Der Tod ist ein Thema, das gerne verdrängt wird und doch alle betrifft. Sollten die Umstände des Lebensendes zu bestimmen sein, so wünschen sich die meisten Menschen, zu Hause zu sterben. Die Realität sieht anders aus.
Etwa zwei Drittel erleben die letzten Momente ihres Lebens in einer Klinik, führte Achim Gowin, Chefarzt am Zentrum für Altersmedizin am Hegau-Bodensee-Klinikum Radolfzell, aus.
Am Vorabend des Hospiz-Welttags beleuchtete er in seinem Vortrag „Lebensende in medizinischen Institutionen – Sicherheit und Geborgenheit oder Angst und Einsamkeit“ im Milchwerk die Schwierigkeit, sterbende Menschen in Krankenhäusern zu begleiten. Der Mediziner hielt mit Offenheit Rückschau. Er sprach von Erfolgen der Medizin, aber auch von großen Missständen.
Begleitung bis zum Ende
„Leben bis zum Schluss“, nach dieser Idee wollten die Mitarbeiter des Hospizvereins Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt begleiten, führte die Vorsitzende Christine Rammensee aus.
Hospiztätigkeit würde von Menschen geleistet, die eine Grundempathie für andere mitbringen, so Gowin, der ebenfalls im Vorstand des Hospizvereins aktiv ist. Als die älteste medizinische Tätigkeit sei das Hospizwesen eine „große, interaktive, menschliche Kultur“.
Trotz Fortschritts in der Medizin ist der Tod immer noch ein schwieriges Thema
Nachdem die invasive Medizin im vergangenen Jahrhundert immense Fortschritte gemacht hat, stünden Patienten und Ärzte heute oft vor der schwierigen Entscheidung, wann von einem kurativen, behandelnden Ansatz zur palliativen Begleitung schwerstkranker Menschen übergegangen wird.
In seinem langen Berufsleben hat Achim Gowin in verschiedenen Bereichen der Medizin gearbeitet. In der Onkologie habe er in den 80er-Jahren „viele Krebspatienten jämmerlich sterben gesehen“. Damals sei beinahe jeder Krebspatienten mit einer Chemotherapie behandelt worden. Sterbende seien teils in Nebenzimmer, in Abstellräume geschoben worden.
In den letzten zehn Jahren habe sich in Krankenhäusern allerdings vieles verändert, so der Mediziner. Der Weg weise in Richtung einer Heilungskultur, in der Entscheidungen von einem Team von Medizinern und Pflegenden getroffen würden. Im Zentrum für Altersmedizin im Radolfzeller Krankenhaus würde der Fall jedes Patienten einmal pro Woche mit dem gesamten Team besprochen.
Medizin hat zwei große Ziele
Der Mediziner formulierte zwei große Ziele, die von Ärzten angestrebt werden sollten. Es gelte, die Autonomie des Patienten wiederherzustellen. Einen Menschen ganzheitlich und nach seinem Willen zu behandeln, nannte Gowin „eines der schwierigsten Kapitel im Krankenhauswesen“.
Des Weiteren sollte Wahrhaftigkeit angestrebt werden. „Was tut man als Arzt, wenn man einem Menschen ansieht, dass man ihn nicht mehr heilen kann?“ fragte er. Das medizinische Abrechnungswesen lebe von Interventionen, nicht vom Nichtstun.
Krankenhauskonzept bedarf der Veränderung
Um ältere, kranke Menschen würdig und mit Empathie zu behandeln, müsste das gesamte Krankenhauskonzept in Deutschland verändert werden, so der Mediziner. Mitarbeiter in Pflegeberufen leisteten Großartiges, doch der Beruf werde nicht ausreichend honoriert.
Die Ausbildung gehöre an die Universität. Pflegekräfte sollten besser bezahlt werden. Aufgrund des Pflegenotstands stünden im Gesundheitsverband des Landkreises 50 bis 60 Betten leer. Außerdem forderte Gowin: Große medizinische Eingriffe sollten von einem Team beschlossen und vertretbar sein. Jedes Krankenhaus und Heim sollte eine Palliativstation bekommen.