Manchmal braucht es den geschichtsbewussten Stadtrat bei der Aufklärung zur Kunst im Alltag. Christof Stadler (CDU) kennt sich in den kunsthistorischen Besonderheiten der Stadt Radolfzell aus. Die Reliefplatten am Eingang des ehemaligen Notariats in der Untertorstraße zeigten nicht irgendein Kegelspiel, sondern seien eine Anspielung auf den antiken Wissenschaftler, Mathematiker und Ingenieur Archimedes.

Des Griechen letzte Worte an einen römischen Soldaten bei der Eroberung von Syrakus vermutlich im Jahr 212 vor Christus sollen gewesen sein: „Störe meine Kreise nicht.“ Der Soldat soll der Geschichtsschreibung nach wenig Verständnis für die mathematischen Überlegungen des antiken Genies gezeigt und Archimedes aus Ungeduld getötet haben.

Bebauungsplan kommt zu spät für Umbau

Diese Geschichte, diese Kunst am Eingang des Gebäudes Untertorstraße 10 ergeben Sinn. Denn vor dem Notariat und dem Grundbuchamt war hier das Vermessungsamt untergebracht. Deren Ingenieure vermaßen nicht gerade die ganze Welt, aber ziemlich viel in der Umgebung. Das Gebäude gehört zum charakteristischen Siedlungsbild aus Gründerzeit- und Jugendstil-Bauwerken in der Untertor- und Brühlstraße.

Um diese Gebäude samt Gärten und Grünflächen mit Bäumen zu erhalten und eine Weiterentwicklung des Quartiers mit dem Erhalt dieser Werte zu ermöglichen, hat der Gemeinderat vor einem Jahr einen Bebauungsplan für dieses Quartier auf den Weg gebracht.

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Allerdings kommt der Bebauungsplan für das Projekt Umbau der Untertorstraße 10 zu spät. Für den Bauantrag sei noch das Verfahren nach der Umgebungsbebauung anzuwenden, so die Rechtsauslegung der Bauverwaltung. In mehreren Schritten haben sich Bauherr und Stadt in Sitzungen unterschiedlicher Gremien angenähert. Auch der Gestaltungsbeirat hat sich zwei Mal mit dem Projekt beschäftigt und seinen Einfluss geltend gemacht, bevor jetzt der Ausschuss Planung, Umwelt und Technik sein Einverständnis gegeben hat.

Das liegt an aller erster Stelle daran, dass der Bauherr nun von einem Abriss des prägenden Gebäudes an der Straße absieht und es jetzt sanieren und umbauen will. Nur im hinteren Teil des Grundstücks ist der Abriss von Nebengebäuden und ein Neubau geplant. Auch die beiden Bäume, eine Kastanie und ein Walnussbaum, sollen erhalten bleiben.

Ungewöhnliches Lob für Stadtrat Stadler

Darüber sind alle froh, die Mitglieder im Gestaltungsbeirat, die Stadträte im Ausschuss und die Fachleute in der Bauverwaltung. Architektin und Gestaltungsbeiratsvorsitzende Julia Klumpp lobte die Stadt für die Aufstellung eines Bebauungsplans, um den Charakter des Quartiers mit seinen Jugendstil- und Gründerzeitbauten zu erhalten. Sie lobte den Bauherren, weil er auf die vorgebrachten Anregen und Bedenken des Gestaltungsbeirats eingegangen sei und auf den Abriss des Amtsgebäudes verzichtet.

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Außergewöhnlich: SPD-Stadtrat Norbert Lumbe lobte seinen CDU-Stadtratskollegen Christof Stadler, weil er sich für den Erhalt des Baucharakters in diesem Quartier eingesetzt habe: „Sonst hätten wir keinen Bebauungsplan aufgestellt.“

Balkone bringen neuen Redebedarf

Doch es gibt noch Wünsche. Im letzten Entwurf, den der Bauherr im Gestaltungsbeirat vorgelegt hat, hat er Balkonvorbauten in Richtung Unterstraße eingezeichnet, die auf Stützen ruhen. Das hat sowohl den Fachleuten im Gestaltungsbeirat wie den Stadträten im Ausschuss weniger gefallen. Julia Klumpp befand im Gestaltungsbeirat: „So schneiden die Balkonelemente das Haus zwei Mal vertikal auseinander.“ Es entstehe der Eindruck, als ob Türme vor dem Haus stünden.

Sie empfahl die Balkone über Trageplatten anzubringen, statt sie auf Stützen zu stellen. Im Gespräch habe sich der Bauherr dieser Lösung gegenüber schon aufgeschlossen gezeigt, sagte Julia Klumpp.

Der Eingangsbereich des ehemaligen Notariats in der Untertorstraße: Das Relief soll Archimedes beim Kreise zeichnen zeigen, es stammt ...
Der Eingangsbereich des ehemaligen Notariats in der Untertorstraße: Das Relief soll Archimedes beim Kreise zeichnen zeigen, es stammt aus der Werkstatt des Bildhauers Hermann Brühl. | Bild: Jarausch, Gerald

Ein Wunsch des Gestaltungsbeirats und ein großer Wunsch des Planungsausschusses ist der Erhalt der künstlerisch gestalteten Reliefs und des bestehenden Eingangs. Die Platten abzubauen und an einem anderen Gebäude anzubringen, empfanden die Stadträte wenig charmant. Doch der Bauherr hat den Eingang am später umgebauten Amtsgebäude auf der Rückseite für die dann entstehenden Wohnungen geplant.

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Auch die Geduld eines Bauherren ist endlich

Thomas Nöken, Fachbereichsleiter Stadtplanung, warnte davor, den Erhalt des Eingangs zur Bedingung für eine Baugenehmigung zu machen. Mit dem Antragsteller reden und ihn fragen, ob diese Überlegung umsetzbar sei, das könne man schon. „Ich gebe zu bedenken, dass der Antragssteller uns mit seinem Vorhaben schon sehr entgegengekommen ist.“ Was Nöken damit mehr als andeutete: Nicht nur die Geduld römischer Soldaten, auch die Leidensfähigkeit von Bauherren könnte zu sehr strapaziert werden.