Lernprogramme zum Aufholen von Unterrichtsstoff gibt es nach den Corona-Schulschließungen verschiedene. Ob diese für die Schulen umsetzbar sind und wieviel Erfolg sich die Schulleiter davob versprechen, das hat der SÜDKURIER an einigen Schulen im Hegau nachgefragt.
Kaum Studenten auf dem Land für „Bridge the gap“
„Bridge the gap“ oder „Überbrücke die Lücke“ auf deutsch ist ein Programm, das aktuell in den letzten Schulwochen vor den Ferien läuft. Auch die Waldeck-Schule in Singen habe zunächst eine Zusage für „Bridge the gap“ vom Land, beziehungsweise der Projektkoordinatorin der Uni Konstanz erhalten, erzählt Schulleiterin Anja Claßen. „Leider fanden sich dann aber keine Studenten, die bereit waren, nach Singen zu fahren, da die Fahrtkosten nicht vom Land übernommen werden. Eventuell spielen aber auch weitere Gründe eine Rolle, die uns nicht benannt wurden“, so Claßen. Staatssekretärin Sandra Boser sagte am Rande eines Pressegesprächs, „Bridge the gap“ sei nicht als flächendeckendes Programm geplant worden. „Es sollte nur im Umfeld der „Schools of education“ stattfinden“, so Boser. 440 Plätze seien letztlich mit Lehramtsstudierenden besetzt worden. Prinzipiell sei die Unterstützung im laufenden Schuljahr und Unterricht eine gute Idee, so Schulleiterin Claßen. Das Programm „Lernbrücken“ an das Ferienende zu legen, hält sie dagegen für nicht ideal. „Spätestens in der letzten Ferienwoche, oft auch früher, sind alle Lehrkräfte in den Schulen mit der Vorbereitung des Unterrichts, der Einrichtung der Klassenzimmer, mit Besprechungen, Konferenzen und Organisatorischem beschäftigt“, so die Schulleiterin. Aus ihrer Sicht wäre eine kontinuierliche Förderung während des ganzen Schuljahres wichtig. Thomas Umbscheiden hält die Landesprogramme nicht für die Lösung. Der stellvertretende Vorsitzende der Direktorenvereinigung Südbaden und Interessensvertreter der gymnasialen Schulleitungen in Südbaden kritisiert, für „Bridge the gap“ seien viel zu wenige Studierende bei den Schulen außerhalb der Einzugszone einer Hochschule angekommen. Auch die „Lernbrücken“ sind seiner Ansicht nach nicht effektiv. Die Rückmeldungen aus der Lehrerschaft, die das Unterstützungsprogramm übernehmen sollen, seien gering. „Es ist erst Ende Juli klar, ob es stattfindet“, so Umbscheiden zu den einzelnen Standorten für die „Lernbrücke“, für die sich die Schulen bewerben mussten. Aus dem Kollegenkreis der Gymnasiallehrer der Direktorenvereinigung kenne er keine Schule, die sich dafür gemeldet habe. Der Grund: „Unsere Lehrkräfte sind einfach durch. Sie haben ein anstrengendes Schuljahr hinter sich und können nicht noch mehrere Wochen in den Sommerferien verheizt werden.“ Gleiches gelte auch für die Schüler: „Der Leistungsdruck ist momentan viel zu hoch. Wir gehen durch eine historische Krise und haben nichts Besseres zu tun, als den Kindern Leistungserwartungen zu stellen.“ Der Bedarf sei zwar in allen Klassenstufen vorhanden, aber die Effektivität der „Lernbrücken“, die an einer fremden Schule, mit fremden Lehrern und möglicherweise unbekanntem Lehrmaterial stattfinde, sei fraglich. Stattdessen sollten längerfristige Maßnahmen wie etwa digitale Lernunterstützungsprogramme dringend entwickelt werden.
„Entscheidend ist die Wirkung des Angebots“
Wie die SÜDKURIER-Umfrage im Hegau zeigt, scheint die Umsetzung der Lernbrücken an den Grundschulen besser durchführbar. „Ich gehe fest davon aus, dass wir ein Standort für die Lernbrücke sein werden“, gibt Holger Laufer, Schulleiter der Grundschule Engen zu verstehen. „Wir haben Personal und wir haben Schüler“, so Laufer. Es sei früh klar gewesen, so Laufer, dass die eigenen Lehrkräfte am Ende der Ferien durch die Planung des neuen Schuljahrs bereits gebunden sein würden. Deshalb habe sich die Schule selbst um Studenten gekümmert, die den Unterricht mit Unterstützung von zwei Lehrkräften übernehmen werden. Man habe Studenten angesprochen, die bereits schon Mal an der Schule waren. In diesem Jahr gehe es viel um Versetzung oder Nichtversetzung, schildert Laufer mit Blick auf seine Schützlinge. Insgesamt 30 Schüler sollen hier im September an der Lernbrücke teilnehmen. „Das ist eine sehr hohe Zahl“, bilanziert der Schulleiter. Er formuliert ganz deutlich, dass Angebote wie dieses „ein Riesenaufwand“ seien. Das steht für ihn aber nicht im Fokus: „Entscheidend ist die Wirkung des Angebots“, betont der Engener Schulleiter.
