Viele Menschen haben in den vergangenen Wochen und Monaten viel Zeit zuhause bei der Familie verbracht. Und auch die Corona-Regelungen zwingen uns dazu, länger in der eigenen Wohnung zu bleiben. Aber wie sieht dies für Kinder und Jugendliche aus, deren Zuhause ein Heim ist? Linda ist 14 Jahre alt und wohnt zusammen mit ihren Freunden im Kinderheim Sankt Peter und Paul in Singen. Sie berichtet, wie die 16 Kinder und Jugendlichen sowie die Betreuer und Erzieher durch die Corona-Pandemie kommen. Besonders fehlt ihr gerade das Lächeln der Erwachsenen in der Einrichtung. Dieses bekommt sie nämlich, anders als bisher gewohnt, seit Wochen nicht mehr zu sehen. Denn im Kinderheim müssen die Betreuer und Erzieher Masken im Gebäude tragen. „Das ist absolut blöd, wer trägt denn in seinem eigenen Zuhause eine Maske“, sagt Linda.

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Heimleiter Jürgen Napel, dessen Gesicht von einer Mund- und Nasenmaske verdeckt wird, steht bei dieser Aussage neben der 14-Jährigen. Dann nickt er: „Besser hätte man es nicht ausdrücken können.“ Vertrauen gehe durch die Maske nicht verloren, dazu kenne man sich zu gut. „Aber Corona nimmt uns Nähe und das fehlt hier bei uns drastisch“, so Napel weiter. Kinder würden nur maskierte Erwachsene sehen. „Kinder in ihren Familien erleben sie das daheim auch nicht und ein Daheim zu leben, ist doch unsere Aufgabe.“ Natürlich sei Arbeitsschutz wichtig und im Kinderheim ein hohes Gut. „Doch dieses Ergebnis ist schrecklich“, sagt Napel.

Corona stellt auch das Singener Kinderheim vor große Herausforderungen.
Corona stellt auch das Singener Kinderheim vor große Herausforderungen. | Bild: Matthias Güntert

Aber: Familien haben es in dieser besonderen Zeit schwerer als die Bewohner und Mitarbeiter im Kinderheim Sankt Peter und Paul, sagt Napel. Eine Aussage, die aufhorchen lässt. Doch Napel kann sie begründen: „Wir sind eine Art eigene kleine Welt, wenn uns der Lockdown absägt.“ In der Isolation, zu dem der Lockdown nicht nur Familien zwinge, sind die 16 Kinder und Jugendliche nicht alleine. Sie können sich gemeinsam im Garten aufhalten, treffen sich in der kleine Kapelle unter dem Dach oder in den großen Aufenthaltsräumen.

„Hier ist keiner alleine.“

„Hier ist keiner alleine. Kinder brauchen zwingend auch andere Kinder um sich herum“, ergänzt Nicole Römer, die seit Kurzem die Stellvertretung von Napel übernommen hat. Was allerdings ausgesetzt ist, seien Besuche der Kinder bei ihren Familien. Diese wurden von der Heimleitung gebeten, erst einmal auf Besuche ihrer Kinder zu Hause zu verzichten. Und laut Napel halte sich die Mehrheit an diesen Wunsch. „Eltern dürfen die Kinder bei uns im Haus besuchen, wenn beide Seiten das wollen, aber unter Einhaltung der Hygienevorschriften“, so der Singener Heimleiter weiter.

Drei Tage wurde im Kinderheim Sankt Peter und Paul für den neuen Imagefilm gedreht.
Drei Tage wurde im Kinderheim Sankt Peter und Paul für den neuen Imagefilm gedreht. | Bild: Eric Wetzel

Aktuell gibt es im Kinderheim Peter und Paul zwei Heimgruppen. Insgesamt bewohnen 16 Kinder die Einrichtung. Hinzu kommen Kinder, die in den Außengruppen in der SoKo Schiller, Engen und Waldeck (je zehn Kinder), in der Timeout School (acht Kinder), in der Spielgruppe KiZ, im Kinderhaus Ulrika und in der Integrationshilfe in Kitas betreut werden. 48 Mitarbeiter sind im Kinderheim Sankt Peter und Paul beschäftigt.

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Während viele Betreuungseinrichtungen und Jugendhilfen mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen haben, sieht die Lage im Kinderheim in Singen anders aus. Natürlich ist Corona auch dort spürbar. Aber zusammen mit seiner Stellvertreterin Nicole Römer berichtet Jürgen Napel davon, dass das Kinderheim gut durch die Krise komme – auch dank externen Spendern. „Die Stimmung ist gut, wir tragen das alle gemeinsam“, sagt Römer. Dass dies wörtlich zu nehmen ist, wird bei der Ausschüttung des Corona-Bonus deutlich.

