Die Verhandlung, an dessen Ende die Direktorin des Radolfzeller Amtsgerichts zwei Menschen vielleicht sogar näher zusammengebracht hat, beginnt mit einem Schuldeingeständnis. „Kinderschänder ist ein hartes Wort“, betont der Angeklagte. „Das hätte ich nicht sagen sollen.“

Lange Vorgeschichte

Wegen eben dieser Beleidigung steht er vor Gericht. Einem 77-jährigen Rentner soll er die Worte vor ein paar Monaten, am 19. Mai, entgegengerufen haben. Aus Wut, als es im Streit zwischen den beiden eskalierte.

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Und schon die Vorgeschichte der Männer ist lang – und verworren. So lang, dass man bis ins Jahr 2019 zurückgehen muss, um sie zu verstehen. Damals fängt der 77-Jährige an, in einer Praxis mit angeschlossenem Geräteraum zu trainieren.

In jener Praxis, in der damals auch der Angeklagte als Physiotherapeut arbeitet. „Er hat sich unmöglich aufgeführt und sich nie an unsere Regeln gehalten“, erzählt er. Deshalb sei dem Rentner gekündigt worden. Der Angeklagte habe zwar nichts mit der Kündigung zu tun gehabt, aber gespürt, dass der 77-Jährige ihn seitdem „auf dem Kieker hatte“.

Die Geschichte mit dem Hund

Denn: Auffällig sei es schon gewesen. Wenn der Angeklagte in Radolfzell mit seinem Hund unterwegs war, sei er vom Rentner immer wieder fotografiert und belästigt worden. Wenn er den Hund von der Leine gelassen hatte, zeigte der 77-Jährige ihn beim Ordnungsamt an. Sprach er ihn darauf an, seien die Situationen regelrecht eskaliert und im Mai eben das Wort „Kinderschänder“ gefallen.

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Wobei der Angeklagte sagt: „Das kam aus der Situation heraus. Ich hatte ihm gesagt, er soll mich nicht fotografieren und sich hinter den Büschen verstecken, das würden nur Kinderschänder so machen.“ Wobei er auch betont, er schäme sich für seine Wortwahl. Er habe sich schlichtweg belästigt gefühlt.

Wenn sich einer belästigt fühlt und der andere Angst hat

Noch verworrener wird es, als der 77-Jährige den Saal betritt und mit seinen Erinnerungen durcheinander kommt, Tag und Ort des Streites mit einem anderen zu verwechseln scheint. Und dann immer wieder von Dingen spricht, die seine Frau – und nicht er selbst – erlebt habe. Wie seine Frau den Hund unangeleint sah und wie es sie erschreckt habe etwa.

Das Amtsgericht in Radolfzell. (Archivbild)
Das Amtsgericht in Radolfzell. (Archivbild) | Bild: Mario Wössner

Erst zum Ende der Verhandlung ahnt man, warum das Thema Hund in seiner Familie ein sensibles ist. Da erzählt der 77-Jährige von einem Vorfall vor fünf Jahren: Als ein Dobermann seinen Dackel und seine Frau angriff. „Unser Dackel musste notoperiert werden und meine Frau hat jetzt Angst vor Hunden, wenn sie frei laufen.“

Der Direktorin des Amtsgerichts reicht es

Seitdem achte er darauf, dass andere ihre Hunde auch anleinten. Mit dem Angeklagten oder der Kündigung aus der Therapiepraxis habe das nichts zu tun.

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Nach einer Stunde Verhandlung, als beide einwerfen, einander mit weiteren Anzeigen zu belasten, reicht es der Direktorin des Amtsgerichts: „Auch wir Behörden haben anderes zu tun als ihr Aufeinandertreffen zu regulieren“, sagt sie – und wünscht sich für die beiden einen Neuanfang, einen klaren Schnitt.

Verfahren eingestellt

Und tatsächlich erreicht sie damit die Zusage der Männer, einander künftig in Ruhe zu lassen. Und das Versprechen des Angeklagten: „Meinen Hund anzuleinen. Ich kann verstehen, dass Sie Angst haben“, so der Angeklagte. Das Verfahren wegen Beleidigung wird am Ende eingestellt.