Karl Wehrle hat maßgeblich daran mitgewirkt, professionellere und zeitgemäße Strukturen in den Bereichen Kultur und Tourismus aufzubauen – bis hin zur Gründung des Eigenbetriebs Kultur, Marketing, Tourismus Anfang 2024, dessen Geschäftsführer er war. Wobei der 66-jährige Reichenauer betont: „Es war mir eine Herzensangelegenheit, meine Heimat bekannt zu machen, meine Gemeinde und meine Insel positiv nach außen darzustellen.“
Als Karl Wehrle anfing, waren die Verhältnisse bescheiden. Zum 1. Januar 1984 war er zunächst Vorsitzender des Verkehrsvereins, der sich ehrenamtlich um den Tourismus kümmerte. Damals habe es als Verkehrsbüro nur einen Raum im Obergeschoss des Museums gegeben. Gernot Beyer, sein Vorgänger als Vorsitzender (und dann auch wieder Nachfolger), habe sein Amt niedergelegt, weil er den Weg habe frei machen wollen für eine Professionalisierung im Bereich Tourismus.
Mit dem damaligen Bürgermeister, Eduard Reisbeck, sei dann das Konstrukt gewählt worden, innerhalb des Vereins einen hauptamtlichen, angestellten Geschäftsführer einzuführen, so Wehrle. Und dann sei Reisbeck auf ihn zugekommen und habe gemeint, er könnte doch den Tourismus zum Beruf machen und die bisher brachliegende kulturelle Arbeit für die Gemeinde gleich mit.
Und so übernahm Karl Wehrle diese neuen Aufgaben am 1. April 1986. „Ich habe angefangen mit zwei Mitarbeiterinnen, eine davon in Teilzeit.“ Der heutige Eigenbetrieb hat neun Mitarbeiterinnen, einige auch in Teilzeit. Eine glückliche Fügung sei es 1986 gewesen, dass die Räume im Nachbargebäude des Museums, wo heute das Café ist, dann frei wurden und das Verkehrsbüro dorthin umziehen konnte. Mit dem Umzug 2001 in die Räume an der Pirminstraße war dann der Wandel zu einer funktionierenden Tourist-Information (TI) komplett.
Das war allerdings auch nötig, denn Ende 2000 wurde die Insel Reichenau ins Unesco-Welterbe aufgenommen. Für ihn sei dies der zentrale Höhepunkt seiner langen Amtszeit, so Wehrle. „Das war mit großen Hoffnungen verbunden.“ Vor allem der Hoffnung, deutlich mehr Übernachtungsgäste zu bekommen, mit dem Ziel eines qualitätsvollen Tourismus, erklärt Wehrle. Stattdessen habe es aber zunächst nur eine deutliche Steigerung im Tagestourismus gegeben. Die Zahl der Führungen, die die TI durchführte, sei zum Beispiel 2001 von 300 auf rund 1000 gestiegen.
Der Welterbe-Status sorgte also schon für eine deutlich höhere Aufmerksamkeit. Wobei Wehrle betont: „Ich unterscheide zwischen Freizeit- und Tagestouristen.“ Letzteres seien Leute, die sich für die Insel und deren Geschichte interessieren. Freizeittourismus seien die Ausflügler, die mit Fahrrad oder Auto auf die Reichenau kommen, dort vielleicht etwas konsumieren, weil die Insel eben auch einen hohen Freizeitwert habe. „Den hätten wir so oder so.“
Die Zahl der Übernachtungen stieg dann aber doch im Laufe der Zeit. Seit einigen Jahren liegt diese mit rund 250.000 jährlich auf hohem Niveau. „Es war eine kontinuierliche Entwicklung“, bilanziert Wehrle. Das sei ihm auch wichtig gewesen. „Ich habe nicht einen Auf-Teufel-komm-raus-Tourismus gemacht. Ich habe versucht, eine verträgliche Tourismuspolitik für die Gemeinde zu machen.“ Und er habe schon manches erreicht.
Wobei Wehrle anmerkt, dass Erfolge immer nicht allein von einer Person abhängen. Da seien zum einen die Mitarbeiterinnen in der TI zu nennen. „Ich bin sehr stolz, dass wir immer sehr aktive Mitarbeiterinnen hatten.“ Zum anderen die Vorsitzenden des 2024 aufgelösten Verkehrsvereins, Gernot Beyer und Johann Roth. „Ich meine, dass ich einen guten Betrieb an die neue Geschäftsführerin, Carolin Deggelmann, übergeben kann.“ Sie werde zu einer weiteren, positiven Entwicklung beitragen. „Deshalb kann ich beruhigt in den Ruhestand gehen.“
Das Jubiläumsjahr 2024 sei für ihn ein schöner Abschluss gewesen, wo in der Außendarstellung der Reichenau einiges erreicht worden sei, sagt Karl Wehrle. Und vor allem habe es ihn sehr gefreut, dass sich so viele Bürgerinnen und Bürger daran beteiligt haben. Denn Ziel beim Jubiläum sei ja auch gewesen, die Identifikation der Bevölkerung mit der Geschichte und der Gemeinde zu stärken. Und so solle auch das diesjährige Jubiläum „25 Jahre Welterbe“ dazu beitragen, dieses Thema stärker in der Bürgerschaft zu verankern.
„Das wird wichtig sein für die Zukunft der Reichenau“, meint Wehrle, denn: „Das Welterbe ist ein Pfund, mit dem wir auch künftig wuchern können.“ Und damit geht sein Blick nach vorn. Er habe den Eindruck, der Tourismus sei für manche Reichenauer immer noch ein ungeliebtes Kind. „Es haben immer noch nicht alle begriffen, dass wir ohne Tourismus vieles nicht hätten.“ Wie zum Beispiel viel Gastronomie und Geschäfte. Und für Wehrle ist klar: „Ich behaupte, dass der Wirtschaftszweig Tourismus an Bedeutung zunimmt und auch zunehmen muss.“
Und da liege es auch an der Gemeinde, zu entscheiden, wo die Reise hingehen solle, da brauche es weitsichtige Entscheidungen. Zum Beispiel für ein zusätzliches, großes und hochwertiges Hotel. Dass der Gemeinderat vor rund zehn Jahren mit knapper Mehrheit den Bau eines solchen auf dem Maurer-Areal abgelehnt habe, sei für ihn „eine der größten Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte“ gewesen, so Wehrle. „Das hätte uns auf dem Weg zum Qualitätstourismus einen Schritt vorangebracht.“
Zudem stagniere die Bettenzahl bei rund 1000. Damit könne man keine weitere Steigerung bei den Übernachtungen erwarten. So gebe es nun die Entwicklung zu immer mehr Hotels und Betten in Konstanz und damit mehr Tagesgästen auf der Reichenau.
Und privat? Vermutlich werde er weiter Vorsitzender der Welterbe-Stiftung sein, Vorsitzender des Museumsvereins könne er sich noch drei Jahre vorstellen. Er habe wieder mit der Sportfischerei angefangen und restauriere Krippenfiguren aus Gips. Italien wollen er und seine Frau umrunden und sonst in Europa reisen. „Es gibt genügend zu tun.“