Was in der Nacht des 17. November 2020 geschieht, ist für viele Singener unfassbar – und kaum einer glaubt in diesen ersten Tagen an einen Zufall. Die Scheffelhalle, Singens Wahrzeichen und Narrenschopf, geht in Flammen auf. Gegen 1.15 Uhr reißen laute Explosionen die Anwohner aus dem Schlaf. Fassungslos müssen die Singener zusehen, wie ihre denkmalgeschützte Halle niederbrennt.
Poppele-Zunftmeister Stephan Glunk beobachtet das Geschehen vom Stadtgarten aus mit Tränen in den Augen. „Wir haben unsere Heimat verloren“, sagt er – und ist damit nicht der einzige Singener, der so fühlt.

Wenige Tage zuvor war noch über eine Sanierung des 95 Jahre alten Gebäudes diskutiert worden. Die Kosten schockten die Gemeinderäte: 5 Millionen Euro standen in dem vorgelegten Architektenentwurf, OB Bernd Häusler sprach von „erschütternden Zahlen“.
Kann der Brand hier wirklich Zufall sein? Erst knapp fünf Monate später sollte klar werden, was wirklich hinter dem Feuer steckt.
Der Morgen danach: Singen trauert um die Scheffelhalle
Am Morgen nach dem Feuer steht nur noch die vordere Fassade. Rauchschwaden ziehen von den Schuttbergen gen Himmel.
An der Absperrung zur Brandruine hängt ein Brief der Poppele: „Du warst und bist ein Symbol für Freiheit, Freude, Zusammenhalt und Begegnung. Diese Erinnerungen kann uns keiner nehmen!“
Viele Singener kommen an die Brandstelle, unterhalten sich, teilen die Erinnerungen an ihre Halle, den Ort für viele Feste. Die Fastnacht in der Scheffelhalle war Pflicht und Kür, schreibt der langjährige Kulturredakteur Siegmund Kopitzki für den SÜDKURIER – und nach dem Uriah-Heep-Konzert blieben seine Ohren drei Tage lang taub.
Auch zahlreiche Leser schreiben dem SÜDKURIER, teilen ihre Erinnerungen. An die Kultband Motörhead, die 1988 in Singen auftrat. An den Herbst 1975 und Status Quo. An Boxveranstaltungen in den 1950er-Jahren, an Liebe auf den ersten Blick und an das erste Wurstschnappen zur Fasnacht.
Wird die Scheffelhalle wieder aufgebaut?
Doch schon in den ersten Stunden nach dem Brand blickt Singen nach vorn. Die Ruine raucht noch, da hat die frisch ins Leben gerufene Online-Petition für den Wiederaufbau der Halle bereits mehr als 1500 Unterschriften.

Oberbürgermeister Bernd Häusler kann den Wunsch gut nachvollziehen, auch ihm liegt die Scheffelhalle sehr am Herzen. Dennoch bremst der Singener Rathausschef die Erwartungen: Entscheidend sei, wie sich die Mehrheit des Gemeinderates positioniere und mit welchen Kosten für einen Wiederaufbau zu rechnen sei.
Die Tage nach dem Feuer: War es Brandstiftung?
An Tag zwei nach dem Brand laufen Männer in Blau – Spezialisten der Schadstoffentsorgungsfirma TIS aus Aach – über die benachbarten Grundstücke. Sie suchen Rasen, Sträucher, Terrassen und Auffahrten nach Asbestteilchen ab, die sich durch den Brand über mehrere Straßen verteilt haben.
Noch kann die Polizei nicht ermitteln – zu groß ist die Gefahr, dass das Gebäude einstürzen könnte. Aber wie gehen Ermittler eigentlich vor auf der Suche nach der Brandursache? Ein Sachverständiger erklärt es dem SÜDKURIER.
Gut eine Woche nach dem Brand leiten Staatsanwaltschaft und Polizei dann eine Fahndung ein. „Es ist davon auszugehen, dass die Singener Scheffelhalle gewollt oder versehentlich in Brand gesetzt worden ist“, erklären sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Ein Unbekannter soll sich in dem Bereich aufgehalten haben, in dem der Brand ausgebrochen ist. In Singen herrscht Fassungslosigkeit nach dem Verdacht der Ermittler.
Polizei nimmt Mann fest
Über vier Monate sind seit dem Brand der Scheffelhalle vergangen. Anfang April 2021 dann die Nachricht: Die Polizei hat einen Tatverdächtigen festgenommen. Der Mann ist zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt, sitzt in Untersuchungshaft und hat gestanden – mehr will die Polizei noch nicht sagen.
