Lange war es ruhig beim Automobilzulieferer BCS Automotive Interface Solution. Doch hinter verschlossenen Türen rangen Geschäftsführung, Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall um die Rahmenbedingungen, zu denen die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Denn wie angekündigt wird das chinesische Unternehmen Luxshare, Besitzer von BCS, das Radolfzeller Werk bis Jahresende schließen. Offen blieb nur die Frage, wie man mit der Belegschaft in den letzten Monaten bei BCS Radolfzell umgehen möchte.

Das Fazit, wie die Verhandlungen und der nun beschlossene Sozialplan zu bewerten sind, fällt auf der Seite des Betriebsrates und der Gewerkschaft mehr als ernüchternd aus. „Es war ein enorm harter Konflikt mit unzähligen Gerichtsverhandlungen“, sagt Frederic Striegler, Geschäftsführer und zweiter Bevollmächtigte bei der IG Metall Singen. Mit dem Ergebnis sei er nur insofern zufrieden, dass aus seiner Sicht schlicht nicht mehr möglich gewesen sei. Die Geschäftsleitung von BCS habe sich wenig kooperativ oder kompromissbereit gezeigt.

Das Areal von BCS in Radolfzell. Nur noch wenige Monate wird hier der Betrieb aufrecht erhalten.
Das Areal von BCS in Radolfzell. Nur noch wenige Monate wird hier der Betrieb aufrecht erhalten. | Bild: Jarausch, Gerald

Der Sozialplan, der dem SÜDKURIER vorliegt, sieht einen Sozialplanfaktor von 0,8 vor, mit dem die Abfindungen der Mitarbeiter berechnet werden sollen. Es soll Zusatzzahlungen für unterhaltspflichtige Kinder oder bei Schwerbehinderungen in Höhe von 2500 Euro geben, bei besonderem Kündigungsschutz ist eine Zahlung von 5000 Euro vorgesehen. Die individuelle Abfindung ist bei 200.000 Euro gedeckelt. Für besonders schutzbedürftige Arbeitnehmer gibt es das Angebot zur Aufnahme in eine Transfergesellschaft.

BCS bestätigt nur die langen Verhandlungen

Die BCS-Leitung lässt durch die Pressestelle nur mitteilen, dass ein Ergebnis erzielt worden sei. „Nach langem Verhandeln wurden der Interessensausgleich und Sozialplan zwischen Betriebsrat und der Geschäftsleitung unterschrieben“, schreibt BCS-Sprecherin Mandy Schuster. Eine Stunde nach Unterzeichnung seien alle Mitarbeitende in einer kurzfristig anberaumten, gemeinsamen Veranstaltung von Geschäftsleitung und Betriebsrat über den Abschluss der Verhandlungen und die Kernpunkte des Verhandlungsergebnisses informiert worden.

Das könnte Sie auch interessieren

Im Laufe der vergangenen Wochen seien alle Mitarbeitenden zu Informationsveranstaltungen in kleinem Kreis eingeladen und ausführlich über die Inhalte des Sozialplans aufgeklärt worden, so Mandy Schuster weiter. Michael Itterheim, seit November 2023 Interim-Personalleiter am Standort bis zur Schließung, wird laut BCS wie folgt zitiert: „In den nächsten Wochen und Monaten gilt es, viel Informations- und, da wo möglich, Beratungsarbeit zu leisten, um die beste Austrittsvariante für die jeweilige individuelle Lebenssituation zu finden.“

Belegschaft ist sehr enttäuscht

„Die beste Austrittsvariante“ – für Betriebsratsvorsitzenden Thomas Kummnik mag dies eine zynische Formulierung sein. Er und die noch knapp 530 Beschäftigten von BCS in Radolfzell sehen den letzten Monaten an ihrem Arbeitsplatz mit großer Enttäuschung entgegen. „Wir müssen nichts schönreden, es gibt Arbeitgeber mit mehr sozialer Verantwortung“, so Kommnik. Besonders bitter für die Belegschaft: In diesem Jahr würde das BCS-Werk sein 75-jähriges Bestehen feiern.

Das könnte Sie auch interessieren

1949 gründete der Radolfzeller Ehrenbürger Werner Messmer den Schalterproduzenten, verkaufte ihn 1978 an TRW, 2015 hat die ZF den TRW-Konzern übernommen. 2018 kaufte Luxshare von der ZF die Sparte Fahrzeugbedienungssysteme und nannte sie BCS, kurz für „Body Control Systems“. Trotz der vielen Besitzerwechsel blieb die Belegschaft oft dieselbe. „Wir sind eine sehr betriebstreue Mannschaft, viele sind seit etlichen Jahren dabei“, so Kummnik. Enttäuscht ist der Betriebsrat auch von Radolfzell. Er habe sich mehr Unterstützung aus der Stadt gewünscht. Die Belegschaft habe sich ein Stück weit alleingelassen gefühlt. Und: „Werner Messmer würde sich im Grab umdrehen“.

