Ulrike Blatter

Neulich vor der Bank. Ein vierschrötiger Kerl in dunkler Jacke zieht sich die Maske vors Gesicht, betritt mit flackerndem Blick die Schalterhalle und räuspert sich laut. Die wenigen Kunden verlassen fluchtartig das Gebäude.

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Nur eine niedliche, weißlockige Omi, die ein gehäkeltes Platzdeckchen zur Maske zweckentfremdet hat, füllt vollkommen unbeeindruckt mit zittriger Schrift ein Formular aus. Die Kassiererin, ebenfalls unmaskiert, lächelt herablassend. Hinter der Panzerglasscheibe fühlt sie sich sicher. Lässig bewegt sich ihr Finger zum Alarmknopf.

„Lass das!“, zischt der Kerl und schnappt sich die Omi. „Keine Polizei, sonst huste ich!“ – „Sie halten sich nicht an das Kontaktverbot“, zetert die alte Dame und windet sich in seiner Umarmung. „Ich gehöre doch zur Risikogruppe.“ Der Kerl schiebt eine Plastiktüte über den Tresen: „Alles was Sie griffbereit haben“, verlangt er. Die Kassiererin räuspert sich vernehmlich. „Und wehe, Sie husten auf die Scheine. Dann huste ich zurück.“ Mit raschem Griff reißt er der alten Dame das Spitzendeckchen vom zerknitterten Gesicht. „Ich habe Fieber!“ – „Erbarmen“, fleht sie mit einer Stimme, die noch zittriger ist als ihre Schrift. „Ich will noch nicht sterben.“ Widerspruchslos wird die Tüte gefüllt und wieder zurück über den Tresen. geschoben.

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„Die Omi kommt mit“, droht er. „Du gibst uns einen Vorsprung, sonst ...“ Der flehende Blick aus Seniorenaugen ist herzzerreißend, aber die junge Frau widerspricht: „Tut mir leid – aber hat sie nicht ihr Leben gelebt? Wo kämen wir denn hin, wenn alle Wirtschaftsinteressen dem Lebensrecht der älteren Generation untergeordnet werden?“ – Der Gangster tritt so nah an die Scheibe, dass sein Atemhauch dort einen feuchten Fleck hinterlässt: „Hast du denn gar kein Gewissen?“, zischt er. Dann zerrt er die Geisel nach draußen und direkt in die gegenüberliegende Apotheke. Kreischend, aber unter Wahrung des Sicherheitsabstandes, flüchten die Kunden.

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Zwei Minuten später, öffnet er galant die Beifahrertür eines zerbeulten Kleinwagens. Omi steigt ein. Er schleudert die Tüte mit dem Geld auf die Rückbank, zieht die Maske übers Gesicht und lässt den Motor an. „Das stinkt mir aber gewaltig, wenn wir in Zukunft nur auf diese Weise an deine Herzmedikamente rankommen“, schimpft er. – „Ich kann doch nichts für die Lieferengpässe und dass sie neuerdings alles zu Wucherpreisen verhökern“, gibt sie zurück. „Und zieh die Maske aus, Schatz. Hinterm Steuer ist sie verboten. Wenn wir in eine Polizeikontrolle geraten, gibt das nur Ärger.“