Erst vor Gericht wird deutlich, aus welchem Motiv heraus der Brandstifter gehandelt hat. Weil der ursprüngliche Prozesstermin im Oktober nicht gehalten werden kann, werden die Singener erst im November zum Prozessauftakt mehr erfahren.
Der Prozess: „Mama, die Scheffelhalle brennt“
Am 9. November steht der Singener Brandstifter vor Gericht. Gleich zu Beginn legt der mittlerweile 37-Jährige ein Geständnis ab: Im November 2020 habe er eine Papiermülltonne in unmittelbarer Nähe zur Halle angezündet. Dann geht er nach Hause. „Ich dachte, das Feuer war aus“, sagt der Angeklagte, und: „Ich wollte dies wirklich nicht.“
Als die Halle in Flammen steht, ruft er seine Eltern an: „Mama, die Scheffelhalle brennt.“ Der Polizei stellen will er sich nicht – die Angst vor einer neuen Haftstrafe sei zu groß gewesen. Denn der Singener Angeklagte ist kein Unbekannter: 2013 kam er schon einmal ins Gefängnis, auch damals hatte er ein Feuer in einer Scheune gelegt. Und: Der Mann ist Ex-Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr.
Welche Motive treiben Brandstifter zu immer neuen Taten? Ab wann spricht man von einem Pyromanen? Darüber hat der SÜDKURIER mit einem Experten gesprochen.
Am 15. November 2021, fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem verheerenden Brand, fällt das Landgericht Konstanz das Urteil: Der Angeklagte muss für drei Jahre und sieben Monate wegen fahrlässiger Brandstiftung und Sachbeschädigung in vier Fällen ins Gefängnis. Beim Brand der Scheffelhalle geht das Gericht von Fahrlässigkeit aus – dass das Gebäude abbrennt, sei keine Absicht gewesen.
Wie geht es weiter mit der Scheffelhalle?
Als das Urteil gegen den Brandstifter gefallen ist, hat der Abriss der Ruine längst begonnen. Im November fangen Schadstoffsanierer dann an, die letzten Reste endgültig dem Erdboden gleich zu machen. Der Abbruch braucht diese höheren Sicherheitsmaßnahmen, weil auf dem Dach einst Asbest-haltige Platten verbaut wurden.
Eine weitere Entscheidung steht ebenfalls in diesen Tagen kurz bevor: Wird die Halle wieder aufgebaut? Kurz nach dem Brand setzte sich der Förderverein Freunde der Scheffelhalle dafür ein. Ein Konditor baute gar die Scheffelhalle aus Lebkuchen nach, um für den Wiederaufbau um Spenden zu werben.
Doch vieles hing auch von der Versicherung ab. Reicht die Summe für einen Wiederaufbau? Im Juni 2021 gibt es erste Zahlen: Rund 2 Millionen Euro könnte die Stadt von der Versicherung bekommen. Damit steigen die Hoffnungen für einen Wiederaufbau. OB Bernd Häusler gibt sich optimistisch: „Wir gehen aktuell davon aus, dass ein Wiederaufbau für Singen realisierbar ist.“
Die Entscheidung: Singen bekommt seine Halle zurück
Am 14. Dezember 2021 fällt die Entscheidung im Gemeinderat: Singen bekommt seine Scheffelhalle zurück. Das Votum der Stadträte fällt dabei eindeutig aus: Ohne Gegenstimme wird der Grundsatzbeschluss für einen Neubau verabschiedet.
Auch auf den Zuschauerrängen im Gemeinderat ist die Freude groß. Poppele-Chef Stephan Glunk spricht im Gespräch mit dem SÜDKURIER von einem großen Glück: „Nicht nur für uns Narren, sondern für alle Bürger.“
Die Zeit drängt dabei: Ein Baustart muss laut OB Häusler zwingend bis November 2023 erfolgen, sonst drohen der Stadt erhebliche Einbußen bei der Versicherungssumme.
April 2022: Neue Scheffelhalle soll wie die alte aussehen
Eine ganze Weile bleibt es ruhig um die Halle. Im April 2022 laufen noch immer die letzten Abrissarbeiten. Außerdem steht ein Brandschutzgutachten aus. Liegt das vor, soll es schnell gehen.
