Ukraine-Krieg, Inflation – es sind andere Krisen als noch im vergangenen Jahr, die 2022 im Fokus standen. Doch obwohl ihr weniger Aufmerksamkeit zuteil wurde als noch 2021 und 2020, ist die Corona-Pandemie nach wie vor präsent. Und nicht nur das: Die Zahlen steigen nun wieder. „Es ist lange stabil geblieben, aber mit dem 9. Dezember ging es los“, sagt Sebastian Jung, Chefarzt am Radolfzeller Krankenhaus.
Seit Ende Oktober waren es unter 30 an Corona erkrankte Patienten oder dringende Verdachtsfälle in den Kliniken des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN), am 21. Dezember waren es laut Jung mit 58 fast doppelt so viele. 24 davon wurden im Krankenhaus Radolfzell behandelt.
Nach dem Frühling flachte die Welle ab
Insgesamt fällt Sebastian Jungs Bilanz des Jahres 2022 vergleichsweise positiv aus. Zwar hatte Omikron Anfang des Jahres die Klinik noch an ihre Grenzen gebracht, weil nicht nur die Corona-Normalstationen fast vollständig belegt waren. Auch viele Mitarbeiter wurden positiv auf Corona getestet. Im Februar erreichte die Welle ihren Höhepunkt, in den Krankenhäusern des GLKN lagen damals 80 infizierte Personen oder dringende Verdachtsfälle.
Im Sommer habe es eine zweite Welle gegeben, vermutlich bedingt durch die damaligen Lockerungen und die Lust der Menschen, wieder Veranstaltungen wahrzunehmen. Diese Infektionswelle sei allerdings flacher ausgefallen: Der Betrieb im Krankenhaus konnte damals normal weitergehen, es musste kein Notbetrieb ausgerufen werden.

„Im Krankenhaus sind die Schutzmaßnahmen auch nie aufgehoben worden“, erklärt Sebastian Jung. Es habe durchweg eine Maskenpflicht gegeben, „und es gab auch nie eine Zeit, in der die Mitarbeiter nicht getestet wurden“. Allerdings sei die Häufigkeit der Tests zwischenzeitlich auf einen pro Woche reduziert worden, bevor zuletzt dreimal pro Woche getestet wurde und aktuell täglich getestet wird.
Allgemeine Entspannung nach dem Sommer
Zudem sanken die Zahlen nach den Sommermonaten wieder. „Seither gab es eine allgemeine Entspannung“, erklärt der Chefarzt. In den Kliniken des GLKN gebe es seit dem Sommer auch keine speziellen Corona-Stationen mehr. Stattdessen werden sie auf den gleichen Stationen betreut wie auch die anderen Patienten – allerdings unter besonderen Bedingungen: „Sie werden dort wie andere Infektionspatienten isoliert“, so Sebastian Jung. „Und zwar nach den gleich strengen Regeln wie es sie auch auf den Corona-Stationen gab.“
Außerdem seien die Corona-Patienten im Radolfzeller Krankenhaus in der jüngsten Zeit weniger solche gewesen, die aufgrund einer schweren Infektion in die Klinik eingeliefert werden mussten. „Früher waren sehr viele Covid-Patienten wegen Covid im Krankenhaus“, sagt Jung. Heute würden die Patienten vermehrt aus anderen Gründen ins Krankenhaus kommen und dort positiv auf Corona getestet worden. „Diese Patienten gehen alle auch in unsere Zahlen ein.“
Werden sie wegen ihres eigentlichen Einlieferungsgrund behandelt, brauchen also etwa eine Untersuchung, muss das Krankenhauspersonal Vorsichtsmaßnahmen treffen: Es trägt also Sicherheitskleidung, zudem müssen Gerätschaften und Räume gründlich desinfiziert werden.
Häufig weniger schwerer Verlauf
Neben den sinkenden Zahlen gab es zuletzt auch noch eine weitere positive Nachricht: Wie Chefarzt Sebastian Jung berichtet, ist die Omikron-Variante zwar sehr ansteckend, „aber der durchschnittliche Verlauf ist nicht ganz so schlimm wie bei den vorherigen Varianten“. Dadurch müssten weniger Patienten wegen Corona im Krankenhaus behandelt werden. Aber: „Wir sehen trotz allem auch sehr, sehr schwere Verläufe.“ Besonders betroffen seien nach wie vor die Risikogruppen wie ältere Menschen. Aber nicht nur.
Zudem gebe es viele Patienten, die an Long Covid leiden. Zwar würden diese ebenfalls selten aus diesem Grund ins Krankenhaus eingeliefert werden, allerdings fallen bei der Behandlung dort die Folgen auf: Ein Teil habe mit körperlichen Problemen zu kämpfen, etwa Schäden der Lunge. Ein anderer bemerke allgemeine Leistungseinschränkungen, „die entwickeln das Fatigue-Syndrom“, so Jung – also Müdigkeit, Erschöpfung, Schwäche und auch langzeitige Geschmacks- und Geruchsveränderungen.
Die Situation ist nun verschärft
Wie sich die Zahlen nun entwickeln, muss sich erst noch zeigen. Schon jetzt mussten für die Kliniken im Gesundheitsverbund der Notbetrieb ausgerufen werden. Wie Sebastian Jung erklärt, ist daran nicht nur Corona Schuld. „In letzter Zeit kommen zu den Corona-Patienten auch viele Patienten mit Influenza, also der Grippe dazu“, so der Chefarzt. Auch mit RS-Viren infizierte Patienten, vor allem Kinder, liegen in den Kliniken des GLKN – nicht in Radolfzell, aber an anderen Standorten.
Auch Mitarbeiter seien betroffen. Die Krankenstände im GLKN seien „so hoch wie noch nie“, sagt Jung. Insbesondere die patientennahen Gruppen, also Pflegekräfte und Ärzte, treffe es. Das reduziere die Zahl der verfügbaren Betten.
Personalmangel ist ein Problem
Denn die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung regelt, wie viele Patienten von einer Pflegekraft versorgt werden dürfen. Eingeführt worden sei sie, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. „Das ist im Prinzip etwas Gutes“, sagt Sebastian Jung. Denn weil sie für weniger Patienten zuständig sind als zuvor, sollen die Mitarbeiter entlastet werden. Doch es gibt ein Problem: Es fehlt an Personal. Das sei schon seit Jahren so, berichtet der Chefarzt. Und durch die aktuellen Krankenfälle reduziert sich die Zahl der Mitarbeiter weiter.
Dadurch können die eigentlich im Radolfzeller Krankenhaus zur Verfügung stehenden Betten „bei Weitem“ nicht voll belegt werden. Tagesaktuell werde anhand des zur Verfügung stehenden Personals entschieden, wie viele Patienten versorgt werden können. Und nachmittags finde mit den anderen Kliniken im GLKN eine Konferenz statt, um zu entscheiden, wie in der Nacht verfahren werde. Sebastian Jung bringt es auf den Punkt: „Bei der Versorgung sind wir jetzt wieder in einer Lage wie in den größten Covid-Wellen.“
Was die Betten weiter reduziert
Und noch etwas reduziert die Betten weiter: Wie der Chefarzt berichtet, sei es unter Umständen schwierig, pflegebedürftige Patienten, die mit Corona infiziert sind, aber aus anderen Gründen im Krankenhaus behandelt wurden, wieder zu entlassen. Denn Pflegedienste und Pflegeheime können sie nur schwer versorgen, weil sie dort ja auch isoliert werden müssen, wie Jung erklärt. So bleiben sie bis zu ihrem negativen Testergebnis im Krankenhaus und müssen dort betreut werden.