Mütter und Väter sind verunsichert, die Verantwortlichen versprechen Aufklärung: In der evangelischen Kinderkrippe Reichenau sollen mehrere Ereignisse vorgefallen sein. Zunächst stand der Vorwurf im Raum, eine Erzieherin habe Kinder beim Essen auf einem Stuhl fixiert. Außerdem seien Kinder schon zuvor von einer anderen Erzieherin durch Niederdrücken aufs Bett zum Schlafen genötigt worden. Auch habe sie weinende Kinder in der Toilette eingesperrt.

In diesem Gebäude ist eine der beiden Krippengruppen der evangelischen Kita Reichenau untergebracht.
In diesem Gebäude ist eine der beiden Krippengruppen der evangelischen Kita Reichenau untergebracht. | Bild: Kirsten Astor

SÜDKURIER-Recherchen ergaben, dass tatsächlich zwei Kinder im Kleinkindalter durch das Anlegen eines Fünf-Punkt-Gurtes daran gehindert wurden, beim Essen vom Stuhl aufzustehen. Dies sollte wohl verhindern, dass die Kinder sich und andere verletzen, wenn sie mit Besteck in der Hand herumlaufen. Die betroffenen Eltern unterschrieben im Nachhinein eine Einverständniserklärung.

„Fixierungen sind nicht zulässig – egal, mit welchem Mittel.“

Doch Markus Weimer, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Konstanz, sagt: „Allerdings wird durch die Erklärung der Eltern die Rechtswidrigkeit der Handlung nicht aufgehoben. Fixierungen sind nicht zulässig, egal, mit welchem Mittel. Daher halten wir die unmittelbare Intervention als Träger für unabdingbar.“

Aus diesem Grund hätten das Dekanat und das Verwaltungs- und Serviceamt (VSA) Emmendingen als Geschäftsführung und Fachberatung der Kita sofort gehandelt, als der Vorfall mit dem Stuhl gemeldet wurde. „Nur wenige Stunden später saßen wir zusammen und haben die Erzieherin präventiv freigestellt“, sagt Weimer. Er betont: „Wir möchten absolut transparent kommunizieren.“

„Wir möchten absolut transparent kommunizieren“, sagt Markus Weimer, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Konstanz.
„Wir möchten absolut transparent kommunizieren“, sagt Markus Weimer, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Konstanz. | Bild: Markus Weimer

So sei der Vorfall auch gleich bei der Aufsichtsbehörde, dem Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) Baden-Württemberg, gemeldet worden. Die Auseinandersetzung mit der Erzieherin landete vor dem Arbeitsgericht, es kam zur Einigung der Parteien und zum Aufhebungsvertrag.

„Die Erzieherin wird nicht mehr in der Krippe auf der Reichenau arbeiten“, so Weimer. Als dreifacher Vater ergänzt er: „Ich kann verstehen, dass Verunsicherungen im Raum stehen, deshalb haben wir auch einen Elternabend einberufen.“

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Der Vorfall mit dem Stuhl ereignete sich im vergangenen März, der Elternabend fand Mitte April statt. Neben Markus Weimer stellten sich auch Pfarrerin Sabine Wendlandt von der evangelischen Kirchengemeinde Reichenau und Geschäftsführer Michael Riggert vom VSA den Fragen der Mütter und Väter.

„Natürlich gab es beim Elternabend Ärger, denn sowas darf nicht passieren“, sagt Dekan Weimer. „Aber viele Eltern haben sich auch sehr positiv über die Einrichtung geäußert.“ Kein Kind sei aufgrund des Vorfalls von der Krippe abgemeldet worden.

„Wir bedauern außerordentlich, dass es in unserer Kita zu diesem Vorfall gekommen ist“, sagt Pfarrerin Sabine Wendlandt.
„Wir bedauern außerordentlich, dass es in unserer Kita zu diesem Vorfall gekommen ist“, sagt Pfarrerin Sabine Wendlandt. | Bild: Eva Marie Stegmann | SK-Archiv

Das Dekanat versandte aufgrund der SÜDKURIER-Nachfragen eine Pressemitteilung. „Wir bedauern außerordentlich, dass es in unserer Kita zu diesem Vorfall gekommen ist“, wird Pfarrerin Sabine Wendlandt darin zitiert. Und weiter: „All unsere Kräfte fließen nun in die Aufarbeitung.“

