In der vergangenen Woche musste sich das Amtsgericht Radolfzell mit einem besonders unappetitlichen Fall befassen: Es ging um den Erwerb, Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie. Die Richterin verurteilte den Angeklagten schließlich. Doch eine Strafe oder auch nur Auflagen bekam er nicht, lediglich eine Verwarnung. Denn seine eigene Lebensgeschichte ist so tragisch, dass er selbst auch Opfer ist – und eine sinnvolle Bestrafung unmöglich.

Die Staatsanwaltschaft warf dem erst 19-jährigen Angeklagten gleich mehrere Taten vor. Zum einen soll er über soziale Medien zwischen November 2021 und Februar 2022 mit einem zwölfjährigen Mädchen in Österreich in Kontakt gekommen sein und mit ihr gechattet haben. Sie habe sich zunächst als 14-Jährige ausgegeben – ein Alter, das der damals 18-jährige Angeklagte als „halbwegs im gesetzlichen Rahmen“ einstufte.

Ihr wahres Alter habe er erst später erfahren, sie aber dennoch gebeten, ihm ein Nacktfoto zu schicken. Das habe das Mädchen abgelehnt, wie aus dem Chatverlauf hervorgeht.

Ermittler finden Dateien auf Handy des Angeklagten

Später sah deren Mutter den Chat und zeigte an Angeklagten an. Im Zuge der Ermittlungen durchsuchten Polizeibeamte dessen Wohnung und Handy. Darauf fanden sie knapp 30 Dateien mit kinder- und jugendpornografischen Inhalten, berichtete der leitende Ermittler im Gericht, was ihm zufolge eine ungewöhnlich geringe Menge ist. Normalerweise fänden sich Tausende oder Millionen Dateien auf den Rechnern von Pädophilen.

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Zudem stammen laut Analyse des Geräts alle Dateien aus einem kurzen Zeitraum im Juni 2022. Zuvor habe der Angeklagte laut eigener Aussage nichts mit solchen Dingen zu tun gehabt. In einer WhatsApp-Gruppe habe ihm Anfang Juni ein ihm Unbekannter eine pornografische Datei mit einer Jugendlichen geschickt. Er sei in dieser Zeit „geistig und psychisch nicht auf der Höhe“ gewesen, sagte er aus. Deshalb habe er die Gruppe nicht verlassen, sondern weitere Bilder erhalten und geteilt.

Angeklagter ist geistig eingeschränkt und selbst traumatisiert

Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde dann auch klar, warum er nicht auf der Höhe war – und selbst auch Opfer ist. Laut Jugendgerichtshilfe leidet der 19-Jährige unter dem fetalen Alkoholsyndrom, weil seine Mutter während der Schwangerschaft trank. Er gilt als geistig behindert, lebt dauerhaft in Betreuung.

Er habe laut Jugendgerichtshilfe eine anhaltende Entwicklungsverzögerung, die sich vermutlich nicht mehr vollständig bessern werde. Der Kontakt mit Gleichaltrigen falle ihm schwer, die korrekte Einordnung von Dingen auch.

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Zudem, so wird aus seinen eigenen Schilderungen deutlich, hat der 19-Jährige in der Kindheit selbst sexuellen Missbrauch erlebt. Er habe daher auch, so sagt er aus, zumindest die Bilder, die Mädchen über 14 Jahre zeigen und damit als jugend- und nicht kinderpornografisch gelten, als normal empfunden, da er es selbst so erlebt habe.

Als die Bilder in der Gruppe im Laufe des Junis extremer und die abgebildeten Kinder jünger wurden, habe er das aber als „extrem krank“ empfunden und sich zurückgezogen. Er habe die Gruppe zudem anonym anzeigen wollen, was aber nicht möglich gewesen sei.

Beteiligte tun sich schwer mit angemessenem Urteil

Laut dem leitenden Ermittler sei der Fall schwierig einzustufen: Einerseits seien vergleichsweise wenige Dateien gefunden worden und keine Vorgeschichte bekannt, andererseits sei darunter durchaus heftiges Material.

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Ein richtiges Maß im Urteil zu finden, fiel daher allen Verfahrensbeteiligten schwer. Die Jugendgerichtshilfe machte deutlich, dass Psychotherapie ihm in seiner Entwicklung und Aufarbeitung seines Traumas bisher nicht geholfen habe. Denn die Krankheit des Angeklagten sei eine Behinderung und daher nicht reparabel. Wichtig sei stattdessen ein stabiles Umfeld, wie in der aktuellen Wohnsituation mit Betreuung, um weiteres Fehlverhalten zu verhindern.

Keine Strafe – aber verbaler Denkzettel

Am Ende erteilte Richterin Julia Elsner dem Angeklagten daher eine Verwarnung ohne jegliche Auflagen, was auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung so gefordert hatten. Der Grund: Keine im Jugendstrafrecht vorhandene Auflage wäre sinnvoll gewesen. Eine Geldstrafe könne der Angeklagte nicht bezahlen, Sozialstunden nicht leisten und eine Psychotherapie sei in seinem aktuellen geistigen Zustand aktuell noch nicht sinnvoll.

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Die Richterin macht ihm jedoch deutlich: „Ihnen muss klar sein, sie haben hier zahlreiche Verbrechen begangen. Das sind schlimme Taten. Als Erwachsener bekämen sie dafür eine Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahren.“ Der Konsum dieser Bilder fördere die Produktion – und damit das Quälen von Kindern. „Bei Ihrer eigenen Geschichte muss ihnen klar sein, was das für diese Kinder bedeutet.“