Ein ganz besonderes Volksfest fand heute vor genau 50 Jahren statt. Denn am 26. März 1972 gab die Reichenauer Bürgermusik ein Konzert wie seither nicht mehr: mitten im Untersee zwischen dem Reichenauer Inselteil Niederzell und der Mettnau.
Der Wasserstand war bei einem Pegel von 2,37 Metern so niedrig, dass dort eine von Kies durchsetzte Sandbank, der „Straßenrain“ genannt, zum Vorschein kam (zum Vergleich: aktuell liegt der Pegel bei gut 2,80 Meter).
Doch es blieb nicht einfach bei diesem „Inselkonzert“, wie es in einer Ankündigung der Gemeinde hieß. Andere Reichenauer Vereine schlossen sich mit diversen Aktionen an. Berufs- und Sportfischer sowie weitere Bootsbesitzer organisierten mit ihren Gundeln einen kostenlosen Fährverkehr.
Mit rund 60 Booten wurden geschätzt 700 Besucher zu dem kleinen, länglichen Inselchen etwa zwei Kilometer von Niederzell entfernt gebracht. Und so gab es dort für einige Stunden ein Volksfest mitten im See. Und der Erlös des Ganzen, immerhin rund 6200 D-Mark, ging an die Aktion Sorgenkind (heute Aktion Mensch).
Dichtes Gedränge auf dem kleinen Inselchen
Der SÜDKURIER berichtete tags darauf über das Spektakel als Jahrhundertkonzert: „In dichten Reihen drängten sich die Menschen auf dem kleinen Inselchen, als der Bürgermusik-Dirigent den Taktstock hob zum Eröffnungsmarsch ‚Anker gelichtet‘. In der Zwischenzeit tuckerten pausenlos die Fischerboote mit immer neuen Besuchern über den See.“
Nebst Musik gab‘s Bewirtung. Frauen einer Gymnastikgruppe verkauften belegte Brötchen. Der Winzerverein und Trachtenfrauen schenkten Inselwein aus. Schulkinder hatten große Kiesel bemalt, die als Briefbeschwerer verkauft wurden. Angeboten wurden ferner die von der Fasnacht bekannte Hergete-Bratwurst und Blumen.

Und der Kolping-Verein hatte eine eigene Ansichtskarte zum „Platzkonzert auf dem Straßenrain im Untersee“ drucken lassen. Und laut dem SÜDKURIER-Bericht waren zudem Tausende Inselbewohner und Besucher in Niederzell im Uferbereich, um von dort ein bisschen Musik zu hören.
„Es war wirklich ein Jahrhundert-Ereignis“, erklärt der Reichenauer Kultur- und Tourismuschef Karl Wehrle, der das Ganze als 13-jähriger Junge live miterlebte. Denn es komme bis heute sehr selten vor, dass der Wasserstand so niedrig sei und diese Inselchen zum Vorschein kommen – und erst recht, dass Platz genug sei für eine Veranstaltung.
Nebst dem Straßenrain gebe es noch drei weitere solcher Kies-/Sandbänke im Untersee. Die Idee zu dem Konzert habe damals die Bürgermusik mit ihrem Vorsitzenden Pirmin Honsell gehabt. Denn die Musiker hatten in einer Chronik den Hinweis gefunden, dass ihre Vorfahren ein ähnliches Konzert am 1. März 1882 gegeben hatten. „Da sagte man sich, das muss man wieder mal machen“, so Wehrle.

Das Konzert sei zunächst für den 12. März geplant gewesen, aber dann wegen schlechten Wetters zwei Wochen verschoben worden, berichtet Wehrle. Was im Nachhinein ein glücklicher Umstand war. Denn dann brachten zunächst die Berufsfischer mit ihrem Vorsitzenden Karl Spicker die Idee ins Spiel, das Ganze zugunsten der Aktion Sorgenkind zu veranstalten.
Und es kamen immer mehr Gruppierungen und Vereine dazu, die sich anschlossen, berichtet Wehrle. Und die Bürgermusik, bei der auch sein Vater mitspielte, habe dem Konzert zusätzlich ein besonderes Gepräge gegeben, indem sie in der historischen Uniform der Bürgerwehr spielte und nicht wie üblich in ihren blauen Konzertanzügen.
Wind und Wellen ließen die Boote schaukeln
Dabei habe es auch am 26. März einen recht kräftigen Wind und dadurch Wellen gegeben, wie sich Wehrle erinnert. Bei der Überfahrt in den kleinen Booten habe es da schon geschaukelt.
Das hielt die vielen Besucher aber nicht davon ab, dabei zu sein. Ab 13 Uhr starteten die Boote, um 14 Uhr begann das Konzert. Und gefeiert worden sei bis in den späten Nachmittag, so Wehrle. Und darüber habe dann sogar kurz das ZDF berichtet.

Und für eine zusätzliche Besonderheit sorgte der Narrenverein Grundel, so Wehrle. Mit einem alten Wattschiff, einem größeren Fischerboot, brachten einige Narren einen Gedenkstein zur Erinnerung an das Ereignis und setzten diesen auf dem Straßenrain – mit der Inschrift: „Auf dieser Insel spielte die Bürgermusik am 26.3.1972 beim Pegelstand von 2,37 Mtr.“.
Einige Tage später vergruben die Narren zudem noch eine Metallkassette unter dem Stein, berichtet Wehrle. Darin enthalten waren das Gästebuch der besonderen Veranstaltung, eine Liste der Spender und der SÜDKURIER-Artikel.
Und die Narren stellten ein Schild auf mit der Aufschrift „Freistaat Reichenau“. Zum Hintergrund erklärt Wehrle, dass die Stadt Konstanz damals auch Reichenau habe eingemeinden wollen.
Auf die hier geschilderten Ereignisse kamen die späteren Grundel-Elferräte im Januar 2006 noch einmal zurück, als das Straßenrain-Insele bei einem Pegelstand von nur 2,31 Meter wieder mal gut begehbar war. Sie schrubbten den Gedenkstein und gruben ihn wieder sicher ein.
Denn der Stein sei wohl verschoben gewesen, die Metallkassette darunter verschwunden, so Karl Wehrle. Die Elfer stellten zudem ein Schild auf mit der Aufschrift „Huz-Huz-freie Zone“. Denn als Huz-Huz, also Schweine, bezeichnen die Reichenauer Narren die in Hassliebe verbundenen Allensbacher.