„Rücksichtslos“ nennt das Verwaltungsgericht Freiburg den Bauantrag über vier Vollgeschosse mit Ausbau des Dachs auf dem Gelände des ehemaligen Hotels Viktoria am Rande des Stadtgartens. Das Urteil über das Bauvorhaben gegenüber des Busbahnhofs Radolfzell spricht auch für Nichtjuristen eine deutliche Sprache: „Das Vorhaben fügt sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein und beeinträchtigt dadurch das Nachbargrundstück der Kläger in rücksichtsloser Weise.“
Dieses Urteil und das Verhalten der Bauverwaltung der Stadt waren Gegenstand einer Beratung des Gemeinderats Radolfzell. Durch die Bank haben alle Stadträte dem Antrag der Fraktion der Freien Grünen Liste (FGL) zugestimmt, das Urteil anzuerkennen und für dieses sensible Quartier in der Altstadt „endlich“ (Stadtrat Siegfried Lehmann) einen Bebauungsplan zu erlassen. Auf Hinweis der CDU ist das Planungsgebiet nicht auf den Grünen Winkel beschränkt, sondern vom Pulverturm bis zum Seetorplatz erweitert worden. „Weil wir dort immer wieder Bauanfragen bekommen“, argumentierte CDU-Stadtrat Christof Stadler.

Diese Anfragen mussten bisher nach Paragraph 34 des Baugesetzbuchs „Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile“ beurteilt und beschieden werden, was immer wieder zu Konflikten – auch zwischen Gemeinderat und Bauverwaltung – geführt hat.
Bauherr hat Berufung eingereicht
Mit der Aufstellung des Bebauungsplans und dem Anerkennen des Gerichtsurteils durch die Stadt ist die Auseinandersetzung über das Bauvorhaben von Bauherr und Eigentümer Bernhard Bihler auf dem Grundstück des ehemaligen Hotels Viktoria nicht vom Tisch. Er will sich mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg nicht abfinden und hat Berufung eingereicht. Jetzt hofft er, dass sie auch zugelassen wird. Bihler sieht nicht, wie es im Urteil heißt, dass die Kläger sich auf die Schutzwürdigkeit einer „außergewöhnlichen örtlichen Gegebenheit“ berufen könnten.
Die Kläger sind unmittelbare Nachbarn des Viktoria-Grundstücks in diesem Altstadtquartier an der Stadtmauer. Ihnen hat das Verwaltungsgericht aber genau diese Schutzwürdigkeit zugesprochen. Im Urteil heißt es: Das Vorhaben füge sich nach seinem Maß der baulichen Nutzung und der überbauten Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein und erweise sich als übergroßer Baukörper, der das Wohnhaus der Kläger im Hinblick auf die kleinteilige Altstadtbebauung ihres Grundstücks „erdrückt“, wie es die Richter formulieren.
Lehmann: Stadt hat sich nicht an Zusage gehalten
In der Beratung des Gemeinderats zum Urteil des Verwaltungsgerichts wiesen fast alle Redner darauf hin, dass es zu diesem Gerichtsverfahren und zu diesem positiven Bauvorbescheid durch das Baurechtsamt der Stadt erst gar nicht hätte kommen dürfen. Siegfried Lehmann (FGL) zeigte sich ziemlich vergrätzt. Er stellte fest: „Wir haben bereits 2018 einen Antrag auf einen Bebauungsplan für dieses Gebiet eingereicht.“ Es habe damals die Zusage der Stadtverwaltung gegeben, dass ein Bauleitplanverfahren eingeleitet würde, wenn kein Einvernehmen zwischen Bauherr und Gemeinderat geschaffen werde.
