Vermeintlich ging es um Drogen, Rocker und eine Art Schutzgeld. Tatsächlich hatte der 24-jährige Angeklagte einfach die dumme Idee, einen 15-Jährigen um Geld zu erpressen. Das gestand der Mann mit diesem Wortlaut vor dem Singener Amtsgericht. Ihm wurde vorgeworfen, einen 15-Jährigen an einem Bahnhof bedroht und letztlich per Chatnachrichten zur Zahlung von 300 Euro genötigt zu haben. Dabei konnte der 24-jährige Mann wohl nicht ahnen, was er mit seinem Drohszenario auslöste: Nachdem er dem Jungen erzählt hatte, dass Rocker vor seiner Türe stehen könnten, war die Familie des Jungen in panischer Angst, wie der ermittelnde Kriminalkommissar schilderte: „Sonst würde man nie einen Hells Angel aus der Schweiz engagieren.“ Dieser sollte den Jungen schützen und habe ihn beispielsweise auf dem Schulweg begleitet.
15-Jähriger ein Drogendealer? Eher verkaufte er einmal Konzentrations-Tabletten
Es geschah im Februar dieses Jahres. Der Angeklagte war mit einem Freund unterwegs, als ihm an einem Bahnhof im Hegau zwei Jugendliche auffielen. Das 15-jährige spätere Opfer war einer davon. Der Angeklagte habe gedacht, dass der Jugendliche die Droge Ecstasy verkaufe, sagte er vor Gericht. Daher habe er ihn angesprochen: „Hör mal, da können Leute dran sterben“, habe er gesagt, „und du bist erst 15“. Später sei er dann auf die „blöde Idee mit dem Geld“ gekommen: Per Chatnachrichten forderte er Geld von dem Jungen.
Sonst stünden Rocker vor dem Haus der Familie
Das Drohszenario war abenteuerlich: Ein Mann sei nach dem Konsum von Ectasy, das der Junge verkauft habe, im Krankenhaus gelandet. Die Familie dieses Mannes suche nun nach den Verantwortlichen. Doch mit etwas Geld könne man das Problem lösen, versprach der Angeklagte seinem Opfer. 300 Euro würden genügen. Nach Verhandlungen mit dem großen Bruder des Opfers gab er sich sogar mit 100 Euro zufrieden – als erste Rate. Diese wurden wenig später übergeben. Dabei handelte der 15-Jährige gar nicht mit Drogen, wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft schilderte: Er habe ein Mal die Konzentrations-Tabletten seiner Mutter verkauft. „Ein Spitzbub“, wie der Kriminalkommissar es nannte.
Ans Licht kam die Erpressung zufällig im Rahmen einer anderen Ermittlung, berichtete der Kommissar. Der Vater des Opfers habe dann angerufen und von einer Erpressung gesprochen. Anhand einer Tätowierung konnte der Angeklagte rasch ermittelt werden, er gestand die Tat. Richterin Drechsel hoffte daher bei einer ersten Verhandlung im Juli, dass zwei Zeugen genügen würden. Die Jugendlichen sollten durch eine Aussage nicht belastet werden. Doch der Angeklagte widerrief sein Geständnis, weshalb der Termin scheiterte. Nun wurden sechs Zeugen geladen – und dann doch nur einer befragt.
Acht Vorstrafen, aber noch nie im Gefängnis: Jetzt wurde es eng
Der 24 Jahre alte Angeklagte merkte rasch, dass sich seine Hoffnung auf einen Freispruch oder zumindest eine Bewährungsstrafe kaum erfüllen würde: Verständigungsgespräche scheiterten wegen seiner Vorstrafen. Denn er hat bereits acht Einträge im Bundeszentralregister. Bei den ersten sechs Verhandlungen kam er laut Richterin Drechsel glimpflich davon, erst nach einer räuberischen Erpressung mit Körperverletzung sowie vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis mit Diebstahl wurde er jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Eine der Vorstrafen: Ohne Führerschein zu einem Einbruch gefahren
Zuletzt hatte der Angeklagte als Sicherheitskraft den Generalschlüssel eines Lebensmitteldiscounters genutzt, um Zigaretten und später auch zwei Saugroboter zu stehlen. Die 5,5 Monate Untersuchungshaft hätten ihn beeindruckt, sagte er nun in der Verhandlung. Nicht genug, befand die Richterin: Trotz mehrerer Warnschüsse sei er ja wieder straffällig geworden. Und daran gab es keinen Zweifel: „Man muss eigentlich nichts mehr sagen“, sagte die Richterin bereits nach dem Verlesen der Chatprotokolle, die eine Erpressung belegen. Daraufhin gestand der 24-Jährige und versicherte: „Es tut mir Leid.“ Der Kommissar fasste zusammen: „Wegen 100 Euro so ein Drama – das ist schon erstaunlich gewesen.“
Richterin: „Irgendwann ist Zahltag und der ist jetzt.“
Für eine weitere Bewährung ließ sich die Richterin nicht erweichen: „Irgendwann ist Zahltag und der ist jetzt.“ Deshalb verurteilte sie den Angeklagten zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Für den Angeklagten würden zwar einige Punkte sprechen: das Geständnis, die Reue, eine Therapie und die Aussicht auf eine Ausbildung als Schlosser. Doch er habe einen Minderjährigen erpresst und mit bleibenden Schäden die gesamte Familie in Angst versetzt, außerdem sei er einschlägig vorbestraft und habe mit „Mafia-Methoden“ seine Bewährung gebrochen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger kündigte vor der Verkündung bereits an, Berufung einlegen zu wollen: In der Hoffnung, dass der Angeklagte der nächsten Instanz am Landgericht weitere Belege für eine gute Zukunftsprognose präsentieren kann.