Auswahl. Und auch mit der freien Wirtschaft konkurriere die Stadtverwaltung Radolfzell je nach Fachbereich, gibt Angelique Augenstein zu bedenken, zum Beispiel im Tiefbau.
114 zusätzliche Stellen seit 2015
Doch nicht nur bestehende Stellen müssen besetzt werden, sondern auch neue – und das werden immer mehr. 2015 verzeichnete die Stadtverwaltung noch 392 Vollzeitstellen, nach der jüngsten Haushaltsberatung sollen es 2023 schon 506 sein, wie Simon Gröger berichtet. Über 70 davon seien allein in der Kinderbetreuung dazu gekommen.
In der jüngsten Haushaltsberatung wurde viel Kritik geäußert, dass die Stadtverwaltung unverhältnismäßig wachsen würde. Laut Simon Gröger und Angelique Augenstein gibt es aber – auch zusätzlich zum Ausbau der Kinderbetreuung – mehrere Gründe dafür.
Warum braucht es so viele Mitarbeiter?
„Wir merken, dass die Aufgaben einer Stadtverwaltung vielfältiger werden“, erklärt der Oberbürgermeister. Rechtsgrundlagen hätten sich geändert und die Erwartungen an die Stadtverwaltung seien vielfältig. Dann sind da die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, die ebenfalls die Stadt beschäftigten. „Das sind Sonderaufgaben, die sich bei uns niederschlagen“, so Gröger.
Und: „Wir wollen ja nicht nur reagieren, sondern agieren.“ Mit mehreren Projekten, etwa dem Dialogforum Wohnen und dem Klimaschutzkonzept, das in diesem Jahr veröffentlicht und das jedes Jahr bilanziert werden soll, wolle man die Stadt weiterentwickeln. Dafür gibt es nun unter anderem auch eine Klimaschutzmanagerin und einen Radverkehrskoordinator in der Stadtverwaltung. Auch die Stabsstelle für Umwelt-, Klima- und Naturschutz wurde 2022 neu ins Leben gerufen.
Neue Aufgaben auch durch Bevölkerungswachstum
Angelique Augenstein betont, dass es auch andere Entwicklungen gebe, die bei der Stadt für zusätzliche Aufgaben sorgen. Derzeit werde etwa der Zensus erarbeitet. „Je nach Ergebnis kann es sein, dass sich neue Aufgaben ergeben.“ Denn diese orientieren sich zum Teil an Bevölkerungszahlen, ab 30.000 Einwohnern sind Gemeinden zum Beispiel Träger der Straßenbaulast für Ortsdurchfahrten im Zuge von Landesstraßen und Kreisstraßen.
Allerdings muss das benötigte Personal auch erst einmal irgendwo herkommen. Wie Oberbürgermeister Simon Gröger berichtet, sei die Bewerberlage unterschiedlich je nach Stelle, die ausgeschrieben werde. Zum Teil gebe es viele Interessenten, zum Teil komme es aber auch vor, dass sich niemand bewerbe, der die geforderten Qualifikationen mitbringt. „Wir versuchen, da nicht zu statisch zu sein“, sagt er. Meint: Wer nicht ganz die Anforderungen an eine Stelle erfüllt, der könne womöglich in einem anderen Verwaltungsbereich eingesetzt werden. Und: „Wir müssen uns überlegen, ob wir bereit sind, mehr Quereinsteiger einzustellen“, sagt Angelique Augenstein.
Neue Philosophie soll Mitarbeiter fördern und halten
Auch durch andere Maßnahmen versuche die Stadt, Personal zu gewinnen. So sei mit Gröger eine neue Philosophie eingezogen: „Wir vertrauen den Fachleuten in den Verwaltungsbereichen“, sagt der Oberbürgermeister. Man wolle, dass die Mitarbeiter sich selbst einbringen. Und sollte einer von ihnen in Erwägung ziehen, den Arbeitgeber zu wechseln, so wolle man Gespräche suchen und Lösungen finden.
Ebenso setze man sich schon jetzt dafür ein, in Schlüsselpositionen rechtzeitig nach Nachfolgern zu suchen oder Mitarbeiter entsprechend zu entwickeln.
Stadt will attraktiver werden
Entwickeln soll sich auch räumlich etwas: So soll das Sparkassengebäude am Marktplatz künftig neben dem Rathaus als neuer Schwerpunkt der Verwaltung etabliert werden, so Gröger. Erst kürzlich sei Angelique Augensteins Abteilung dorthin umgezogen. Dadurch werde nicht nur die Raumsituation entzerrt. Durch die räumliche Nähe werde auch der Austausch unter den Mitarbeitern verbessert.
Wie Angelique Augenstein ankündigt, überlege man auch, den Mitarbeitern Angebote für die Mittagspause zu machen. So sollen die Stellen attraktiver werden. Denn, so betont Simon Gröger: „Wir sind gezwungen, uns als Arbeitgeber zu reflektieren und attraktiver zu gestalten.“
Interkommunale Lösungen sollen her
Allerdings sieht Simon Gröger die Stadt Radolfzell beim Thema Personal nicht als Alleinkämpfer. „Ich glaube, das wird eine Landesaufgabe sein“, sagt er. Man müsse etwa überlegen, welche Aufgaben am besten beim Landkreis platziert sind und welche bei den Kommunen. Zudem sollten interkommunale Lösungen angestrebt und etwa gute Beispiele aus dem Landkreis genutzt werden. Wichtig sei dabei aber, dass die Bedürfnisse der Bürger berücksichtigt werden.
Zuversichtlich zeigt sich Radolfzells Oberbürgermeister in jedem Fall: „Wir sind sehr motiviert, die vielen Herausforderungen anzugehen und das bestmöglich umzusetzen.“ Und eine positive Entwicklung hat er auch schon zu verkünden: Der Stadt sei es gelungen, ehemalige Mitarbeiter, die zwischenzeitlich woanders beschäftigt waren, wieder zurückzugewinnen.