Große Solidarität der Mitarbeiter

Laut Napel habe sich eine große Mehrheit der Erzieher und Betreuer dazu entschieden, diesen postwendend wieder an das Heim zu spenden. „Natürlich zahlen wir diesen aus, das ist auch tariflich vorgeschrieben, aber wir müssen diese Mehrausgaben bei sinkenden Einnahmen auch refinanzieren. Deswegen haben sich viele zu diesem Schritt entschieden“, betont Napel. Geld vom Kinderheim nehmen, das an andere Stelle fehle oder eingespart werden müsse, wolle niemand. „Das ist nicht irgendein Arbeitsplatz für unsere Dienstgemeinschaft, das ist unser aller Kinderheim„, macht Heimleiter Napel im Gespräch mit dem SÜDKURIER deutlich.

Während Corona ist Streit vorprogrammiert

Corona bringe in vielen Familien die Schattenseiten zum Vorschein, sind sich Napel und Römer einig. Die Leittragenden dabei seien fast insbesondere die Kinder. „Der Streit daheim ist im Corona-Lockdown oftmals vorprogrammiert und die Kinder sind das schwächste Glied der Familie“, berichtet Napel. Laut Römer würden Kinder, die auf einem positive Weg waren, durch die Isolation und den Lockdown oft wieder zurück in alte Verhaltensmuster fallen. Oftmals komme so etwa der Tages- und Nachtrhythmus durcheinander, überwundene problematische Verhaltensweisen drängen wieder in den Vordergrund.

Und wenn etwas in der Familie falsch laufe, haben Kinder häufig keine Möglichkeit, dies einem Dritten anzuvertrauen, wenn die sozialen Kontakte fehlen. „Da fehlen einfach Ansprechpartner wie etwas die Schulsozialarbeiter“, sagt Römer. Die Kleinen seien dann etwa häuslicher Gewalt oder Schlimmerem ausgeliefert. Nach der Isolation der vergangenen Wochen müssen sich Gruppen erst wieder neu zusammenfinden, so Römer weiter.

Die 16 Kinder und Jugendliche geben bei dem Film Einblicke in ihr Kinderheim.
Die 16 Kinder und Jugendliche geben bei dem Film Einblicke in ihr Kinderheim. | Bild: Eric Wetzel

Drei, die sich nicht zusammen finden müssen, sind Linda und ihre Freundinnen im Kinderheim. Sie werden den sonnigen Frühlingstag im Garten verbringen. Gemeinsam, schließlich dürfen sie das, denn sie sind ein Hausstand. Sobald das Gespräch mit dem SÜDKURIER beendet ist, verspricht Heimleiter Jürgen Napel nachzukommen. Es gibt in der großen Familie des Kinderheimes Sankt Peter und Paul trotz Corona sicher eine Menge neuer Neuigkeiten zu erzählen.

Kinderheim muss nicht das Ende sein

  • Ein echtes Zuhause: Satt, warm und trocken genügt dem Kinderheim Peter und Paul in Singen nicht. „Viel Leid, das Kinder erfahren haben, muss aufgearbeitet werden. Und dies tun wir, ohne über Schuld zu reden“, sagt Heimleiter Jürgen Napel. Kinder, die zu ihm und seinen Mitarbeitern kommen, müssen wieder Sicherheit erleben. „Es geht uns um Kinder und ihre Familien, nicht um Fälle und Klienten“, sagt er. Das Ziel solle es im besten Falle sein, dass Kinder nach einer gewissen Zeit wieder zurück in ihre Familien können.
  • Ein realistischer Blick ins Kinderheim: Dabei helfen solle ein Imagefilm, den das Kinderheim zusammen mit einer Produktionsfirma aus Gärtringen aufgenommen habe. Die Nachricht, die er transportieren soll: Ein Aufenthalt im Kinderheim muss nicht das Ende sein. „Uns war es wichtig, dass unsere Kinder einen Einblick in ihren Alltag geben und so auch dazu beitragen, dass Ängste bei Hereinschauenden abgebaut werden“, sagt Nicole Römer. Der Film werde dazu eingesetzt, dass sich Kinder, Eltern aber auch zukünftige Mitarbeiter ein Bild von der Einrichtung machen können. „So wird der Geist unseres Hauses transparent“, so Napel. Gekostet hat der Imagefilm 8.000 Euro, die allesamt aus dem Förderprogramm „Jugend stärken im Quartier“ stammen. Auf der Homepage des Kinderheimes ist er veröffentlich: http://www.kinderheim-singen.de