„Es waren nicht die Personen, sondern die Themen“, sagt Michael Hübner heute. Vor 37 Jahren schaffte er zusammen mit Peter Teubner und Imra Schubert als erste Grüne Fraktion den Sprung in den Singener Gemeinderat. Das Ergebnis der Kommunalwahl vom 9. November 1984 ist für ihn auch in der Rückschau noch immer eine Sensation. „40 Gemeinderäte mussten sich an uns gewöhnen“, erinnert er sich schmunzelnd. Was damals von den meisten Bürgern als Eintagsfliege betrachtet wurde, ist längst zur Normalität geworden. Heute zählen Bündnis 90/Die Grünen zu den etablierten Parteien. Doch die Anfänge in den 1980er Jahren waren alles andere als geschmeidig. Michael Hübner, damals noch Student, landete nicht nur im Stadtrat, sondern ergatterte außerdem noch einen Sitz im Kreistag.

Die Zeit war reif für Veränderungen. So auch bei Michael Hübner. Eigentlich kam der Singener aus der konservativen Ecke. Mit 14 war er der Jungen Union (JU) beigetreten; mit 19 hatte er das Parteibuch der CDU. Doch die Liebe dauerte nur ein Jahr an. „1983 hatte ich schon den Mitgliederausweis der Grünen“, erzählt. Was war geschehen? Irgendwie herrschte eine Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien. Helmut Schmidt (SPD) wurde 1982 in einem konstruktiven Misstrauensvotum abgewählt. Mit Helmut Kohl (CDU) an der Spitze als Kanzler vollzog sich ein Regierungswechsel. „Der Nato-Doppelbeschluss und die atomare Hochrüstung machten es schwierig für mich, in die SPD zu gehen“, erinnert sich Hübner. „Plötzlich klaffte eine Lücke in der Parteienlandschaft.“

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Aber die Grünen waren da und zogen mit ihrem Protest gegen die Atomkraft Menschen aus den unterschiedlichsten Richtungen an. „Ich wusste, wir müssen was ändern“, sagt Hübner. „Das war ein Lebensgefühl. Das war spannend.“ Heute betrachtet er die Entstehung und die Verankerung der Grünen in der Gesellschaft als eine der größten politischen Leistungen der deutschen Demokratie.

Auch an sein erstes Treffen mit den Gründern erinnert er sich noch gut: „Das war konspirativ in einem Hobbyraum.“ Frieder Eisele, Peter Teubner und Siegfried Lehmann waren damals dabei. Es ging darum, einen Umbau der Donau bei Tuttlingen zu verhindern, der im schlimmsten Fall zur Versickerung der Aach geführt hätte. „Damals sind wir mit 20 Leuten nach Stuttgart gefahren und haben eimerweise Aachkraut vor das Umweltministerium geworfen“, erzählt Hübner. Er war auch einer von 500 000 Friedensdemonstranten in der Bonner Rheinaue.

Michael Hübner ist stolz, dass die Ideen der Grünen 40 Jahre nach deren Gründung fest in den Köpfen der Bürger verankert sind. Die ...
Michael Hübner ist stolz, dass die Ideen der Grünen 40 Jahre nach deren Gründung fest in den Köpfen der Bürger verankert sind. Die Mietstation für Lastenfahrräder vor dem Singener Rathaus sind ein kleiner Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. | Bild: Trautmann, Gudrun

Demos, Aktionismus, Diskussionen: Das sei der typische Werdegang einer neuen Partei. 1984 in die Verantwortung gewählt, mussten die ersten Singener Grünen aber erkennen, dass sie ohne Allianzen und ohne mit den andern Parteien zu reden, wenig Durchsetzungskraft haben würden.

Welches sind die wichtigsten Projekte, die auf das Konto der Grünen in Singen gehen? Hübner will keine einzelnen Erfolge benennen. „Unsere größte Leistung ist, dass wir das Umweltthema im Denken der Menschen verankern konnten“, sagt er. „Die Umwelt ist kein Nischenthema mehr, sondern mitten in der Gesellschaft angekommen.“ Das macht er auch an der Verdoppelung der Sitze im Gemeinderat von ursprünglich drei auf sechs bei der letzten Kommunalwahl fest.

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Natürlich habe es auch Reibungsverluste gegeben. Menschen, denen die Umsetzung grüner Ideen zu langsam geht, hätten sich wieder von der Partei abgewandt. Auch die Diskussionsfreude der Grünen teilt nicht jeder. „Wir waren auf dem langen Marsch zur Akzeptanz unserer Grundthemen“, sagt Michael Hübner. Als junger Verwaltungsassessor bekam er Anfang der 1990er Jahre als kommunalpolitischer Berater in der Landesgeschäftsstelle der Grünen in Stuttgart eine Ahnung davon, dass der Partei eine längere Lebensdauer bevorstehen würde. Strukturen wurden geschaffen. Es sei interessant gewesen die Verzahnungen zu beobachten. Mit der neuen Partei sei auch die Wahlbeteiligung gestiegen. Gleichzeitig hätten die Grünen den Umgang mit Sachzwängen erlernen müssen. In ministerieller Verantwortung werde die Diskrepanz zwischen einem Parteiprogramm und dessen Umsetzung offensichtlich. „Diesen Spagat erleben wir gerade in der Landesregierung“, sagt Michael Hübner. „Ich habe aber trotzdem die Hoffnung, dass in Zukunft noch mehr grüne Inhalte transportiert werden.“ Das sagt der Fachmann aus der zentralen Verwaltung im Singener Rathaus nicht nur im Hinblick auf die Stadt, sondern vor allem mit Blick auf die Zukunft seines zehnjährigen Sohnes.