BCS habe sich „unseriös“ verhalten

Auch Frederic Striegler, der für die IG Metall die Verhandlungen mit BCS führte, teilt die Enttäuschung der Belegschaft. Er unterstellt der Geschäftsführung „unseriöse Vorgehensweisen“. Man habe sich selbst arm gerechnet, um der Belegschaft möglichst wenig zahlen zu müssen. Gleichzeitig habe man aber Honorarkosten für renommierte und vermutlich kostspielige Anwaltskanzleien in Kauf genommen und unnötige Reisekosten getätigt.

Das könnte Sie auch interessieren

Was vielleicht nach normalem Verhalten in der Wirtschaftswelt klingt, ordnet Striegler anders ein. „Dieses Verhalten ist eines chinesischen Investors nicht würdig“, sagt er über die Verhandlungsführung von BCS. Für gewöhnlich seinen Investoren aus China bemühter, die Abfindungen oft höher. Hier werde eher mit dem Sozialplanfaktor 1,0 bis 2,0 gerechnet. Im chinesischen Kulturkreis seien das Ansehen und der gute Ruf eines Unternehmens viel wert. Und an dieses Ehrgefühl hatte die IG Metall versucht, zu appellieren. Um auf die Vorgänge bei der Luxshare-Tochter aufmerksam zu machen, habe man auch ein Schreiben an die Außenhandelskammer von China geschickt.

Erste Produktionslinien werden schon abgebaut

Doch auch ein bestehender Sozialplan verhindert nicht, dass BCS seine Produktion in Radolfzell komplett einstellen wird. Aktuell würden sich zwei Produktionslinien zur Herstellung von Leiterplatten im Abbau und der Vorbereitung zum Transport befinden, schreibt BCS-Sprecherin Mandy Schuster. „Den Großteil der Maschinen werden Schwesterwerke der BCS-Gruppe innerhalb von Europa aufnehmen.“ Dabei kommt das Ende von BCS vermutlich früher als geplant. Laut Betriebsratsvorsitzendem Thomas Kummnik möchte BCS bereits Ende September seinen Betrieb in Radolfzell einstellen. Drei Monate vor dem eigentlich angekündigten Ende.

Das könnte Sie auch interessieren

Und noch ist ein Großteil der Belegschaft da. Laut Mandy Schuster hätten im Vergleich zum Frühjahr 2023 nur rund 100 Mitarbeiter BCS auf eigenen Wunsch verlassen. 530 Mitarbeiter sind noch da. Darin eingeschlossen seien auch Leiharbeitnehmer und Beschäftigte aus anderen BCS-Standorten, die an den Maschinen ausgebildet werden und die Produktion unterstützen. Gegangen seien vor allem Mitarbeitende aus der Entwicklung und den Verwaltungsbereichen, deren Verlust für das Unternehmen laut Schuster „in manchen Bereichen schmerzhaft“ gewesen sei.

Umliegende Firmen haben schon Interesse signalisiert

Dass die BCS-Belegschaft nach der Werksschließung schnell wieder neue Aufgaben findet, davon zeigt sich zumindest der stellvertretende Europachef der BCS-Gruppe, Antoni Ferrer, überzeugt. „Nach der Schließungsankündigung im vergangenen Jahr haben wir überwältigende Reaktionen von Unternehmen in der Region zur Übernahme von Beschäftigten erhalten, die händeringend nach Fachkräften suchen“, sagt er. Man wolle nun stärker in den Dialog mit interessierten Firmen gehen, so Ferrer.

In der Region sieht auch Gewerkschafter Frederic Striegler Chancen für die Mitarbeitenden. „Arbeitslos wird sicher niemand bleiben müssen, aber ob sie die selben Konditionen bekommen, ist fraglich“, sagt er. In der jüngsten Betriebsversammlung hatte der Betriebsrat die Agentur für Arbeit eingeladen, die den Mitarbeitenden den Ablauf nach der Werksschließung erläutert. Etliche juristische Auseinandersetzungen zwischen Mitarbeitern und BCS wegen des gekündigten Tarifvertrages liegen noch beim Arbeitsgericht. Auf die Mitarbeiter kommen schwere Monate zu, das weiß auch Gewerkschafter Striegler. Denn es sei mehr als nur der Verlust des Arbeitsplatzes. „Es ist ein Stück Heimatverlust“, sagt er.