Mit aufrechtem, fast erhabenem und stolzem Gang betritt der 42-jährige Angeklagte den Saal des Konstanzer Landgerichts. Zwei Polizisten führen ihn hinein. Er kommt direkt aus dem Gefängnis. Sein Blick schweift durch die Zuschauerreihen. Mit einem leichten, etwas arroganten Lächeln taxiert er, wie später immer wieder während der Verhandlung, die Zuschauer – besonders die weiblichen. Es wirkt wie ein Heischen um Anerkennung.
Die Arme des Mannes sind mit Handschellen fixiert, auch an den Füßen trägt er Fesseln – und feste, schwarze Schuhe. Die gleichen Schuhe, mit denen er wenige Monate zuvor in die Wohnung seiner Eltern in Radolfzell eingedrungen ist, seine Mutter niedergeschlagen und seinem durch einen Schlaganfall bereits stark beeinträchtigten und im Bett liegenden Vater brutal ins Gesicht getreten hat. Nun ist er angeklagt, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung.
Schwester beschreibt Angeklagten als vorbildlichen Vater
Doch trotz der Brutalität geht es vor Gericht nicht um eine Gefängnisstrafe, sondern um die mögliche Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Wie konnte es so weit kommen, dass der einst „vorbildliche Ehemann und Vater“, wie ihn seine Schwester im Zeugenstand beschreibt, so weit abrutschte, dass dieselbe Schwester nun Angst vor ihm hat und seine Einweisung wünscht?
Bereits als Jugendlicher war der Angeklagte, so schildern er selbst und seine Schwester es, alkohol- und drogenabhängig. Er schaffte dennoch einen Realabschluss, eine Ausbildung zum Schreiner und mehrere Weiterbildungen. Nach einem gescheiterten Suizidversuch im Jahr 2001 und drei Monaten im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) auf der Reichenau, scheint er auf dem Weg der Besserung. Er findet Arbeit, heiratet, wird Vater und kommt ohne fremde Hilfe von Alkohol und Drogen los. Eine glückliche Phase, wie der psychiatrische Gutachter vor Gericht urteilt.
Angeklagter gibt seinen Eltern die Schuld
Doch dann kippt das Leben des Angeklagten: 2010 lässt er sich scheiden. Laut Aussage seiner Schwester habe er die Angst, seine Frau könnte in seiner Abwesenheit fremdgehen, nicht mehr ausgehalten. Ab dann geht es bergab, der Gutachter spricht von einer „psycho-sozialen Verelendung“. Er begeht einen zweiten Suizidversuch, wird arbeitslos, randaliert mehrfach im Elternhaus und in weiteren Wohnungen, häuft Schulden an und ist zeitweise obdachlos. Nachts schreit er rum, boxt gegen Wände und führt Selbstgespräche.
Die Schuld an diesem Zustand gibt er chronischen Schmerzen und der fehlenden Unterstützung durch die Familie – im Alter von 42 Jahren. Er selbst könne hingegen wenig ändern. Seine Schwester sagt jedoch aus, regelmäßig für ihn eingekauft zu haben. Außerdem hätten sie und die Mutter dem Angeklagten über dessen Sohn Geld zukommen lassen. haben.
Zeuge spricht von Dr. Jekyll und Mr. Hide
Nach Ausrastern folgen immer wieder tageweise Aufenthalte im ZfP. Sein ehemaliger Vermieter sagt, der Angeklagte habe „zwei Gesichter.“ Mal sei er ruhig gewesen, dann wieder total aggressiv und wie ein Tier. Eine weitere Behandlung verweigert der Angeklagte jedoch immer, eine psychische Krankheit streitet er ab.
Ab 2020 wird er straffällig, unter anderem mit Körperverletzungen. Da er Geldstrafen nicht bezahlen kann und gegen Bewährungsauflagen verstößt, sitzt der 42-Jährige seit vergangenem September im Gefängnis, wo er eigentlich noch bis Herbst bleiben müsste. Doch nun steht seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik zur Diskussion – wegen einer weitaus brutaleren Tat.
Im Mai vergangenen Jahres schlägt er seine eigenen Eltern brutal zusammen. So wirft es ihm die Staatsanwaltschaft vor und so bestätigen es er selbst sowie etliche Zeugen vor Gericht. Seine Begründung: Er habe sich benachteiligt und provoziert gefühlt, da seine Mutter ihm kein weiteres Geld geben wollte. Er habe deshalb beschlossen, „ihr die Fresse zu polieren“, wie er aussagt.
Tritt ins Gesicht sei „eine ganz normale Sache“
Die körperlichen Wunden sind tief: Die Mutter geht bewusstlos und blutend zu Boden. Die Nase des Vaters bricht bei der Attacke, er hat etliche Verletzungen. Danach verlässt der Angeklagte die Wohnung, wirft mit Steinen die Autoscheiben seiner Schwester ein, die im selben Haus wohnt, und droht, sie umzubringen.
Von Einsicht oder gar Reue ist beim 42-Jährigen vor Gericht jedoch keine Spur. Stattdessen schaut er Zeugen und Zuschauer immer wieder mit einem arroganten Lächeln an. Er findet seine Reaktion angemessen, der Tritt ins Gesicht sei eine „ganz normale Sache“.
Unter welcher Krankheit leidet der Angeklagte?
Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters Arno Hornstein, ob er es nicht brutal finde, seine eigenen, bereits alten Eltern so zu schlagen, sagt er: „Nein, es ist doch egal, ob ich gesunde oder behinderte Menschen schlage. Wenn sie so schwach sind, sollen sie mich halt nicht provozieren.“
Der psychiatrische Gutachter diagnostiziert eine narzisstisch-paranoide Persönlichkeitsstörung. Der Angeklagte sei überempfindlich, misstraue jedem und gebe wahnhaft der Familie die Schuld an seiner Situation. „Es ist eine narzisstische Verblendung, mit Anfang 40 zu glauben, die Eltern müssten einem bei allem helfen. Und dazu kommt der paranoide Wahn, von allen benachteiligt zu werden“, fasst der Gutachter zusammen.
Gericht ordnet Unterbringung in Psychiatrie an
Einsicht in seine Krankheit zeige er 42-Jährige jedoch nicht. Ein weiterer Beleg, so der Gutachter, für eine „unkorrigierbare Persönlichkeitsstörung“. Stattdessen reagiere er mit grenzenloser Aggression, die sich nicht bessern werde. Die Einsichtsfähigkeit sei vermindert, die Steuerungsfähigkeit sogar stark eingeschränkt. Weitere Straftaten dieser Qualität seien wahrscheinlich, weshalb er eine Unterbringung empfehle.
Das Urteil ist daher am Ende „alternativlos und unstrittig“, sagt Richter Arno Hornstein. Er spricht den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit frei und ordnet, wie von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gefordert, die einstweilige Unterbringung nach Paragraf 126 der Strafprozessordnung und Paragraf 63 des Strafgesetzbuches an. „Diese Taten gegen die eigenen Eltern haben mich wirklich entsetzt“, begründet Hornstein.