Ist die Demokratie in Gefahr? In Umfragen steht die AfD gut da, manche ihrer Mitglieder haben verfassungsfeindliche Remigrations-Fantasien geäußert. Und auch vor Ort im Landkreis tritt die AfD bei den kommenden Gemeinderatswahlen mit eigenen Kandidaten an oder steckt zumindest in Teilen hinter Listen, die vordergründig andere Anliegen vertreten.

Als Reaktion darauf hatte sich in den vergangenen Monaten in nahezu allen Orten in der Region Widerstand geregt. Verschiedene Gruppen organisierten Demokratie-Demonstrationen und Mahnwachen gegen Rechts mit tausenden Teilnehmern – auch in Radolfzell, Stockach und Singen.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl (links) und die Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz diskutierten im Friedrich-Werber-Haus ...
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl (links) und die Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz diskutierten im Friedrich-Werber-Haus über die Stärkung der Demokratie. | Bild: Mario Wössner

Am vergangenen Dienstag lud die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl gemeinsam mit der Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (ebenfalls SPD) im Friedrich-Werber-Haus in Radolfzell zu einem Runden Tisch, um genau darüber zu sprechen: Wie kann man die Demokratie stärken und vor Verfassungsfeinden schützen – gerade vor Ort im Landkreis?

Während der Diskussion wurde klar: Die Probleme sind groß, gerade auf lokaler Ebene. Sie spüre die Angst vor dem Erstarken der Rechten überall im Kreis, sagte Lina Seitzl. Doch es gibt auch handfeste Lösungen, wie sich Organisationen, Institutionen, die Politik, auch einzelne dagegen wappnen können, zeigte die Debatte.

Politikerinnen warnen vor langfristigen Folgen

Aydan Özoguz, wies mit Blick auf die Correctiv-Recherche über verfassungsfeindliche Pläne einiger Rechter und dem Erstarken der AfD daraufhin, dass diese Entwicklungen zeigten, wie dringend das Problem ist. „Und das ist nur ein Vorgeschmack, wenn ich nach Frankreich mit einer starken rechten Partei blicke. Und Polen zeigt uns, wie nachhaltig es ein Land verändern, wenn solche Gruppen erst einmal an der Macht sind und Schlüsselpositionen, wie zum Beispiel Richterstellen, langfristig besetzen können“, warnte sie.

In einer Zeit, in der viele Menschen durch Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, Inflation und dem Wandel der Gesellschaft erschöpft seien, würden diese Gruppen „die niederen Instinkte“ der Menschen ansprechen und einfache Lösungen versprechen. „Demokratie muss man sich erkämpfen. Wir müssen darüber reden, was Demokratie uns bedeutet und was sie uns bedeuten sollte“, forderte Özoguz.

Arbeitnehmervertreter, Integrationsverein und die Organisatoren der Demokratie-Demonstrationen berichteten von Ursachen, Gefahren und ...
Arbeitnehmervertreter, Integrationsverein und die Organisatoren der Demokratie-Demonstrationen berichteten von Ursachen, Gefahren und möglichen Lösungen im Hinblick auf das Erstarken der AfD. | Bild: Mario Wössner

Im Anschluss berichteten die Teilnehmer von ihren Herausforderungen im Kampf für die Demokratie. Bernhard Grunewald, Vorsitzender des Vereins „Integration in Singen“, wies daraufhin, wie wichtig es sei, dass bei Kundgebungen nicht nur Politiker, sondern auch einfache Bürger zu Wort kommen. Es brauche zudem mehr Begegnungen zwischen verschiedenen Gruppen. In Singen wolle man beispielsweise den Austausch zwischen Gemeinderäten und Jugendkomitee fördern.

Eda Aktas von der alevitischen Gemeinde Radolfzell berichtete von ihren Sorgen angesichts der islamistischen Demonstration in Hamburg, bei der Teilnehmer ein Kalifat forderten, sowie von Menschen mit Migrationsgeschichte, die selbst die AfD wählten. Sie finde es daher wichtig, dass Migranten in ihren türkischen Vereinen und eigenen Communities aktiv seien, aber eben auch in der Feuerwehr oder dem THW, um Identitäten unabhängig von der Ethnie aufzubauen. Ansonsten fördere dies auch rechte Vorurteile.