Auch Eltern fragen aktiv nach Angeboten
Individuell die Stärken und Schwächen der Schüler anschauen, möchte die Hebelschule Gottmadingen im Rahmen der „Lernbrücke“. Auch hier konnte Personal für das Angebot gefunden werden: Vier Lehrerinnen werden mit rund 50 Kindern in drei Gruppen lernen. Wie das Förderprogramm es vorsieht, seien hier die Kinder mit Nachholbedarf direkt von den Lehrern angesprochen worden, berichtet Schulleiterin Anja Abert. „Zum Teil fragen aber auch die Eltern aktiv nach der Lernbrücke“, fügt sie hinzu. Die Schulleiterin ist froh, dass sie das Programm mit den eigenen Lehrkräften stemmen kann und lobt das Engagement ihrer Kolleginnen, besonders nach einem so anstrengenden Schuljahr wie dem Letzten. Schon in den vergangenen Sommerferien wurde an der Hebelschule die „Lernbrücke“ angeboten, auch wenn bis zwei Tage vor Schluss das offizielle Unterrichtsmaterial auf sich warten ließ.
Programm als Wiedereingewöhnung ins Lernen
Dass in zwei Wochen keine größeren Lernlücken aufgeholt werden können, ist für den Schulleiter der Hilzinger Peter-Thumb-Gemeinschaftsschule vollkommen klar. Martin Trinkner sieht in der „Lernbrücke“ vielmehr die Möglichkeit, die Schüler nach dem langen Lockdown und Sommerferien wieder früher in das schulische Lernen hineinzubringen. Das ist eine Lehre, die er aus der „Lernbrücke“ im vergangenen Jahr gezogen hat. Auch er hofft, dass seine Schule einen Standort bilden wird. Fünf Lehrkräfte stehen bereit, um gut 40 Schüler in drei Gruppen zu fördern. Die Resonanz sei dieses Mal ein wenig geringer als zuletzt: „Grundsätzlich haben wir eine Elternschaft, die sieht, da ist ein Angebot, das man auch wahrnimmt“, so Trinkner zur positiven Haltung der Eltern.
Bisher waren Schüler sehr motiviert
Zehn bis 15 Prozent der Eltern seien an der „Lernbrücke“ interessiert, berichtet Christian Keller, Konrektor an der Rielasinger Ten-Brink-Schule. Er geht davon aus, dass es zwei Gruppen für die Lernbrücke an der Schule geben wird. Auch hier werden ausschließlich Lehrer aus dem eigenen Kollegium unterrichten. Die Erfahrung aus dem letzten Jahr habe gezeigt, dass Defizite bei den Schülern da seien. Die Schüler, die da waren seien motiviert gewesen, so Kellers Bilanz. Jedoch seien auch einige nicht zur Lernbrücke gekommen, die dafür angemeldet waren. Neben allen organisatorischen Herausforderungen bleibt am Ende die Frage, inwieweit die Programme auch wirklich dazu beitragen können, Lerndefizite und insbesondere Lernblockaden auszugleichen oder gar aufzuheben.
Diese Förderprogramme sollen Rückstände aufholen
- Überbrücke die Lücke: Das Pilotprojekt, das auch neudeutsch „bridge the gap“ heißt, läuft seit Ende der Pfingstferien bis zu den Sommerferien. Hier sollen Lehramtsstudierende von 11 Hochschulen in Baden-Württemberg unterstützend an die Schulen kommen, um Lerndefizite aufzuholen. 300 Schulen haben sich für das Projekt gemeldet.
- Lernbrücke: Sie gehört zu den flächendeckenden Förderprogrammen und wurde bereits im vergangenen Schuljahr durchgeführt. Die Lernbrücke findet in den letzten beiden Sommerferienwochen statt mit jeweils drei Zeitstunden pro Vormittag statt. Der Fokus der Lernbrücke soll in diesem Jahr, laut Kultusministerium, auf dem sozial-emotionalen Bereich liegen und zum Beispiel helfen, Lernblockaden bei den Schülern zu lösen. Unterrichten sollen Lehrkräfte, Pensionäre, Referendare und Studierende. Die Lernbrücke wird mit acht Millionen Euro gefördert.
- Rückenwind: So lautet das Förderprogramm für das kommende Schuljahr 21/22. Es wird mit 130 Millionen Euro in Baden-Württemberg gefördert. Es soll Maßnahmen beinhalten, die im Unterricht und auch außerhalb der regulären Schulzeit stattfinden.
- Lernbegleiter: Einige Schulen haben individuelle Lösungen gefunden, um förderbedürftigen Schülern zu helfen. So betreuen an der Singener Waldeck-Schule schon seit Jahren individuelle Lernbegleiter (ILB) jeweils ein bis drei Kinder über Jahre hinweg parallel zum Unterricht. Wie Schulleiterin Anja Claßen betont, sind die ILBs – pensionierte Lehrkräfte, Erzieherinnen in Rente oder auch Menschen, die aktuell nicht oder in Teilzeit berufstätig sind, aber gerne Kinder unterstützen möchten – ehrenamtlich tätig.
- Sommergymi: Am Gymnasium Engen findet seit einigen Jahren in den Ferien das „Sommergymi“ statt. Das einwöchige Angebot steht allen Schülern offen, unterrichtet werden sie in verschiedenen Fächern von Schülern. Die Kosten werden von den Eltern übernommen. Im vergangenen Jahr öffnete das „Sommergymi“ die Kurse sogar für alle Engener Schulen.(hor/ker)