Bier zum Feierabend, Wein zum Abendessen – Alkohol sei für viele Menschen alltäglich und doch gefährlich, sagt Lars Kiefer, Leiter der Fachstelle Sucht in Singen. Er ist ein Weggefährte von Nicolas Weber, der die Gefahren einer Sucht aus eigener Erfahrung kennt: Schon als Kind erlebte Nicolas Weber seine Eltern unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen. Nun teilt er im Rahmen der Aktionswoche Alkohol vom Samstag, 8. Juni, bis Sonntag, 16. Juni, persönliche Erfahrungen mit Suchtkranken.

Denn Alkohol wird in einigen Familien zum Problem: In Deutschland leben zwei bis drei Millionen Kinder in suchtbelasteten Familien, verdeutlichen Zahlen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Dadurch erlebe ein Drittel der Kinder psychische Störungen wie Ängste, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen.

Nicolas Weber berichtet von Wutausbrüchen. „Ich hatte eine kurze Zündschnur. Die anderen Grundschüler nannten mich Psycho“, sagt der 21-Jährige rückblickend. Er hätte sich von seinen damaligen Lehrern gewünscht, auf ihn zuzukommen und sein Verhalten zu hinterfragen. „Ohne Vorwurf. Die meisten Lehrer bekommen das ja auch nicht im Studium beigebracht“, ergänzt Nicolas Weber.

Gruppe half ihm, sich nicht mehr alleine zu fühlen

Die Gruppe „Aufwind“ der Fachstelle Sucht in Singen habe ihm geholfen, mit seinen Familienproblemen umzugehen. Hier habe er andere Kinder suchtkranker Eltern kennengelernt, sich nicht mehr alleine gefühlt. „Tolle Menschen haben mich aufgefangen“, sagt Nicolas Weber über seine damaligen Betreuer.

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Heute ist der 21-Jährige selbst Teil des Teams. Ehrenamtlich schaue er bei der Gruppe Aufwind vorbei und plane mit den Kindern mal einen Ausflug. Von einer Lehrerin seiner ehemaligen Grundschule sei er in eine Klasse eingeladen worden, um seine Erfahrungen zu teilen. „Ich merkte dann, dass es drei, vier Schülern nahe ging, weil sie es von zuhause kannten“, sagt Nicolas Weber. Er möchte Kindern Mut zum Gespräch machen und helfen, wie ihm schon geholfen wurde.

Um professionell unterstützen zu können, möchte er im Oktober sein duales Studium in Sozialpädagogik beginnen, mit praktischer Arbeit bei der Fachstelle Sucht in Tuttlingen.

Was die Fachstelle Sucht leistet

„Abhängigkeit kann uns alle treffen“, sagt Lars Kiefer, Leiter der Fachstelle Sucht in Singen. Gerade weil Alkohol in Deutschland bereits ab 16 Jahren erlaubt und gesellschaftlich akzeptiert sei, gelte es, den Konsum zu reflektieren. Auch, weil es gesundheitliche Folgen nach sich ziehen könne, so Kiefer. Leberkrebs, organische Schäden, Suizid – das können schwerwiegende Folgen von hohem Alkoholkonsum sein, sagt der Experte.

Friederike Gerland, Lars Kiefer, Christina Thürmer klären über Alkohol und Sucht auf. Passende Bücher liegen in der Stadtbücherei Singen ...
Friederike Gerland, Lars Kiefer, Christina Thürmer klären über Alkohol und Sucht auf. Passende Bücher liegen in der Stadtbücherei Singen aus. | Bild: Elisa Gorontzy

Um auf gesundheitliche Folgen von Alkohol und auf Hilfsangebote hinzuweisen, plante die Fachstelle Sucht ein vielseitiges Programm im Rahmen der Aktionswoche Alkohol vom Samstag, 8. Juni, bis Sonntag, 16. Juni. Das Team der Fachstelle lädt zu Kino, Austausch und Gesprächen mit Experten in Singen ein. Auch Nicolas Weber möchte dazustoßen und mitreden.

Themenschwerpunkte sind Alkohol am Arbeitsplatz, Alkohol als Lebensbegleiter und Konsequenzen von hohem Konsum. „20 Prozent aller Arbeitsunfälle passieren unter Alkoholeinfluss“, sagt Lars Kiefer, Leiter der Fachstelle Sucht in Singen. Berufliche Konflikte und Überforderung seien nur einige Gründe, warum Menschen zur Flasche greifen.

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Ein Großteil suchtkranker Menschen würde es erst zu einer Therapie schaffen, wenn eine negative Folge schon eingetreten sei, so Kiefer. Darum würden im Rahmen der Aktionswoche auch Angehörige, Arbeitskollegen und Führungskräfte sensibilisiert, Suchterkrankungen ihrer Nächsten zu erkennen, das Gespräch zu suchen und Hilfe zu leisten.

Das aktuelle Projekt der Fachstelle Sucht läuft in Kooperation mit den städtischen Bibliotheken Singen. Hier können Bücher rund um das Thema Alkohol ausgeliehen werden. Die Auswahl hat Bibliothekarin Christina Thürmer getroffen. „Wir freuen uns, dass unsere Räume genutzt werden, um auf die Aktionswoche hinzuweisen“, sagt Abteilungsleiterin Friederike Gerland. In den Bibliotheken gingen wöchentlich über 1000 Besucher ein und aus. „Wenn wir ein, zwei Leute mit unserem Programm erreichen, ist denen schon mal geholfen“, sagt Lars Kiefer, Leiter der Fachstelle Sucht.

Wer sich zum Thema Alkohol und Sucht einen Überblick verschaffen möchte, könne sich in der Stadtbibliothek Singen passende Bücher ...
Wer sich zum Thema Alkohol und Sucht einen Überblick verschaffen möchte, könne sich in der Stadtbibliothek Singen passende Bücher ausleihen, so Bibliothekarin Christina Thürmer. | Bild: Elisa Gorontzy

Er hoffe dennoch auf viele weitere Menschen, die mitmachen und ins Gespräch über Alkohol und Suchtprobleme kommen. Damit Menschen reflektieren, Hilfe suchen oder leisten können – wie schon Nicolas Weber, der sich sicher ein Vorbild nennen darf.