Die Taube als Sinnbild für den Frieden? Es gibt sie, diese Vorstellung. Für die meisten Bewohnern der Singener Innenstadt sind Tauben jedoch nur eines: ein Ärgernis. In manchen Zonen haben jahrelange illegale Fütterungen eine echte Plage verursacht. Die Vögel vermehren sich überproportional und verschmutzen Eingänge, Innenhöfe, Dachgärten, Terrassen, Fenstersimse oder Gehwege mit ihrem Kot. Vermeintliche Tierschützer nehmen das Risiko eines Bußgeldes locker in Kauf. Mit Einsicht ist nicht zu rechnen. Das hat der Leiter des Singener Ordnungsamtes, Marcus Berger, schon wiederholt berichtet.
Der Gegensatz zwischen Taubenfreunden und Gegnern könnte kaum größer sein. Während die einen im Schutz der Nacht Flocken und Körner auf die Straße kippen, versuchen die anderen, Licht ins Dunkel zu bringen und die Verantwortlichen bei illegalen Fütterungen zu überführen.
Tatsächlich ist das jetzt per Zufall einem betroffenen Ehepaar gelungen. Jutta Konietzko und Rainer Klose beobachteten an einem Sonntag zur besten „Tatort“-Zeit, wie ein Auto in der Engen Straße hielt, die Beifahrerin kurz ausstieg und am Gehsteig vor dem Eingang der Arbeitsagentur einen Eimer Haferflocken verteilte.

„Ich sah das Geschehen von der Dachterrasse aus“, schreibt Rainer Klose in seiner Anzeige an das städtische Ordnungsamt. Er habe die Frau laut auf die Tat angesprochen. Diese sei aber wortlos ins Auto gestiegen und davon gefahren. Eine Beschreibung der Frau soll der städtischen Behörde helfen, diese zu ermitteln.
Anwohner sind frustriert
„Die Ecke rund um das Arbeitsamt bis zum Eingang des Restaurants Jasmin ist seit Jahren ein ‚beliebter‘ Fütterplatz für Vogelfreunde, die meist über Nacht aktiv werden. Auf den Dächern, Terrassen und Balkonen des Postareals bekämpfen wir die Taubenplage und die Flecken von Taubenkot seit nunmehr 20 Jahren“, schreibt der Beschwerdeführer. Er werde mit seiner Hausverwaltung eine Zivilklage auf Schadenersatz diskutieren.

Ein ganzer Wohn- und Geschäftskomplex leidet unter der starken Taubenpopulation
Ein Besuch bei Rainer Klose veranschaulicht das Problem des gesamten Postareals. In jeder freien Nische richten sich die Vögel ein. Ein reger Flugbetrieb herrscht über den Dächern des Wohn- und Geschäftskomplexes. Eine große Antenne dient als Versammlungsplatz für die Stadttauben. Von hier aus haben die Tiere einen perfekten Überblick über das Futterangebot am Boden. Ihren Kot verteilen sie auf den Terrassen und in den Eingängen.

„Bevor wir hier eingezogen sind war ich neutral“, sagt Rainer Klose. „Jetzt mag ich keine Tauben mehr.“ Etliche Tausend Euro habe die Hausgemeinschaft schon in die Taubenabwehr investiert. Tatsächlich sind überall Stachelbänder zu sehen. Elektische Drahtleitungen wurden an den Flachdachkanten verlegt. Zuletzt wurden teure Ultraschallgeräte installiert, die für die Tiere so unangenehme Schwingungen erzeugen, dass sie einen Bogen drumherum machen. Das alles hat nur mäßige Wirkung.
Taubenabwehr kostet etliche Tausend Euro
Bevor Rainer Klose seine Dachterrasse benutzen kann, absolviert er mit Bürste und Spachtel einen Kontrollgang und beseitigt die Hinterlassenschaften. „Solange unten gefüttert wird, leben wir hier oben auf Schritt und Tritt mit Taubenkot“, sagt Klose. Ein Bushard und ein Rotmilan segeln über die Dächer. „Die helfen uns, weil sie Tauben vertreiben.“
Das Taubenproblem ist in Singen seit Jahren bekannt. Immer wieder gehen Beschwerden wegen illegaler Fütterungen beim Ordnungsamt ein. Nun hat der Gemeinderat ein Taubenmanagement beschlossen und 10 000 Euro in den Haushalt 2021 eingestellt. Dabei geht es vor allem darum, die rasante Vermehrung der Tauben zu stoppen. Ob das die Vogelfreunde von ihren Fütterungen abhalten wird, ist eher fraglich.

Rainer Klose und Jutta Konietzko haben die Frau, die die Haferflocken vor der Arbeitsagentur abgekippt hat, in der Nachbarschaft zufällig wiedergesehen und angesprochen. Sie habe sich als Taubenliebhaberin ausgegeben und die Sache verharmlost. Die Diskussion habe überhaupt nichts gebracht. Nun hoffen die Geschädigten, dass die Anzeige beim Ordnungsamt die Tierliebhaberin ausbremsen wird.
Ermittlungen noch ganz am Anfang
Marcus Berger hat inzwischen bestätigt, dass die Anzeige von Rainer Klose und Jutta Konietzko eingegangen ist. Die Stadt sei mit ihren Ermittlungen aber noch ganz am Anfang. Zuerst müsse die Identität der Beschuldigten geklärt und festgestellt werden, ob die Frau schon aktenkundig ist. Danach richtet sich später die Höhe des Bußgeldes. Beim ersten Verstoß sind das gerade mal 30 Euro.