In Radolfzell ist nicht nur Baugrund für bauwillige Familien knapp. Auch für Menschen mit einem Einkommen weit entfernt vom Eigenheim ist bezahlbarer Wohnraum Mangelware. Erst recht, wenn gar kein Einkommen oder nur ein sehr geringes zur Verfügung steht.
Diese Menschen haben in der Regel Anspruch auf eine sozial geförderte Wohnung. Doch davon gibt es in Radolfzell mit seinen knapp 32.000 Einwohnern gerade einmal 57 Stück. Dies teilt Emanuel Flierl, Leiter der Abteilung Liegenschaften, auf Nachfrage des SÜDKURIER mit.
Diese Wohnungen befinden sich einmal in der Otto-Blesch-Straße, dort sind 36 sozial geförderte Wohnungen. In der Schlesierstraße befinden sich elf Wohnungen, in der Schillerstraße sind es neun Wohnungen und eine privat angemietet Wohnung.
Doch diese werden nur noch wenige Jahre als Sozialwohnung zur Verfügung stehen. Denn die Mietpreisbindung für die Wohnungen in der Otto-Blesch-Straße und Schlesierstraße, also für 47 der 57 Wohnungen, läuft Ende 2025 aus.
Mit dem Ende der Preisbindung steigen die Mieten
Dann wird der Wohnraum dem freien Wohnungsmarkt zugeführt und dies führt zu Mietsteigerung. Auch können dann Menschen in diese Wohnungen einziehen, die keinen Wohnberechtigungsschein haben. Die Preisbindung für die Wohnungen in der Schillerstraße läuft noch bis zum 31. Juli 2030 und die private Wohnung hat eine Preisbindung bis 31. Dezember 2027.
Die Bindungsdauer richtet sich danach, wie lange das zinslose Darlehen gewährt wird und kann derzeit für zehn, 15, 25 oder 30 Jahre beantragt werden, erklärt Emanuel Flierl. Sie richte sich nach der Förderzusage der L-Bank Baden-Württemberg und sei abhängig vom Förderprogramm. Das letzte Förderprogramm Wohnungsbau BW 2020/2021 ist am 1. Juni 2022 durch das neue Förderprogramm VwV-Wohnungsbau BW 2022 abgelöst worden.
Würde die Stadt Radolfzell also nicht aktiv werden, könnten in wenigen Jahren fast sämtliche Sozialwohnungen verloren gehen. Doch haben Stadt und Gemeinderat bereits 2017 die baulandpolitischen Grundsätze verabschiedet, um Investoren vertraglich dazu zu verpflichten, auch sozialen Wohnraum zu schaffen. Nach einigen Startschwierigkeiten zahlt sich dieser Schritt nun aus.
In den nächsten Jahren sollen 85 neue Sozialwohnungen entstehen
In den nächsten Jahren werden so zirka 85 neue Wohnungen mit Preisbindung entstehen. In Radolfzell sind es etwa 37 Wohnungen, die zwischen 15 und 30 Jahren sozial gefördert werden. In Markelfingen sind es 13 Wohnungen, die eine Preisbindung von 30 Jahren haben.
In Böhringen entstehen gerade 33 Sozialwohnungen, die 30 Jahre lang zur Verfügung stehen und in Güttingen sind es noch einmal zwei Wohnungen, da ist die Dauer der Preisbindung noch unklar. In der Schlesierstraße sind weitere elf Wohnungen geplant, jedoch noch nicht vertraglich manifestiert, sagt Emanuel Flierl, Leiter der Abteilung Liegenschaften. Die Bindungsdauer werde hier mindestens 20 Jahre betragen. Weitere Projekte sind in der Vorbereitung.
Stand heute hat die Stadt Radolfzell für ein paar wenige Jahre mehr sozialen Wohnraum zur Verfügung. Ab 2026 aber sind es 95 Stück, ab 2030 dann nur noch 83 Stück. Laut Petra Ott, Leiterin der Abteilung Partizipation und Integration, würden in Radolfzell jährlich rund 70 Anträge auf Wohnberechtigungsschein gestellt.

Diese Nachfrage konnte bisher mit der schieren Anzahl an Sozialwohnungen nicht bedient werden. Und es liegt nahe, dass mit einem größeren Angebot an Sozialwohnungen auch mehr Radolfzellerinnen und Radolfzeller um einen Wohnberechtigungsschein bemühen.
Gröger sieht einen Mangel an gemeinnützig ausgerichteten Bauträgern
Doch soll es laut Oberbürgermeister Simon Gröger nicht bei den 95 Sozialwohnungen bleiben. Er sieht ein Problem darin, dass es gemeinnützig ausgerichtete Bauträger brauche, um eine langfristige und nachhaltige Wirkung auf dem Wohnungsmarkt zu erzielen. Denn in der Regel würden sozial geförderte Wohnungen nach Auslaufen der Preisbindung – oft bereits nach acht bis zehn Jahren – zu Marktpreisen vermietet oder sogar in Eigentumswohnungen umgewandelt.
Dies ist zum Beispiel bei den Sozialwohnungen in der Schillerstraße der Fall. Diese sind erst 2020 fertig gestellt worden und haben lediglich eine Mietpreisbindung von zehn Jahren, danach können die Besitzer die Mieten dem Marktpreis üblich anheben.

Eine Möglichkeit, dieser Entwicklung vorzubeugen, sei eine Verlängerung der Bindungsfristen für die sozial geförderten Wohnungen, so der OB. Diese Variante sei jedoch in der Regel bei Investoren nicht sehr beliebt, da sie zu einer geringeren Rentabilität führen könne.
Stadt soll Grundstücke nur in Erbpacht vergeben
Ein Ansatz wäre es daher, dass die Stadt Radolfzell grundsätzlich versuche, Eigentümerin der Grundstücke zu bleiben oder weitere Flächen selbst zu erwerben. „Anstatt Grundstücke zu verkaufen, können diese dann in Erbpacht vergeben werden“, sagt OB Gröger. Eine weitere Option wäre die Bildung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft. In diesem Zusammenhang könne auch geprüft werden, ob eine Kooperation mit vorhandenen Wohnbaugenossenschaften umsetzbar wäre.
Wichtig sei es für OB Simon Gröger, bei diesem Thema den Dialog mit den lokalen Vertretern der Immobilienbranche zu suchen, zum Beispiel mit dem Mieterbund, den Baugenossenschaften und weiteren. Er wolle gemeinsam mit dem Gemeinderat alle Optionen prüfen und abwägen, welcher Weg für Radolfzell am besten geeignet wäre.