Und doch sind die Sorgen der Eltern weiterhin groß. Ein Elternteil schrieb dem SÜDKURIER: „Es geht um das Wohl unserer Kinder. Diese sind zwischen neun Monate und drei Jahre alt. Die meisten können noch nicht sprechen, können zu Hause nicht erzählen, was vorgefallen ist.“

Eltern vermissen vollständige Transparenz

Wie groß der Aufklärungswille seitens der Kirche ist, stellen manche Eltern in Frage. „Nach meiner persönlichen Wahrnehmung findet keine vollständige Transparenz gegenüber den Eltern statt. Insbesondere habe ich das Gefühl, dass die Verantwortlichkeit für Missstände in der Einrichtung auf einzelne Erzieherinnen abgewälzt werden soll“, sagt Vater Benjamin Benitz, bis vor kurzem Elternbeiratsvorsitzender der Einrichtung.

Im Sommer 2022 soll es zu den oben genannten weiteren Vorfällen beim Schlafenlegen und in der Toilette gekommen sein. Der anschließend neu gewählte Elternbeirat verfasste Ende 2022 eine mehrseitige Stellungnahme zum Verdacht der Kindeswohlgefährdung und sandte sie an verschiedene Aufsichtsbehörden. Direkt nach den Geschehnissen hätten die Verantwortlichen damals nicht gehandelt, sagen Eltern.

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Der KVJS bestätigt gegenüber dem SÜDKURIER: „Im Fall der evangelischen Kirche Reichenau gab es mehrere Gespräche mit Trägervertretern. Gemeinsam wurden Maßnahmen festgelegt, die zu einer konzeptionellen Weiterentwicklung der Kindertageseinrichtung beitragen sollen.“ Konkreteres lässt die Behörde „aufgrund von Datenschutz und laufender Verfahren“ derzeit nicht verlauten.

Dekan Weimer: „Wir haben unmittelbar gehandelt“

Dekan Markus Weimer dagegen sagt, es sei unmittelbar und proaktiv gehandelt worden – zumindest seit Bekanntwerden der Ereignisse von Sommer 2022. „Die in der Vergangenheit liegenden Vorfälle wurden erst mit der Meldung im Dezember 2022 bekannt“, so der 46-Jährige. „Die Mitarbeiterin, gegen die diese Vorwürfe vorgebracht wurden, war zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Monaten nicht mehr in der Einrichtung.“

Und weiter: „Das VSA hat damals direkt geantwortet und in Aussicht gestellt, dass es im neuen Jahr einen Gesprächstermin gibt. Dieser fand Anfang Februar 2023 statt. Parallel dazu wurde im Januar vom KVJS das Verfahren eingeleitet. Ein in diesen Fällen übliches Meldegespräch zwischen KVJS und Träger/VSA hat Ende Februar/Anfang März 2023 stattgefunden. Hier wurden Vereinbarungen getroffen wie Überarbeitung des Gewaltschutzkonzeptes, Überarbeitung der Konzeption sowie des Schlafkonzepts.“

Dies ist der Eingang zur Krippe Fuchsbau. Kein Kind sei aufgrund des Vorfalls mit dem Stuhl abgemeldet worden, sagt Dekan Markus Weimer.
Dies ist der Eingang zur Krippe Fuchsbau. Kein Kind sei aufgrund des Vorfalls mit dem Stuhl abgemeldet worden, sagt Dekan Markus Weimer. | Bild: Hanser, Oliver

Der Dekan beteuert: „Wir werden sicherstellen, dass solche Fälle nicht mehr vorkommen und wir wieder zu einem vertrauensvollen Miteinander in der Kita finden.“ Er selbst sei erst seit Oktober 2022 im Amt und bemühe sich um Transparenz und Aufklärung aller Ereignisse. Doch der 46-Jährige räumt auch ein: „Bei den weiter zurückliegenden Fällen waren die Eltern nicht optimal in die Kommunikation eingebunden, das muss besser werden.“

Die Eltern wünschen sich vor allem, dass die Fragen geklärt, alte Konflikte aufgelöst und Ergebnisse offen kommuniziert werden. Vater Benjamin Benitz sagt: „Die Stimmung nehme ich derzeit als belastet wahr.“ Er sagt aber auch: „Ich denke nicht, dass man Angst haben muss, sein Kind in der Krippe abzugeben. Nach meinem Kenntnisstand gab es in jüngerer Vergangenheit keinen Vorfall im Sinne einer tatsächlichen Gefährdung des Kindeswohls.“