Mitten im zweiten Lockdown ist es in Singen nicht leicht zu erfahren, welche Auswirkungen die Senkung der Mehrwertsteuer auf die lokale Wirtschaft gehabt hat. Weil die meisten Geschäfte und Restaurants mindestens bis zum 10. Januar geschlossen bleiben, sind nur wenige Geschäftsinhaber nicht zu erreichen. Doch sie zeichnen ein ernüchterndes Bild.

Mit der temporären Steuersenkung sollten Handel und Gastronomie gestützt werden

Zur Erinnerung: Um die Wirtschaft zu stützen, hatte die Bundesregierung im Juli die Steuer für Konsumgüter von 19 auf 16 Prozent und für Nahrungsmittel von sieben auf fünf Prozent gesenkt. Damit sollten die Verbraucher in der Corona-Pandemie zu einem stärkeren Konsum angeregt werden. Die Idee dahinter: Die Steuerersparnis würde vor allem bei teuren Anschaffungen einen vorgezogenen Kaufanreiz auslösen und damit die durch die Pandemie verursachte konjunkturelle Delle abschwächen.

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Viel Arbeit für einen überschaubaren Effekt

Dem Handel hat das im Juni zuerst einmal sehr viel zusätzliche Arbeit gemacht. Eine Anfrage bei Edeka Münchow zeigte eindrücklich, welche Anstrengungen nötig waren, um die Steuersenkung für die Kunden direkt an den Regalen sichtbar zu machen. Preisschilder für 28.000 Artikel mussten umgeschrieben werden, hatte Geschäftsführerin Nadine Schulze im Juni berichtet. Das alles muss jetzt wieder rückgängig gemacht werden, weil ab Januar 2021 die alte Mehrwertsteuer wieder gilt.

Geschäftsführer Stefan Suszek von Mode Zinser hat die gesenkte Mehrwertsteuer durch eigene Aktionen um ein Vielfaches aufgebessert.
Geschäftsführer Stefan Suszek von Mode Zinser hat die gesenkte Mehrwertsteuer durch eigene Aktionen um ein Vielfaches aufgebessert. | Bild: privat

Statt Preisschilder umzuschreiben setzten manche Händler auf Rabattaktionen

„Mode Zinser hat sich gegen den riesigen Aufwand entschieden, alles umzuschreiben“, sagt der Leiter des Singener Modehauses, Stefan Suszek. „Wir haben stattdessen unseren Kunden vom Tag der Senkung durch eigene Aktionen in unserem Haus besonderen Mehrwert zukommen lassen.“ Der Effekt von drei Prozent sei so minimal und bewege sich meist im Cent-Bereich, dass das den Kaufanreiz nicht erhöht habe.

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Daher stehe der Verwaltungsaufwand einer Änderung in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Deshalb setzte Zinser auf eigene Vergünstigungen. „Wir haben in den ersten zwei Monaten der Mehrwertsteuersenkung komplett auf die 16 Prozent verzichtet“, sagt Suszek. „Bei uns haben im Juli nur zwei Kunden aktiv nach der Steuersenkung gefragt.“ Sie seien positiv überrascht gewesen, als sie dann von den anderen Vorteilsaktionen erfuhren.

Die Ersparnis bei kleineren Anschaffungen bewegt sich im Cent-Bereich

Den Effekt der Mehrwertsteuersenkung für den stationären Handel zweifelt auch der ehemalige Vorsitzende des Singener Einzelhandelsverbandes Helmut Wessendorf an. Er ist immer noch mit den Innenstadthändlern im Gespräch. Der Kauf von Schuhen oder einer Hose werde nicht anhand von drei Prozent Mehrwertsteuer entschieden, sagt Wessendorf. Das hätten ihm die Kollegen bestätigt.

Helmut Wessendorf weiß von den Singener Händlern, dass die Mehrwertsteuersenkung nur wenig Kaufanreiz ausgelöst hat.
Helmut Wessendorf weiß von den Singener Händlern, dass die Mehrwertsteuersenkung nur wenig Kaufanreiz ausgelöst hat. | Bild: Trautmann, Gudrun

