Ulrike Blatter

Manchmal machte meine Oma etwas wirklich Tolles – und damit meine ich nicht ihren legendären Sonntagsbraten oder den weltbesten Schokoladenpudding. Ich meine etwas, das mich tröstete oder mir Mut machte. Sie war ein Teil dessen, was ich meine wunderbare Kindheit nenne. Wenn man ihr danken wollte, kam immer dieser eine Satz: „Dat is ne Schuld, die gibt sich weiter.“ Sie meinte aber weder die Schuld im christlichen Sinne noch die Schulden, die man bei der Bank hat. Am besten kann ich das Wort mit dem sperrigen Begriff „Generationenvertrag“ übersetzen.

Gratis, aber nicht umsonst

Ich sollte noch viele Jahre auf der Seite der Netto-Empfänger bleiben. Zum Beispiel gab es diese Lehrerin, die mir in ihrer Freizeit gratis Nachhilfe gab. Und sie sollte nicht die einzige bleiben, die mich unterstützte. Heute nennt man so etwas Mentoring und mittlerweile weiß ich auch, wie meine Oma das mit dem Weitergeben meinte. Ehrenamtliches Mentoring begleitet mein Leben schon lange und ich mache es zwar gratis, aber nicht umsonst. Wie man so schön sagt: Es kommt viel zurück.

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Damals: Ein Medizinstudent aus Afrika

Es gibt einen konkreten Anlass, warum ich gerade heute über Mentoring schreibe: Vor ziemlich genau fünf Jahren kontaktierte mich auf Facebook ein Medizinstudent aus einem nordafrikanischen Land. Normalerweise gehe ich auf solche Anfragen nicht ein, aber es war gut, dass ich ihm zuhörte. Er litt unter Korruption und Perspektivlosigkeit in seinem Land und stand kurz davor, im Schlauchboot übers Mittelmeer zu reisen.

Wir hielten den Kontakt, er beendete das Studium und begann als Arzt zu arbeiten. Die gesellschaftliche Situation wurde schlimmer und er entschloss sich zu gehen. Statt der Mittelmeerpassage wurde es zu einer jahrelangen Reise durch den bürokratischen Dschungel der Bundesrepublik – auch ich verzweifelte manchmal. Was uns half? Tolle Menschen, die sich Zeit für eine Beratung nahmen, ihn als Menschen behandelten.

Heute: Ein afrikanischer Arzt in Deutschland

Er hat die Wartezeit genutzt und sehr gut Deutsch gelernt. Der Start in Deutschland war holprig, aber mit Geduld und Humor meisterte er alle Hürden. Vor einigen Tagen hat er sein Examen bestanden und darf jetzt als Arzt in Deutschland arbeiten. Vor Kurzem hat er sich als freiwilliger Helfer für ärztliche Corona-Dienste gemeldet. Und er ruft regelmäßig meine Eltern an, die sich in diesen Zeiten manchmal langweilen. Ich glaube, er hat das Ding mit der „Schuld, die sich weitergibt“ auch verstanden.

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