
Samstag, 28. November, im Münster Radolfzell: Der katholische Stadtpfarrer Heinz Vogel hat eine Botschaft an die abendlichen Gottesdienstbesucher. Irgendwelche Leute hätten Einladungen verschickt, um vor dem Christbaum auf dem Marktplatz am Sonntag- oder Montagabend ein stilles Gebet an die Hausherren zu richten. „Mitbeter“ sollten mit Licht kommen. Der Pfarrer klärt seine Gemeinde auf: „Diese Einladungen stammen nicht von uns.“ Er vermutet, dass sie aus denselben Kreisen kommen, die schon zum St. Martins-Treffen vor der Kirche aufgerufen hätten. Das waren die Querdenker. Vogel teilt im Münster mit: „Ich distanziere mich von solchen Gruppen.“
Die Querbeter kommen nicht
Sonntag, 29. November, auf dem Marktplatz: Keine querbetenden und Lichtlein statt Mund-Nasen-Schutz tragenden Gestalten treffen am Abend vor dem Christbaum ein. Vielleicht war Stau auf der Autobahn von Kalkar nach Radolfzell. Die zweite gute Nachricht: Die Sonntagsvesper im Münster verläuft ungestört.
Montag, 30. November, am Telefon: Pfarrer Heinz Vogel erläutert, warum er in der Kirche eine Stellungnahme abgegeben hat: „Es schadet nichts, mal im Gottesdienst etwas zu sagen.“ Eine Frau aus der Gemeinde habe ihn über diese Einladungen „zum Gebet an die Hausherren“ informiert. Sie seien auf einem sogenannten sozialen Netzwerk geteilt worden. „Solche Einladungen verbreiten sich schnell“, sagt Vogel. Aber seit dem St. Martins-Umzug der Querdenker am 10. November mag der Pfarrer nicht mehr still sein, wenn vor dem Münster selbsternannte Besserwisser und Pandemie-Ignoranten christliche Werte für ihre Auftritte benutzen: „Das ist ein Missbrauch von Gebet und Traditionen, die uns heilig sind“, erteilt Heinz Vogel den Querdenkern eine Absage. Was ihn besonders ärgert: Dass die Querdenker bei ihrem „Martins-Umzug“ in Radolfzell Besucher des Münsters gestört hätten.
Der Marktplatz bleibt leer
Montag, 30. November, abends auf dem Marktplatz: Die Nervensägen bleiben zu Hause oder proben anderswo mit ihren Lichtlein und egozentrischen Parolen den Aufstand gegen die Weltregierung. Vielleicht war das Wochenende in Kalkar so anstrengend, dass sie nicht aus dem Bett gekommen sind. Oder der Text zum Querbeten ist nicht rechtzeitig fertig geworden. Aber bei „stillem Gebet“ kann man ja irgendwas murmeln, da wäre es auf die genaue Wortwahl gar nicht angekommen. Egal, der Marktplatz ist leer und im Münster nimmt der Gottesdienst seinen gewohnten Lauf.
Zur Kolumne: Das Corona-Tagebuch der Redaktion Radolfzell begreift sich als hoffentlich vorübergehende Erscheinung.