Singener Handel warb mit eigenen Preisnachlässen um Kunden

Schon im Sommer hatte der City-Ring-Beisitzer und Geschäftsführer von Sport Müller, Alexander Kupprion, gemutmaßt, dass erst Rabatte ab 20 Prozent die Kauflaune entfachen würde. Tatsächlich hatte der Singener Handel mit einer großen gemeinsamen Aktion und hohen Rabatten Kunden in die Innenstadt gelockt. Die Steuersenkung selbst hat im Rückblick eher weniger Anreize erzeugt. Für Alexander Kupprion haben sich genau diese Befürchtungen bestätigt. Am Ende der staatlichen Aktion sagt er: „Es war gut gemeint, aber schwer in der Umsetzung.“ Der Effekt sei sehr gering, dafür seien Aufwand und Kosten unverhältnismäßig hoch gewesen. Das hätten ihm auch die Kollegen im City-Ring bestätigt. „Ich glaube nicht, dass die Kunden ohne die Steuersenkung weniger gekauft hätten“, sagt Kupprion. Um die Kassensysteme umstellen, musste er jetzt erneut eine externe EDV-Firma beauftragen und bezahlen.

Beim Kauf von Luxusartikeln wie wertvolle Autos hat sich die gesenkte Mehrwertsteuer spürbar bemerkbar gemacht. Der Autosalon Singen hat ...
Beim Kauf von Luxusartikeln wie wertvolle Autos hat sich die gesenkte Mehrwertsteuer spürbar bemerkbar gemacht. Der Autosalon Singen hat davon profitiert. | Bild: Trautmann, Gudrun

Bei teuren Anschaffungen schlagen auch drei Prozent zu Buche

Anders sieht es bei Luxusgütern aus. Aus dem Singener Autosalon ist zu erfahren, dass immerhin zwei Geschäfte auf die reduzierte Mehrwertsteuer zurückzuführen sind, die sonst nicht zustande gekommen wären. Bei Fahrzeugen, die 100.000 oder 200.000 Euro kosten, machen sich drei Prozent Steuern schon bemerkbar. Auf diesen Effekt hatte ja auch der IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx bereits im Sommer gesetzt. Mit den beiden oben erwähnten Käufen sei es dem Autosalon gelungen, ein ähnliches Ergebnis wie 2019 zu erzielen, als es noch kein Corona gab, erklärt der Sprecher des Unternehmens. Ein Problem stelle aber der komplette Lockdown dar, weil die Kunden den Autosalon nicht betreten dürfen. Luxusautos werden nicht im Internet gekauft. Sie wollen ausführlich betrachtet und geprüft werden.

Dunkle Wolken spiegeln sich im Fenster. Das Modehaus Zinser verzichtet im Lockdown ganz auf die Schaufensterbeleuchtung und warnt mit ...
Dunkle Wolken spiegeln sich im Fenster. Das Modehaus Zinser verzichtet im Lockdown ganz auf die Schaufensterbeleuchtung und warnt mit dieser Aktion vor dem großen Ladensterben in den Innenstädten. Wie die Gastronomie bekommt der Handel den Lockdown massiv zu spüren. | Bild: Trautmann, Gudrun

Der neuerliche Lockdown bedroht Existenzen

Nicht alle Einzelhändler kommen mit einem blauen Auge durch den totalen Stillstand. Ganz zu schweigen von der Gastronomie. Schon der erste Lockdown geriet zur Belastungsprobe. Der aktuelle Lockdown bedroht viele Existenzen. Wie sich das auswirken könnte, wenn die Geschäfte nach der Pandemie nicht mehr öffnen, will das Modehaus Zinser deutlich machen. Das Unternehmen schaltet in allen Niederlassungen die Beleuchtung aus. „Die Verfinsterung unserer Schaufenster ist ein Signal und eine Warnung“, sagt Stefan Suszek. „Wir wollen zeigen, wie die Innenstädte ohne den Handel aussehen würden.“

Die Verärgerung über die Landesregierung wächst

Auch Alexander Kupprion schätzt die Folgen aus dem zweiten Lockdown viel gravierender ein als im Frühjahr. „Die Fallhöhe ist jetzt viel größer, weil der Umsatz im Weihnachtsgeschäft normalerweise um ein vielfaches höher ist als im März und April“, sagt der Sportartikel-Händler. „Dass die Landesregierung keine Paketabholung an den Geschäften erlaubt, kommt einer Zerstörung des Einzelhandels gleich“, schimpft er. Und dass bei den meisten Kollegen die versprochenen Überbrückungshilfen noch nicht angekommen seien, führe zu einer wachsenden Verärgerung. „Die Landesregierung sollte sich mit Versprechungen zurückhalten“, sagt Kupprion auch als City-Ring-Vorstandsmitglied.