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Adrienne Woltersdorf, Cem Sey, Michael Otto, Siggy Pauly vom Bündnis „Höri, Gemeinsam für Deutschland“ organisieren eine Veranstaltung gegen Rechts vor dem Öhninger Rathaus am kommenden Samstag um 15 Uhr. Sie warnten davor, dass die AfD sich auf lokaler Ebene hinter bestimmten Anliegen, wie der Gegnerschaft zur Windkraft, tarne und deren Belange für sich instrumentalisiere. „Es ist wichtig, dass diese Leute spüren: Es gibt Widerspruch gibt, egal wie klein die Gemeinde ist“, sagten die Vier.

Allerdings befürchteten sie, dass kommunale Strukturen und Politiker nicht auf den Umgang mit der AfD vorbereitet seien. Sie seien keine Berufspolitiker und im Umgang mit gezielten Falschinformationen nicht geschult. Eine Beobachtung, der Lina Seitzl zustimmte.

Sind unsichere Arbeitsplätze und Zukunftsängste schuld?

Auf eine mögliche Ursache für antidemokratische Ansichten wiesen die Arbeitnehmervertreter von IG Metall und dem Betriebsrat von Allweiler hin. Julia Bartels berichtete von Sorgen bei vielen Arbeitern, weil sich die Arbeitswelt wandle und viele Arbeitsplätze in Gefahr seien. Man erlebe „unglaubliche Zukunftsängste“ bei vielen Menschen. Diese seien der Nährboden für einfache Lösungen und rechte Parteien. „Die Menschen wissen, dass sie Faschisten wählen, aber sie nehmen es inzwischen in Kauf“, so die IG Metaller.

Auch Heike Gotzmann, die sich im Auftrag der katholischen Kirche um Arbeitnehmer kümmert, stimmte mit Blick auf zunehmende Armut zu: „Die Menschen haben echte Probleme. Und die muss die Politik lösen.“

Wie lässt sich Demokratie vor Ort stärken?

Die beiden SPD-Politikerinnen nannten mögliche Wege, um die Demokratie vor Ort zu stärken. Lina Seitzl sagte, es sei wichtig, den einfachen und angstbesetzten Zukunftsaussichten der AfD ein positives Narrativ entgegenzustellen. „Wir müssen den Menschen klarmachen, dass die Zukunft nicht schlecht ist, sondern dass es viele Chancen gibt, wenn wir für eine gute Zukunft bereits heute vorausdenken und auf neue Technologien setzen“, so Seitzl.

Özoguz ergänzte, dass die demokratischen Parteien hier auch in den sozialen Medien professioneller auftreten müssten, um junge Menschen zu erreichen, bei denen die AfD zuletzt besonders erfolgreich war.

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Zudem brauche es mehr staatliche Mittel für soziale Unterstützung, um dem Gefühl, abgehängt zu sein, entgegenzuwirken, sagte Seitzl auch mit Blick auf die Anbindung des Landkreises durch die Gäubahn. Diese Sorgen müsse die Politik ernst nehmen und Lösungen anbieten. Auch brauche es Austausch zwischen Gruppen mit verschiedenen Ansichten. „Ein gewisser Raum für Verständnis ist notwendig“, sagte die Bundestagsabgeordnete.

Klar ist laut Seitzl aber auch: Wer aktiv Verfassung und Demokratie bekämpft, gegen den müsse die Demokratie sich wehrhaft zeigen – bis hin zu Verboten. Dabei gehe es aber nicht um einzelne Bürger oder Wähler, sondern um Agitatoren und Gruppen, die bewusst die Demokratie bekämpfen. Und für lokale Politiker hoffe sie auf Argumentationstrainings und Schulungen durch die Organisationen.