Doch die Verwaltung hat sich über die Zusage hinweggesetzt. Im Widerspruch zu dieser Abmachung sei der „überdimensionierte Entwurf“, so Siegfried Lehmann, nach einem Bauantrag von der Verwaltung mit einem Bauvorbescheid genehmigt worden. Und nun habe das Baurechtsamt vom Verwaltungsgericht Freiburg mit diesem Urteil „eine Klatsche“ bekommen. Lehmann kritisierte die Bauverwaltung massiv: „Der Umgang mit dem Paragraph 34 zeigt, dass auch viel Unsinn gemacht werden kann.“ Zwischen den Parteien sei keine Befriedung möglich. „Es gibt einfach zu viele unterschiedliche individuelle Auslegungen und mit dem Denkmalschutz ist das Projekt nicht zu vereinbaren“, sagte Lehmann kopfschüttelnd.
Stadtrat Stadler nennt OB Staab als Schuldigen
CDU-Stadtrat Stadler nannte Ross und Reiter, warum das Verfahren am Gemeinderat vorbei entschieden worden sei: „OB Staab hat sich über den Beschluss hinweggesetzt, das hat uns in dieses Fiasko geführt.“ Thomas Nöken als Fachbereichsleiter Planung und Baurecht versuchte, die Ausgangslage für seine Mitarbeiter zu erläutern: „Wir waren zur Verschwiegenheit verpflichtet.“ Er räumte ein, dass wenn der Prozess „normal gelaufen wäre“, es zu einem Bebauungsplanverfahren hätte kommen müssen. „Unstrittig ist, dass das Objekt aus städtebaulicher Sicht nicht vertretbar ist. Baurechtlich ist das eine ganz andere Sache.“
SPD-Stadtrat Norbert Lumbe erkannte: „Das Ganze ist ein Trauerspiel und wir werden das heute beenden.“ Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei auch ein Urteil „über die Unfähigkeit zum Konsens“. Nun müsse ein Bebauungsplan für Klarheit sorgen. Zur Ruine sagte Lumbe: „Der Schandfleck wird noch eine Weile bleiben. Das eigentliche Ärgernis ist, dass es uns nicht gelungen ist, dieses Problem zu lösen.“ Oberbürgermeister Simon Gröger, der das Verfahren geerbt hat, will sich Gesprächen mit den Beteiligten nicht verschließen: „Ich habe versucht, mich im Vorfeld mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen. Das hat nicht geklappt, aber das Angebot gilt weiterhin.“
Gab es interne Absprachen? Das sagt der Bauherr
Bauherr und Viktoria-Grundstückseigentümer Bernhard Bihler begrüßt die Aufstellung eines Bebauungsplans.
Herr Bihler, was hat die Prüfung des Urteils durch Ihre Anwälte ergeben?
Die Ausführungen der Urteile sind sehr umfangreich, was sicher ein Indiz für die Komplexität des Urteils ist. Die geplanten Abstandsregeln sind vom Gericht grundsätzlich bestätigt worden. Die Urteile beziehen sich sehr stark auf Ausführungen aus dem Denkmalschutz, der jedoch keine Grundlage der Bauvoranfrage war, sie ist bei der Bauvoranfrage explizit ausgeklammert worden. Unseres Erachtens ist „die außergewöhnliche örtliche Gegebenheit“, die zu einer Schutzwürdigkeit führen würde, nicht gegeben.
Werden Sie als Betroffener Berufung einlegen?
Ja, wir haben die Berufung beantragt und gehen davon aus, dass sie zugelassen wird.
Gab es interne Absprachen zwischen dem damaligen OB Martin Staab und Ihnen als Bauherr – so wie es in der Beratung angedeutet und einmal offen ausgesprochen wurde?
Seit dem Brand des Gebäudes haben wir verschiedene Gespräche mit der Stadt bezüglich der Machbarkeit des Objektes geführt. Alle Gespräche wurden mit den Fachabteilungen der Stadt, dem Gestaltungsbeirat und oder mit dem Gemeinderat getätigt. Interne Absprachen zwischen Herrn Staab und uns gab es keine.
Wie sieht Ihr weiteres Vorgehen aus?
Wir bleiben weiter im offenen Dialog mit der Stadt und den Nachbarn, um eine Bebauung sobald als möglich zu gestalten. Die Aufstellung eines Bebauungsplans begrüßen wir grundsätzlich, da wir dadurch Baurecht erhalten können. Es wäre natürlich schön, wenn wir dies zeitnah erreichen könnten.