Es ist Sonntagmorgen, kurz vor 11 Uhr. In vielen Kirchen im Hegau würde jetzt vermutlich Glockengeläut den Einzug des Priesters ankündigen. Aber heute ist nichts normal. Das merkt man auch in den Singener Räumlichkeiten von ICF in der Rielasinger Straße. „David, Alessio – seid ihr ready?“, richtet sich Pastor-Auszubildender Simon Aichele an seine Kollegen. „Also zeigt mal, was ihr raptechnisch so drauf habt!“

Stimmiger Einstieg

Die jungen Männer lassen sich nicht zweimal bitten. Während der Schlagzeuger das spielt, was Aichele eben noch als „chilligen Beat“ beschrieben hat, schnappt sich jeder ein Mikrofon. Dann wird improvisiert. In einem ulkigen Sprechgesang-Duell nehmen sich die beiden Pastoren gegenseitig auf die Schippe. Dabei verwenden sie Begriffe, die ihnen die Gemeindemitglieder von Zuhause aus per Smartphone zusenden.

Ein stimmiger Einstieg: Seit die Freikirche in der vorletzten Woche erfahren hat, dass sie wegen der Gefahr durch das Coronavirus ihre Türen schließen muss, ist bei ICF Improvisation das oberste Gebot der Stunde. 

... Dann kommt die Kirche zum Gläubigen

Für das Pastorenteam um den in Hilzingen wohnenden Alessio Passarella war schnell klar: Wenn die Gläubigen nicht zum Gottesdienst kommen können, muss der Gottesdienst eben zu den Gläubigen kommen. ICF weiß, wie das geht: „Auch an normalen Sonntagen filmen wir unsere Gottesdienste„, erklärt der Mann mit dem dunkelbraunen Vollbart. Neben diesen Livestreams stellt die Freikirche regelmäßig selbstproduzierte Audiobeiträge zur Verfügung.

„Für andere Kirchen ist die Situation im Moment sicher viel schwieriger“, vermutet Passarella. „Bei uns ist das technische Know-how bereits vorhanden.“

Mitarbeiter der ICF-Standorte Singen, Villingen-Schwenningen und Freiburg helfen mit, den Gottesdienst live in Szene zu setzen.
Mitarbeiter der ICF-Standorte Singen, Villingen-Schwenningen und Freiburg helfen mit, den Gottesdienst live in Szene zu setzen. | Bild: ICF

Ein Gottesdienst als Feier

Das gebündelte Know-how der ICF-Mitarbeiter aus Singen, Villingen-Schwenningen und Freiburg wird am Sonntag tatsächlich deutlich. Vier Kameras sind auf die zum Wohnzimmer umgebaute Bühne gerichtet, auf der die drei Pastoren mit einer fünfköpfigen Band Gottesdienst feiern. Eineinhalb Stunden lang.

Bild 2: Vier Kameras, zwei rappende Pastoren, eine virtuelle Gemeinschaft: ICF zeigt, dass man Gottesdienste auch per Livestream feiern kann
Bild: ICF

Auch wenn die Stuhlreihen vor ihnen leer bleiben, ist feiern dabei wörtlich zu verstehen. Dunkle Roben und ernste Mienen sucht man an diesem Vormittag vergeblich. Die jungen Leute tragen Jeans und Sneakers und haben offensichtlich Spaß daran, sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. Die Musik ist mitreißend, rhythmisch, emotional.

„Wenigstens virtuell wollen wir Gemeinschaft haben“, wendet sich David Rominger an die Gemeindemitglieder im Hegau, im Schwarzwald und darüber hinaus, die den Gottesdienst live über das Internet verfolgen. Er sehe in der Corona-Krise Erweckungspotenzial und die Chance, Gott neu kennenzulernen.

Geschlossene Augen, eindringliche Gesten: Bei ICF wird emotional Gottesdienst gefeiert.
Geschlossene Augen, eindringliche Gesten: Bei ICF wird emotional Gottesdienst gefeiert. | Bild: ICF

Ein Lamm in der Wohnung

Darum geht es auch in Alessio Passarellas Predigt. Der junge Pastor spricht zunächst über das Pessachlamm. Im Alten Testament sei die Rede davon, dass Gott von den Israeliten verlangt, dass sie dieses Lamm zunächst vier Tage zu sich ins Haus holen, bevor das Tier schließlich geopfert wird. „Was ist das erste, was man tun muss in so einer Situation? Ich muss erst einmal Raum schaffen für dieses Lamm.“

Seine Notizen liest Alessio Passarella vom Tablet ab. Trotzdem bleibt beim ICF-Gottesdienst viel Freiraum für Improvisation.
Seine Notizen liest Alessio Passarella vom Tablet ab. Trotzdem bleibt beim ICF-Gottesdienst viel Freiraum für Improvisation. | Bild: ICF

Platz schaffen für Jesus, das ist für Passarella „match-entscheidend“. Er lächelt, wenn er das sagt, unterstreicht seine Worte mit eindringlichen Gesten. „Oft sehe ich, dass wir Menschen sagen: Diese Sache mit Jesus ist cool, ich nehme ihn mit in mein Haus.“ Aber dann stelle sich die Frage, wo der richtige Platz für diesen Jesus sei.

Kein Platz für Jesus im Schlafzimmer

„Im Schlafzimmer ist kein Platz – da geht es mir um Sexualität. Im Wohnzimmer ist kein Platz – da steht mein Fernseher, da passiert Entertainment. Ins Kinderzimmer kann Jesus auch nicht – Erziehung will ich selbst im Griff haben.“ Am Ende lande Jesus metaphorisch gesprochen im Keller. Schade, findet der Pastor.

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In dem von sanften Orgel-Akkorden begleiteten anschließenden Gebet ermuntert er die Gemeindemitglieder, Jesus einzuladen ins eigene Leben, ihn in alle Räume einzulassen. Bei diesen Worten hat Passarella die Augen geschlossen, seine linke Hand liegt über dem Herzen. Er fordert die Zuschauer auf, es ihm gleich zu tun. Mehr als 500 Menschen schauen zu diesem Zeitpunkt zu.

Jede Menge Feedback

Er habe viel positive Rückmeldungen erhalten, wird der Pastor dem SÜDKURIER tagsdrauf am Telefon erzählen. „Pastoren aus Singen haben sich gemeldet, aber auch viele Menschen, die ich gar nicht kenne. Leute, die uns sagen, dass es cool ist, dass die Kirche nicht aufgibt in diesen Tagen.“

ICF will weitermachen, jeden Abend neue Inhalte im Netz zur Verfügung stellen. „Die Leute lechzen danach“, ist sich Alessio Passarella sicher. Die Zahlen geben ihm recht: Am Montagabend hat sich die Zugriffszahl bereits vervierfacht, mehr als 2200 Mal wurde das Video des Sonntagsgottesdiensts bereits angeklickt.