Mitte des Jahres 2022 steht fest: Einen Architekturwettbewerb wird es nicht geben. Der Grund: Die neue Scheffelhalle soll der alten Scheffelhalle architektonisch äußerst ähneln, wie Oberbürgermeister Bernd Häusler betont. „Wir wollen unsere Scheffelhalle wieder so sehen, wie sie vor dem Brand war“, so der Singener Rathauschef. Jetzt soll die Vergabe durch ein europaweites Verfahren erfolgen.
Oktober 2022: Scheffelhalle hat ihre Architekten
Im Oktober 2022 hat die Scheffelhalle dann ihren Architekten. Den Wiederaufbau soll ein Singener planen: Ben Nägele von der Solar System Haus GmbH. Mit dem SÜDKURIER sprechen er und sein Partner Alexander Kionka über ihr Vorhaben. Der Zeitplan ist eng – und was ist mit den Kosten?

Im November sind nicht nur die ersten Skizzen und der erste Plan bei der Stadt eingetroffen – sondern auch die erste Million von der Versicherung. „Wenn die Vergabe für den Neubau endgültig steht, dann gibt es das restliche Geld“, sagt Oberbürgermeister Bernd Häusler.
Februar 2023: Die ersten Einblicke in die neue Scheffelhalle liegen vor
Im Februar 2023 werden die Pläne für die neue Scheffelhalle erstmals öffentlich behandelt. Was auffällt: Sie soll der alten Halle stark ähneln. Der Februar ist aber auch der Monat, in dem die Fasnet groß geschrieben wird. Seit jeher feiert die Singener Poppele-Zunft ihren Zunftball in der Scheffelhalle. Ein Ersatz muss her: Die Zunft feiert erstmals im Top10.
März 2023: Wiederaufbau soll 3 Millionen Euro mehr kosten
Da musste so manch ein Stadtrat vernehmlich schlucken: Im März 2023 wird im Verwaltungs- und Finanzausschuss der Stadt klar, dass die veranschlagten 6,3 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Scheffelhalle nicht reichen werden. Laut Sitzungsvorlage muss Singen stattdessen 9,7 Millionen Euro locker machen. Das sorgt in der Sitzung für reichlich Diskussionen.
So hat die Grünen-Fraktion die Frage aufgeworfen, ob für den Baupreis der geplante Neubau der Scheffelhalle ausreichend genutzt werden kann – und erntet dafür Kritik von den anderen Fraktionen.
Nichtsdestotrotz fällt der Gemeinderat Ende März 2023 eine finale Entscheidung: Mit großer Mehrheit – vier Stadträte stimmten mit Nein, einer enthielt sich – haben die Stadträte dem Wiederaufbau der Scheffelhalle zugestimmt.
August 2023: Wiederaufbau soll bis 2025 abgeschlossen sein
Pünktlich zur 100-Jahr-Feier der Scheffelhalle soll diese wieder stehen. Peter Adrian Gäng, Vorsitzender des Fördervereins der Freunde der Scheffelhalle, ist guter Dinge, wenn er auf die Pläne zum Neubau der Halle schaut. Bis November 2023 sollen alle Gewerke vergeben sein. Ende des Jahres oder Anfang 2024 könnten demnach die Bodenplatten gesetzt und mit dem Aushub für die Bühne begonnen werden. Der reguläre Bau könne dann im April starten. ‚Es sieht gut aus, dass die Halle im Frühjahr 2025 eröffnen kann‘, so Gäng.
November 2023: Aufbau der Scheffelhalle beginnt
Der Brand der Scheffelhalle jährt sich am 17. November 2023 zum dritten Mal. Beinahe auf den Tag genau drei Jahre später gibt es gute Nachrichten: Der Wiederaufbau soll bald starten. Laut Stefan Mohr, städtischer Pressesprecher und persönlicher Referent von OB Bernd Häusler, soll der Baubeginn am 22. November erfolgen.
Und tatsächlich wird bei einem Besuch vor Ort deutlich: Überall auf dem Areal der früheren Scheffelhalle sind bunte Markierungen auf dem Boden ausgesteckt. Ein lila Bagger steht pünktlich am 22. November auf der kargen Fläche. Rings um ihn herum sind schon kleinere Aushubarbeiten zu sehen. Zwei Tage später, am 24. November, findet der feierliche Spatenstich statt.
Januar 2024: Trotz schwerer finanziellen Haushaltslage – Scheffelhalle kommt
Der städtische Haushaltsplan für das Jahr 2024 sieht nicht rosig aus. Doch trotz Herausforderungen will die Stadtverwaltung investieren und macht deutlich: Begonnene Großprojekte werden weiterlaufen. Teuerstes kommunales Bauprojekt im laufenden Jahr ist der Neubau der Scheffelhalle, für den im Investitionsprogramm 5,7 Millionen Euro veranschlagt sind. Für 2025 sind etwa 2,8 Millionen Euro für den Bau eingeplant.
