Spuckschutz ist bestellt, Abstandsmarken sind aufgeklebt und auch Desinfektionsmittel ist parat: Christoph Greuter ist vorbereitet. Der Inhaber von Buch Greuter will am Montag, 20. April, seine Buchhandlung wieder öffnen und damit einen Schritt zurück zur Normalität machen. Nicht zurück in eine Welt ohne Corona – es werden weiterhin Auflagen gelten, um eine Ausbreitung des Virus zu vermeiden. Es ist aber ein Schritt zurück in eine Welt, in der Menschen sich fern des Internets mit Lesestoff versorgen können. „Es gibt keinen Einzelhändler, der nicht gehofft hat, bald wieder aufzumachen“, sagt Greuter nach fast einem Monat Schließung. Noch fehlen aber klare Rahmenbedingungen für eine Wiedereröffnung, sagt Claudia Kessler-Franzen vom Standortmarketing-Verein Singen aktiv. Deshalb starten aktuell viele in Eigenregie, bis die Landesregierung die Details nennt.
Viele Fragen sind bis Donnerstagabend noch ungeklärt
„Es bedarf Einiges an Organisation“, sagt Kessler-Franzen angesichts der jüngsten Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Braucht es Absperrungen? Wird die Zahl der Menschen pro Quadratmeter begrenzt? Muss am Eingang Desinfektionsmittel bereitstehen? Das wisse im Moment noch keiner, sagt die Wirtschaftsförderin. Ziemlich klar ist: Geschäfte mit großen Flächen ab 800 Quadratmetern sollen geschlossen bleiben. Das Modehaus Zinser müsse geschlossen bleiben, wie es mitteilt. Obwohl gerade in größeren Geschäften mehr Platz sei, um Abstand zu halten, schreibt Zinser-Sprecher Christian Klemp. Entscheidend sei ihren Informationen zufolge die Größe laut Baurecht und da liege die Singener Filiale mit 5500 Quadratmetern deutlich darüber.
Großer Händler würde gern einen Bereich abgrenzen und diesen öffnen
Auch ein anderes großes Geschäft in Singens Fußgängerzone muss geschlossen bleiben, was beim Inhaber für Unmut sorgt. Er möchte nicht namentlich genannt werden, zeigt sich aber fassungslos: Ihnen allen stehe das Wasser bis zum Hals. Er hätte sich daher gewünscht, dass Geschäfte mit größeren Flächen wenigstens einen Teil davon, der kleiner ist als 800 Quadratmeter, nutzen dürfen. „Wir würden 800 Quadratmeter aufmachen und dort unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften unsere Herren- und Damenware anbieten.“ Claudia Kessler-Franzen erklärt: Produkte für Frühling und Sommer sind schon in den Geschäften und diejenigen für Herbst und Winter seien schon bestellt. Es sei grundsätzlich eine anspruchsvolle Situation, wenn die Geschäftsgrundlage entzogen werde.
Umsatz fehlt trotz einfallsreichen Online-Aktionen
Die vergangenen Wochen waren hart für Singens Händler, denn die Umsätze sind mit der Ladenschließung eingebrochen. Viele Betroffene erklären, dass die Gesundheit von Kunden und Mitarbeitern an oberster Stelle stehe. Doch die Umsatzeinbußen waren deutlich und konnten durch neue Angebote nicht ausgeglichen werden: Otto Schweizer vom Intersport Schweizer hat seinen Kunden beispielsweise per Telefon und Video eine Laufschuhberatung gegeben, wie er berichtet, und einen Abholservice eingerichtet. Auch der bestehende Online-Shop sei verstärkt gefragt – viele Menschen würden sich gerade jetzt kleine Fitnessgeräte kaufen, um zuhause Sport zu machen.
Auch Buch Greuter konnte mit seinem Online-Shop gerade vor Ostern viele Menschen mit einem Buch beglücken, sagt Inhaber Christoph Greuter. Telefonische Beratungen hätten dazu beigetragen, den Kontakt zu Kunden nicht zu verlieren. „Doch das konnte bei Weitem nicht auffangen, was wir normal an Umsatz gehabt hätten. Und ich kenne keinen, bei dem das so wäre.“
Lohnt sich das Öffnen unter diesen Umständen? Buch Greuter will es auf jeden Fall probieren
Der ein oder andere Einzelhändler wird nun rechnen, ob sich eine Ladenöffnung unter den gegebenen Umständen lohnt, vermutet Claudia Kessler-Franzen. Für Christoph Greuter allerdings war sofort klar, dass er wieder öffnen wird. Und das zu den gewohnten Öffnungszeiten: „Wir sind Montag ab 9 Uhr bereit.“ Wenn nur wenige Kunden seine Buchhandlung aufsuchen würden, werde er darauf reagieren.
Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler zeigt sich in einer Pressemitteilung zuversichtlich: „Wir hoffen, dass die Liefer- und Absatzketten für unsere kleinen und mittelständischen Betriebe, wie auch bei unseren Großbetrieben nicht abreißen beziehungsweise wieder in Schwung kommen, um deren wirtschaftliche Substanz und damit auch Arbeitsplätze zu erhalten.“
IG Singen Süd warnt vor Problemen mit Kinderbetreuung
Allerdings bleiben Kindertageseinrichtungen und Schulen bis Anfang Mai vorerst geschlossen und sollen dann schrittweise wieder aufgenommen werden. Laut Dirk Oehle von der IG Singen Süd könnte das zu einem Problem für Betriebe werden. Außerdem dürfen einige Geschäfte in der Südstadt voraussichtlich nicht öffnen, weil ihre Fläche zu groß ist – Autohäuser und Baumärkte ausgenommen. Allgemein begrüßt der Vorsitzende der Interessensgemeinschaft aber die Lockerungen: „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ Dass Angela Merkel angekündigt hat, dass Verantwortliche nun alle 14 Tage neu beraten, gebe außerdem einen Zeitrahmen für weitere Maßnahmen.
Der ein oder andere Selbstversuch ging schon schief: Friseur ist sehr gefragt
Önder Tekik ist ziemlich optimistisch. Nur wenige Minuten nach der Pressekonferenz am Mittwochnachmittag klingelte sein Telefon und die ersten Mails gingen ein. Alle wollten einen Termin bei ihm, nachdem eine Ladenöffnung ab 4. Mai in Aussicht gestellt wurde. Der Friseur hat sein Geschäft in der Enge Straße vor drei Wochen schließen müssen und wird von seinen Kunden seitdem schmerzlich vermisst, berichtet er: Die Haare werden vielen zu lang oder zu grau. Telefonisch habe er weiter beraten, wenn etwa die selbstgemachte Koloration schief ging, und Kunden auch mit dem Auto Farbe oder Produkte vor die Tür gestellt.

Doch einen Friseurbesuch könne das nicht ersetzen. Önder Tekik weiß noch nicht, wie genau er im Mai arbeiten wird: Normalerweise sind mindestens drei Friseure im Laden, künftig müssen sie vielleicht in Schichten arbeiten und so die Zahl der Menschen im Geschäft reduzieren. Deshalb geht er nicht davon aus, die bisherigen finanziellen Einbußen aufholen zu können. Auch um Schutzkleidung muss er sich kümmern – schon am Donnerstag habe er diverse Angebote dafür erhalten. „Das zu organisieren wird nochmal eine Aufgabe, aber wir sind froh, dass wir bald wieder arbeiten dürfen.“
Soforthilfe kam umgehend an
- Programm: Das Landesministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau hat ein Soforthilfeprogramm für in Not geratene gewerbliche Unternehmen, Sozialunternehmen und Angehörige Freier Berufe aufgelegt. Die Summe richtet sich nach der Zahl der Beschäftigten: Für bis zu fünf Beschäftigte gibt es 9000 Euro, wer bis zu zehn Mitarbeiter beschäftigt erhält 15 000 Euro und bei bis zu 50 Mitarbeitern sind es 30 000 Euro. Es handelt sich nicht um einen Kredit, sondern einen Zuschuss.
- Erfahrung: Auch Unternehmer aus dem Hegau haben das genutzt, Friseur Önder Tekik ist einer davon. „Von heute auf morgen zu schließen, war sehr hart“, sagt er, denn damit brach ein Großteil der Umsätze weg. Das Beantragen der Soforthilfe erlebte er einfacher als gedacht: Er habe ein siebenseitiges Formular ausgefüllt und an die Handwerkskammer geschickt, diese leitete es nach einer Plausibilitätsprüfung an die L-Bank weiter. Eine Woche, nachdem er das Formular versandte, und einen Tag, nachdem die Handwerkskammer ihm die Weiterleitung bestätigte, habe er das Geld bereits erhalten. Die Summe von 9000 Euro habe ihm zusammen mit einer Gutschein-Aktion finanziell sehr geholfen, sagt Tekik. Die Einbußen, die durch das Corona-Virus entstanden sind, könne das aber nicht ausgleichen.