Die Gäubahn ist ein Sorgenkind des Bahnverkehrs in der Region. Eigentlich ist sie die direkte Anbindung des westlichen Bodenseeraums an die Landeshauptstadt Stuttgart. Doch seit Jahren lahmt der Ausbau, die Fahrzeit der Züge von Singen nach Stuttgart ist im Vergleich zur Autofahrt ziemlich lang und der grenzüberschreitende Verkehr in Richtung Schweiz ist ebenfalls seit Längerem eingeschränkt. Und es droht neuer Verdruss für Fahrgäste aus dem Bodenseeraum.
Denn 2025 soll der neue Stuttgarter Hauptbahnhof in Betrieb gehen, mindestens teilweise. Dadurch droht eine Lücke in der Bahnverbindung aus der Region in die Landeshauptstadt. Denn die bisherige Gäubahnstrecke soll dann vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgehängt werden. Derzeit ist als Ersatz eine Anbindung über den S-Bahn-Verkehr ab Vaihingen im Gespräch. Die Gäubahnzüge sollen später über den Flughafen in den Stuttgarter Hauptbahnhof einfahren.

Dass es eine Unterbrechung geben soll, bis dieser Anschluss fertig ist, war schon lange klar. Doch es zeichnet sich ab, dass diese Unterbrechung nicht Monate, sondern Jahre dauern könnte. Denn statt über vorhandene S-Bahn-Gleise, wie ursprünglich vorgesehen, sollen die Züge über einen neuen Tunnel, den Pfaffensteigtunnel, zum Flughafen fahren.
„Der Knackpunkt ist: Es vergehen viele Jahren, bis dann der Tunnel fertig wird“, sagt Stefan Buhl von Pro Bahn. Buhl war als Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn jahrelang gewissermaßen der oberste Bahnpassagier in Baden-Württemberg. Seit Kurzem ist er Mitglied im Landesvorstand und Vorsitzender des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben. Dass die Gäubahn-Züge sich nicht zwischen den dicht getakteten S-Bahnen einfädeln müssen, begrüßt er. Doch er sagt auch, dass es noch keine baureife Planung für den Pfaffensteigtunnel gebe.
Zehn Jahre seien da leicht verbraucht. Es könne aber auch schneller gehen, sagt Buhl. Für Fahrgäste aus der Region würde der langwierige Bau des Tunnels bedeuten, dass jede Reise in die Landeshauptstadt mit einem zusätzlichen Umstieg und Verzögerungen verbunden ist, und das womöglich jahrelang – ein Zustand, den Stefan Buhl als unerträglich bezeichnet.
Bürgermeister fordern, dass die Unterbrechung nicht zehn oder 15 Jahre dauert
Das hat Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler auf den Plan gerufen – zum wiederholten Mal. Mit mehreren anderen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern von Kommunen an der Strecke war er kürzlich im Stuttgarter Verkehrsministerium. Die Forderung: „Die Unterbrechung darf nicht zehn oder 15 Jahre dauern“, wie Häusler formuliert. Das Land Baden-Württemberg habe signalisiert, dass es ebenfalls eine geringe Unterbrechungszeit möchte.
Die Presseabteilung des Stuttgarter Verkehrsministeriums formuliert es auf Anfrage etwas weicher: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Unterbrechung auf das absolut notwendige Minimum begrenzt wird und der neue Tunnel so schnell wie möglich realisiert wird. Außerdem müssen die negativen Folgen für die Fahrgäste während der Unterbrechungszeit so weit wie möglich reduziert werden.“ Was das konkret bedeuten soll, bleibt allerdings offen.

Beim Bundesverkehrsministerium, das für den Bau zuständig ist, heißt es, weder Bahn noch Ministerium hätten ein Interesse daran, „die Reiseverkehre unnötig zu belasten“. Doch: „Die Dauer der Unterbrechung lässt sich erst im weiteren Verlauf des Planungs- und Baurechtsverfahrens spezifizieren.“ Die Vorplanung für den Pfaffensteigtunnel soll in den nächsten Monaten abgeschlossen sein, schreibt der Sprecher auch noch.
Ist so eine lange Unterbrechung überhaupt rechtens?
Mehrere Verbände, zu denen auch Pro Bahn gehört, bezweifeln zudem, dass eine mehrjährige Unterbrechung der Strecke rechtlich so einfach möglich ist. Denn die Grundlage für den Bau ist der Planfeststellungsbeschluss. Dieser gebe eine so lange Unterbrechung nicht her, ist die Einschätzung des beauftragten Gutachters Urs Kramer, Professor für öffentliches Recht an der Universität Passau. Die Bahn müsse ein Stilllegungsverfahren beantragen. Und solange das laufe, müsse der alte Anschluss an Stuttgart erhalten bleiben, erklärt Stefan Buhl.
Der Anschluss der Gäubahn an Stuttgart könnte auch direkte Folgen für Singen haben. Denn Gutachter der Schweizer Beratungsgesellschaft SMA haben im Frühjahr 2021 vorgeschlagen, Züge zwischen Stuttgart und Zürich nicht mehr am Innenstadtbahnhof Singen (Hohentwiel) halten zu lassen, sondern am Haltepunkt Landesgartenschau. Über die neu zu bauende Singener Kurve würden die Züge dann direkt in Richtung Schaffhausen weiterfahren. Der Halt in Böblingen würde nach diesem Gutachten übrigens komplett wegfallen.
Wer entscheidet, wo die Züge in Singen halten
Hintergrund ist eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Strecke, für die die Gutachter eine maximale Zeitersparnis erreichen wollten. Kritiker wie der Grünen-Bahnexperte Matthias Gastel sagten bereits früher, dass durch die Zeitersparnis der geschätzt etwa eine Milliarde Euro teure Tunnel zum Stuttgarter Flughafen in der Wirtschaftlichkeitsberechnung ausgeglichen werden soll – auch wenn man die gewonnenen Minuten für die Anschlüsse in Stuttgart und Zürich vielleicht gar nicht brauche.
Die Idee hat vor etwa einem Jahr für großes Aufsehen und deutliche Kritik gesorgt. Breiter Widerstand formierte sich, von Kommunal- bis Bundespolitik. Auch aus Sicht der Fahrgäste wäre der Wegfall des Innenstadthalts „völlig absurd“, sagt Stefan Buhl.
Eine rechtlich bindende Wirkung für den Bahnverkehr auf der Strecke habe das Gutachten allerdings nicht, heißt es aus dem Landesverkehrsministerium. Denn der Fernverkehr werde von der Deutschen Bahn oder anderen Unternehmen eigenwirtschaftlich betrieben. So stellt es auch das Bundesverkehrsministerium dar. Mit anderen Worten: Wo die Züge in Singen halten, liegt an demjenigen, der die Züge betreibt. Wie die Haltung der Deutschen Bahn dazu ist, hat das Unternehmen auf Anfrage bislang nicht mitgeteilt. Die Pressestelle hat aber Antworten in Aussicht gestellt.