Der Biber erobert sich aktuell in ganz Baden-Württemberg seine ehemaligen Reviere zurück. Während das Tier vor wenigen Jahrzehnten als fast ausgestorben galt, sind es mittlerweile landesweit rund 7500 Biber, wie das Land 2022 bekannt gab. Auch in Radolfzell und der Umgebung haben sich die Biber in den vergangenen Jahren stark ausgebreitet.
Nadja Grundler von der Stabstelle Umwelt-, Klima- und Naturschutz bei der Stadt Radolfzell hat eine Karte parat, die sämtliche Vorkommen auf der Gemarkung dokumentiert. Nicht nur Landwirte und Fachleute haben mittlerweile das Gefühl, „dass beinah jeder Graben davon betroffen ist“, wie Martin Aichem konstatiert. Der Landwirt aus Güttingen bearbeitet eine Wiese auf Steißlinger Gemarkung unweit des Litzelsees bei Böhringen. Dort haben vermutlich mehrere Biber das Areal von drei Hektar Fläche dauerhaft unter Wasser gesetzt, indem der Mühlbach aufgestaut wurde. Seit dem Jahr 2021 kann Martin Aichem die Wiese nicht mehr nutzen. Auch benachbarte Ackerflächen entlang des Bachlaufes sind davon betroffen.
Kaum Entschädigung und kein Ansprechpartner
Für die Landwirte ergeben sich daraus zahlreiche Probleme, wie jüngst bei einem Vorort-Termin mit Landwirten, Vertretern des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV), Ortschaftsräten und Nadja Grundler zur Sprache kam. Denn auf den Schäden bleiben sie sprichwörtlich sitzen. Wie erläutert wurde, müssen sie die Ernteausfälle kompensieren und das Land zeigt sich bei etwaigen Entschädigungen nicht gerade spendabel.
Äcker und Flächen, die der Biber unnutzbar gemacht hat, kauft das Land für 30 Cent pro Quadratmeter, was nach Ansicht der Landwirte „einer Enteignung nahekommt“, wie der BLHV-Kreisvorsitzende Stefan Leichenauer bei dem Treffen bemerkte.
Gleichzeitig monieren die Betroffenen, dass der eigentlich zuständige Biberbeauftrage beim Regierungspräsidium Freiburg seit Monaten aufgrund einer Erkrankung nicht tätig sein kann. „Die Kompetenzen werden immer nur hin- und hergeschoben“, beklagte Holger Stich, Bezirksgeschäftsführer des BLHV in Stockach die mangelnden Ansprechmöglichkeiten.

Landwirte dürfen nicht aktiv werden
Selbst in die Hand nehmen dürfen die Landwirte das Problem ebenfalls nicht. Denn Biber und ihre Bauten sind laut der FFH-Richtlinie und dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Nur wenn der beauftragte Biberexperte, das Regierungspräsidium und die Untere Naturschutzbehörde es den Kommunen gestattet, aktiv zu werden, können Maßnahmen ergriffen werden.

Das findet seit Längerem statt: Die Technischen Betriebe der Stadt Radolfzell (TBR) müssen derzeit jede Woche zwei Mitarbeiter für jeweils einen halben Tag abstellen, um Biberdämme auf der eigenen Gemarkung zu öffnen. Nadja Grundler musste vor wenigen Monaten verstärkte Dammöffnungen anordnen, nachdem das Trinkwasser in Böhringen aufgrund der Aufstauungen mit Keimen belastet war.
Auch Stadt will Biber vertreiben
Am Markelfinger Riedgraben, wo Biber entlang der Eisenbahnlinie seit eineinhalb Jahren Dämme bauen und das Regierungspräsidium bisher einer Vergrämung nicht zugestimmt hat, stellt die Stadt einen erneuten Antrag für eine dauerhafte Vertreibung. Hier sieht man unter anderem die Standhaftigkeit des Bahndamms gefährdet, sollte man den Tieren freien Lauf lassen. Zudem sind schon jetzt rund zwei Hektar Fläche entlang des Entwässerungsgrabens landwirtschaftlich nicht mehr oder nur teilweise nutzbar.
Ähnlich wie die Landwirte ist auch Nadja Grundler mittlerweile der Meinung, dass man den Bibern an bestimmten Stellen Einhalt bieten muss. Das war nicht immer so: „Ich bin jetzt fünf Jahre älter und habe gelernt, dass der Biber im Mühlbach nicht tragbar ist“, erklärte sie. Der Meinung können die Landwirte nur beipflichten: „Das bisherige Bibermanagement hat versagt“, befand Martin Aichem.