Mehr als 434.000 Übernachtungen hat es im Jahr 2024 in Radolfzell gegeben. Und das trotz Schnakenplage, Regen und Hochwasser. In diesem Jahr melden zumindest die Campingplätze bereits einen sehr guten Start in den Sommer. Zum Teil seien alle Kapazitäten ausgebucht. Der Tourismusbranche geht es also gut in der Stadt? Nicht ganz, befindet der Hotelkreis Radolfzell. In dieser Organisation haben sich Hoteliers und Gastronomen der Stadt zusammengetan.
Ende April machte der Hotelkreis in einer Gemeinderatssitzung auf die schwierige Situation aufmerksam. Dabei wollten sie gezielt das Gespräch mit Verwaltung und Gemeinderat suchen. Denn nachdem das Streuhau, ein Areal am westlichen Seeufer von Radolfzell, endgültig als Entwicklungsfläche für Tourismus gestrichen wurde, fragen sie sich: Welche Vision hat der Gemeinderat eigentlich vom Tourismus in der Stadt?

Ein Gespräch darüber fand bisher nicht statt. Einen Termin mit Vertretern der Stadt und des Gemeinderates bekam der Hotelkreis erst nach einer erneuten Nachfrage. Der SÜDKURIER hat mit dem Hotelkreis vorab über ihre Erwartungen, Wünsche und ihre Sichtweise auf den Tourismus in Radolfzell gesprochen.
Schutz des Streuhaus war eine „extreme Entscheidung“
Das Streuhau unter Landschaftsschutz zu stellen, sei eine „extreme Entscheidung“ gewesen, befand Markus Kümmerle, Inhaber des Hotels K99. Der Hotelkreis wollte mit dem Besuch im Gemeinderat auf die Belange der Tourismusbranche aufmerksam machen. Darauf, welche Bedeutung ein Angebot für Gäste auch für die Stadt Radolfzell und ihre Bewohner hat.
„Wir sind überzeugt davon, dass Radolfzell lebenswert ist, dieses Potenzial könnte man viel besser nutzen“, sagt Kümmerle. Aber er ist auch der Meinung, dass sich Aufenthaltsqualität an Plätzen erst mit der Zeit entwickelt. Eine neue Eisdiele am Seeufer sei ein Anfang, aber reiche alleine nicht aus, um eine langfristige Belebung herzustellen. Man müsse jetzt die Weichen stellen, um etwas für die Zukunft aufzubauen. Und dafür brauche es auch Ideen, Visionen und Unterstützung aus dem Gemeinderat.
„Stille Reserven“ für Tourismus in Radolfzell
„Für Radolfzell gibt es viele stille Reserven“, sagt Kümmerle. „Stille Reserven“, damit meint Kümmerle Zielgruppen, die noch nicht angesprochen wurden. Radolfzell habe ein schönes und naturnahes Seeufer – viel mehr aber auch nicht. „Und den See, den haben hier alle“, ergänzt Christian Dreher vom Hotel Zur Schmiede. Radolfzell sei im Vergleich mit den anderen Orten am See wie Konstanz, Meersburg oder Überlingen abgehängt, da sind sich alle in der Gesprächsrunde des Hotelkreises einig.
Das sehe man an der Verweildauer, die Gäste hier in der Stadt verbringen. „Im Schnitt bleiben sie rund zwei Nächte“, so Žika Bibulović vom Hotel am Stadtgarten. Radolfzell sei ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge in die Region, aber in der Stadt selbst erleben könnten Besucher zu wenig, sagt Dreher. In Überlingen übernachten Gäste laut dem Jahresbericht der Überlingen Marketing und Tourismus GmbH im Schnitt vier Nächte. Das liege an der deutlich attraktiveren Promenade. Dort gebe es mehr gastronomisches Angebot auf der Fläche.
Bessere Vermarktung und Angebote für jüngeres Publikum
Doch Kathrin Dietrich von der Hotelleitung des K99 sieht auch Handlungsbedarf bei der Vermarktung des Tourismus in der Stadt. Man müsse ein jüngeres Publikum ansprechen, denn die treuen Besucher der Stadt würden immer älter werden, bemerkte Alexandra Nickels vom Hotel Iris am See. Es gebe durchaus Veranstaltungen wie den Abendmarkt, aber viele Gaststätten würden sehr früh schließen. Es fehle an einem lebendigen Nachtleben oder Freizeitangeboten.
Bernd Schuler vom Sauna-Hotel Bora hatte einst ein Freizeitdorf im Streuhau geplant. Ein Neubau an anderer Stelle im Herzen-Areal ist wegen Hochwasserschutz ebenfalls nicht möglich gewesen. Ein Wachstum am Standort ist für ihn nicht realisierbar. Er fragt sich nun: „Gibt es einen Plan, was man mit dem Tourismus erreichen möchte oder soll die Stadt aussterben?“ Er wünscht sich vom Gemeinderat eigene Ideen – denn seine würden oft abgelehnt werden. „Der Tourismus hat Zukunft, aber diese wird uns nicht geschenkt“, so Schuler.
Tourismus als Gewinn, nicht als Störfaktor sehen
Alle im Hotelkreis wünschten sich auch eine positivere Betrachtung des Tourismus – und nicht als Störfaktor. Das gastronomische Angebot, die Einkaufsmöglichkeiten und das Freizeitangebot seien genauso für die Einwohnerinnen und Einwohner da wie für Gäste. Von dieser Infrastruktur würden alle profitieren. „Der Tourismus bietet auch Arbeitsplätze und Gewerbesteuer“, ergänzt Žika Bibulović.
Ein Gespräch mit Gemeinderäten und der Tourismus und Stadtmarketing GmbH findet am Freitag, 11. Juli statt. Markus Kümmerle hofft auf einen offenen Austausch über Entwicklungsperspektiven und die Bereitschaft auf Veränderung. Denn: „Wer sich nicht bewegt, wird abgehängt.“