Mai 2024: Gerüste für den Wiederaufbau stehen
Der Neubau der Scheffelhalle schreitet unübersehbar voran. Die ersten Holzelemente stehen und ein riesiges Baugerüst überragt die Baustelle direkt unter dem Hohentwiel. „Die Betonarbeiten sind vorerst abgeschlossen und das Rohbauunternehmen hat die Baustelle bereits wieder geräumt“, fasst Christian Kezic, Leiter des Gebäudemangements, den Baufortschritt zusammen.
Die Hausanschlüsse werden hergestellt, das Gerüst steht und die Zimmerei hat die Bodenplatte vermessen und die relevanten Maße aufgezeichnet. Mit Blick auf den Zeitplan gibt er sich zufrieden: „Trotz relativ schlechten Wetters im Dezember und Januar konnten die Rohbauarbeiten in dem dafür vorgesehenen Zeitfenster abgeschlossen werden.“
Juli 2024: Scheffelhalle ist deutlich zu erkennen
Der Bau an der Schaffhauser Straße schreitet voran. Die hölzerne Front der neuen Scheffelhalle steht fast komplett, dahinter nimmt der Holzbau immer mehr an Form an. Schon jetzt erinnert die Hallenfront mit ihren Spitzfenstern an die ursprüngliche Scheffelhalle.

Von der Aachbad-Seite sind der Eingangsbereich und die Galerie zu sehen. In der alten Scheffelhalle waren hier das Foyer, die Garderobe, die Toiletten sowie oben die Bar untergebracht.
August 2024: Richtfest für Scheffelhalle steht
Die Scheffelhalle wächst Stück für Stück in die Höhe. Doch es gibt auch schlechte Nachrichten beim Wiederaufbau der Scheffelhalle. Wie Architekt Ben Nägele auf Anfrage schildert, hänge man mit den Arbeiten im Zeitplan hinterher.

„Der Fertigstellungstermin der Scheffelhalle wird sich voraussichtlich um circa drei Wochen verschieben“, sagt er. Ende des zweiten Quartals 2025 solle die Halle aber fertig sein. Und auch das Richtfest soll Ende September stattfinden, nämlich am 28. September, teilt die Singener Stadtverwaltung auf Anfrage mit.
September 2024: Erste Einblicke ins Innere
Doch bevor die Öffentlichkeit sich ein Bild von der neuen Scheffelhalle machen können, gab es für Gemeinderäte und Verwaltungsmitarbeiter anderthalb Wochen zuvor einen exklusiven Einblick in die Baustelle. Architekt Ben Nägele erläuterte bei dem Rundgang die Besonderheiten der Konstruktion. Am 27. September war es dann so weit: Die Akteure für den Neubau der Scheffelhalle konnten beim Richtfest schon einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, in der Halle zu sitzen. OB Häusler hatte ein paar Zahlen zu den Dimensionen dabei. Die neue Scheffelhalle sei 26 Zentimeter länger und 46 Zentimeter breiter als der Vorgänger – also gar nicht viel größer, aber dafür im Inneren stützenfrei.
Am Tag darauf dürfen dann endlich auch interessierte Bürgerinnen und Bürger die neue Scheffelhalle besichtigen. Die Vorfreude bei den über 800 Besucherinnen und Besuchern ist groß und auch der Förderverein ist positiv gestimmt. Die Gäste schwelgen beim Richtfest in Erinnerungen und können die offizielle Fertigstellung im Mai 2025 kaum erwarten.
Dezember 2024: Mietpreise für die Halle werden diskutiert
Die Scheffelhalle nimmt jedoch nicht nur mehr und mehr an Form an – es wird auch konkret, wann das Gebäude in Betrieb geht. Wenn alles planmäßig läuft, gehe man davon aus, die neue Scheffelhalle ab dem 1. Oktober 2025 vermieten zu können, sagte Roland Frank, Geschäftsführer des städtischen Eigenbetriebs Kultur und Tagung Singen (KTS), im Betriebsausschuss. Außerdem hat das Gremium Anfang Dezember über die Höhe der Miete beraten und das Konzept einstimmig dem Gemeinderat empfohlen.
Wenig später wurde aber auch klar, dass wegen eines Pollers nochmal etwas umgeplant werden muss.