Rund 28 000 Schilder müssen neu gedruckt und gesteckt werden, damit die Preise zum 1. Juli angepasst sind. Allein diese Zahl von Edeka Münchow mit Filialen in Rielasingen-Worblingen und Singen zeigt, welchen Aufwand die Mehrwertsteuersenkung ab Mittwoch für Betroffene bedeutet: Damit die Senkung von 19 auf 16 beziehungsweise sieben auf fünf Prozent auch beim Kunden ankommt, sind Händler stark gefordert. „Für uns bedeutet das ganz praktisch, dass unsere Mitarbeiter am Sonntag eine Sonderschicht eingelegt haben“, erklärt Nadine Schulze als geschäftsführende Gesellschafterin bei Edeka Münchow. Ein ähnliches Bild zeigen weitere Betroffene in Singen und im Hegau: „Es ist ein riesen Aufwand. Und es betrifft jeden, das macht es auch so komplex“, sagt Claudia Kessler-Franzen von Singen-Aktiv.

Ob Kunden wegen drei Prozent extra einkaufen kommen? Alexander Kupprion bezweifelt das

Nicht immer wird sich die geringere Mehrwertsteuer eins zu eins im Geldbeutel bemerkbar machen, schätzt Alexander Kupprion. Er ist Geschäftsführer von Sport Müller und Beisitzer im City Ring. In seinen Sportgeschäften werden die Preise für nicht-reduzierte Ware ab Mittwoch um drei Prozent reduziert – allerdings erst an der Kasse, denn jedes Preisschild zu aktualisieren, würde viel Zeit und Geld kosten. Kupprion bezweifelt aber, dass diese Reduzierung für Kunden ausschlaggebend sein wird: Händler würden sich ohnehin eine regelrechte Rabattschlacht liefern, erst ab 20 Prozent Ersparnis würde die Nachfrage steigen. „Die aktuelle Situation ist für viele existenzbedrohend“, sagt der Geschäftsführer. Viele Händler würden die Steuersenkung wegen des hohen Aufwands nicht weitergeben, vermutet er – schließlich soll die Steuer zum neuen Jahr wieder auf den alten Stand angepasst werden. Die Maßnahme sei daher ein gut gemeintes, positives Signal der Politik, die allerdings die Umsetzung zu wenig berücksichtigt habe.

Großer Aufwand besonders für kleine Betriebe

Ähnlich äußert sich Claudius Marx als Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee: Eine steuerliche Entlastung sei aus wirtschaftlicher Sicht immer zu begrüßen, doch in diesem Fall halte sich die Euphorie deutlich in Grenzen. „Viele unserer Mitglieder haben uns mitgeteilt, dass sie in der Senkung der Mehrwertsteuer in erster Linie Kosten und Aufwand sehen – die zweimalige Umstellung verursacht erheblichen technischen, organisatorischen und buchhalterischen Aufwand„, schildert Marx. Gerade kleinere Betriebe seien dabei häufig auf kostenintensive Serviceleistungen angewiesen, da die Kassen nicht einfach selbst umgestellt werden können.

Spürbarer Effekt besonders im Luxusbereich

Claudius Marx geht aber davon aus, dass viele Gewerbetreibende die Ersparnis weitergeben werden: „Eine vollständige Weitergabe an die Verbraucher ist zwar gesetzlich nicht vorgegeben“, doch viele Mitglieder hätten das bereits signalisiert. Kleinere Händler würden dabei vermutlich den großen Ketten nachziehen und könnten die Senkung dann für ihr Marketing nutzen. Angesichts der hohen Umstellungskosten würde laut dem IHK-Hauptgeschäftsführer allein der Luxusbereich profitieren, wo Kunden die Ersparnis deutlich merken werden.

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Beim Essen wird die Steuer um 14 Prozent gesenkt: von 19 auf 5 Prozent

Prozentual größer wird die Ersparnis in Restaurants – zumindest theoretisch. Bislang mussten Gäste für ihre Speise den Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent bezahlen, doch Speisen werden nun als Mittel des täglichen Bedarfs eingeordnet mit einem Steuersatz von bisher sieben Prozent. Der wird im Zuge des Konjunkturpakets auf fünf Prozent reduziert. Getränke allerdings werden weiterhin mit dem höheren Steuersatz, also künftig 16 Prozent, berechnet. „Jetzt müssen wir mit zwei Steuersätzen arbeiten“, erklärt Heinz Stärk. Er ist Geschäftsführer des Hotels Lamm in Singen und Vorsitzender der Dehoga-Kreisstelle Konstanz. Damit spricht er für Hotels und Gaststätten im Landkreis. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz sei schon lange ein Wunsch der Branche gewesen, allerdings hält Stärk einen kombinierten Steuersatz für die Gastronomie von beispielsweise zehn Prozent für praktikabler. Denn noch sind für ihn Fragen offen: Welcher Steuersatz gilt bei einem Frühstücksangebot, wenn Essen und Getränke pauschal zusammengefasst werden?

Restaurants kalkulieren aber neu – samt gestiegener Kosten

Die Umstellung sei ein „brutaler Verwaltungsaufwand“, fasst Stärk zusammen: Alle Kellnerkassen müssen umprogrammiert werden, Fachkräfte der Kassen-Lieferanten seien daher stark gefragt. Schließlich müsse später auch die Dokumentation fürs Finanzamt stimmen. Der Dehoga-Vorsitzende geht davon aus, dass die Steuersenkung aber wenig Effekt zeigen wird. Denn viele Restaurants nähmen das zum Anlass, ihre Kosten neu zu kalkulieren – und die sind während der Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Lebensmittel sind teurer geworden, Desinfektionsmaßnahmen hinzugekommen und die Gästezahlen seien um 60 bis 70 Prozent gesunken. Da könne man als Dehoga-Verband aber keine Vorgaben machen: „Das muss jeder Betrieb für sich entscheiden und machen.“

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Zu Gunsten des Kunden wird abgerundet

Einheitlich hingegen ist die Linie der Edeka-Märkte, wie Nadine Schulze für die Münchow-Filialen erklärt: Der Kunde soll schon am Regal sehen, welche Ersparnis er hat. Nach der Sonderschicht am Sonntag gelten die Preise schon seit Montag. Dabei werde zu Gunsten des Kunden abgerundet: Ein Joghurt wird dann mit 32 Cent statt der angepassten 32,4 Cent abgerechnet.

Geringere Mehrwertsteuer gilt auch Schweizer

Und wie ist es für Schweizer, die seit Mitte Juni wieder in Deutschland einkaufen dürfen? Für die reduziert sich der Mehrwertsteuersatz, den sie erstattet bekommen, gleichermaßen. Am Zoll bedeutet das aber keinen Mehraufwand, wie Mark Eferl als Pressesprecher des Hauptzollamts Singen auf Nachfrage erklärt. Und Nadine Schulze erklärt beispielhaft, dass die Ausfuhrscheine bei ihnen automatisiert ausgedruckt werden: Das sei einfach ein Knopfdruck mehr.

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