Das Wort Investor lässt bei manch einem alteingesessenen Radolfzeller einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Denn die Stadt hat nicht immer gute Erfahrungen mit Bauprojekten gemacht, die das Stadtbild nachhaltig verändert haben. Umso mehr wird heute um alles gerungen, was alt und eben typisch für Radolfzell ist. In der Untertorstraße 10 zeichnet sich ein Paradebeispiel für den Konflikt zwischen Kapitalismus und dem Wunsch nach Identität in der eigenen Stadt.
Charakteristisches Siedlungsbild in der Untertorstraße
Das ehemalige Notariat ist ein opulentes Gründerzeit-Gebäude. In der Untertorstraße stehen etliche dieser Häuser, teils im Jugendstil, die dieser Gegend eben einen bestimmten Charakter verleihen. So sah Radolfzell vor mehr als 100 Jahren aus. Die Häuser zeugen von einer Vergangenheit, auf die man in der Stadt sehr stolz ist. Nun will der neue Besitzer der Untertorstraße 10 dieses Gebäude abreißen und auf dem Grundstück zwei gleich große Häuser bauen lassen.
In der jüngsten Sitzung des Gestaltungsbeirates zeigte man sich wenig bis gar nicht von dieser Idee angetan. „Das Gebäude muss unbedingt erhalten bleiben“, sagte Architektin Julia Klumpp, die dem Gremium aktuell vorsitzt. Außerdem stehe auf dem Grundstück ein etwa 100 Jahre alter Baum. Dieser müsste nach dem Willen des neuen Besitzers ebenfalls weichen. Auch hier plädiert die Architektin für den Erhalt. „Dieser Baum hat noch eine Zukunft, er sollte bleiben dürfen“, sagte sie.
Der Gestaltungsbeirat gab der Stadtverwaltung den Rat, mit dem neuen Besitzer über dessen Pläne zu sprechen und ihn zu überzeugen, das alte Notariat zu erhalten. „Das ist ein gutes Haus, das Dachgeschoss ist voll nutzbar, da kann man auf jeden Fall etwas draus machen“, erklärt Architektin Klumpp.
Ein kleines Haus im hinteren Bereich wäre möglich
Falls sich der Besitzer auf dem Grundstück vergrößern möchte, könne er ein kleines Haus im hinteren Bereich des Grundstücks in Erwägung ziehen. Dies sei für die Epoche ebenfalls typisch gewesen, dass hinter dem großen Herrenhaus ein kleines angelegt war. Das würde gut in die Umgebung passen, so die Architektin.

Doch wie viel kann die Stadtverwaltung machen, außer reden? „Grundsätzlich ist es so, dass eine Stadt in das Beseitigen eines Eigentums nicht eingreifen kann“, erklärt die städtische Sprecherin Nicole Rabanser auf Nachfrage. Nur in Ausnahmefällen könnte die Stadt eingreifen, wenn zum Beispiel das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Was im Fall des ehemaligen Notariats allerdings nicht zutrifft. Ferner könnte die Stadt, nach entsprechendem Gemeinderatsbeschluss, eine Erhaltungssatzung verabschieden. Doch damit sei sensibel umzugehen, gibt Nicole Rabanser zu bedenken.
Erhaltungssatzung für Radolfzell bisher kein Thema
Zum einen habe die Stadt Radolfzell noch keinerlei Erfahrung mit solch einer Satzung, und zum anderen hieße solch eine Satzung nicht zwangsläufig, dass das Gebäude auch tatsächlich erhalten werden könne. Hierfür müssten einige komplizierte Voraussetzungen vorliegen. „Immerhin handelt es sich hier um einen sehr starken Eingriff in das durch das Grundgesetz geschützte Eigentum“, so Rabanser.
Doch können Eigentümer nicht ganz ohne Einschränkungen mit ihrem Besitz tun, was sie möchten. Ein Abbruch sei in der Regel an einen genehmigten Neubau geknüpft, führt Alexander Wagner von der städtischen Abteilung Baurecht aus. Und auf diese Neubebauung könne die Stadt, zum Beispiel durch einen Bebauungsplan, Einfluss nehmen.
Projekte mit Bebauungsplänen steuern
Für den Bereich Untertorstraße/Brühlstraße befindet sich aktuell ein Bebauungsplan in Aufstellung. Die Stadt habe also die Möglichkeit, das Baugesuch zurückzustellen, wenn dieses nicht den Zielen des geplanten Bebauungsplans entspräche, so Wagner. Zum Beispiel durch die Festsetzung von Baufenstern.
Ohne einen genehmigten Neubau würde es vermutlich auch keinen Abriss des ehemaligen Notariats geben, fasst Alexander Wagner zusammen. Aber verhindern könnte man dies nur mit einer Erhaltungssatzung oder einem Bebauungsplan. Und ob die Erhaltungssatzung für Radolfzell eine Möglichkeit sei, das charakteristische Stadtbild zu erhalten, sei ein Thema für den Radolfzeller Gemeinderat.