Heidi Simon aus Singen und Alois Griß aus Rielasingen-Worblingen sind zwei unter Millionen von Menschen, die in Baden-Württemberg in diesen Tagen Post von ihrer Stadt, Gemeinde oder von ihrem Vermieter bekommen. Und sie gehören zu denjenigen, denen der Inhalt dieser Post nicht gefällt. Es geht um Grundsteuerbescheide. Simon und Griß müssen für die Grundstücke, auf denen ihre Wohnhäuser stehen, deutlich mehr Grundsteuer bezahlen als noch im vergangenen Jahr.

Verantwortlich dafür ist die Systematik der neuen Berechnung, die nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018 notwendig wurde und die sich in Baden-Württemberg nur auf die Grundstücksfläche bezieht. Vereinfacht gesagt, hat das die Folge, dass für Einfamilienhäuser mit großen Grundstücken mehr Grundsteuer anfällt, für Häuser mit kleinen Grundstücken und für Wohnblöcke aber eher weniger – und eine Modellrechnung der Stadt Singen vom Oktober 2024 hat auch gezeigt, dass Gewerbebetriebe in der Regel entlastet werden, und das mitunter massiv. Das Landesfinanzministerium verteidigt die Umstellung gegen Kritiker.

Große Grundstücke mit Nutzgarten

Wirklich sozial findet Heidi Simon die Neuberechnung trotzdem nicht: „Mein Gefühl ist: Es geht zulasten der Kleinen.“ Das Haus, in dem sie lebt, hätten ihre Eltern 1951 als Siedlungshaus gebaut, sie sei darin mit vier Geschwistern aufgewachsen. Der große Garten habe früher als Nutzgarten und für Nutztiere gedient, heute sei er eine grüne Lunge im städtischen Singener Süden, wie sie betont. Sie sei Mitglied im Siedlerbund. Und es leuchtet ihr nicht ein, warum sie statt 257 Euro nun 637 Euro Grundsteuer zahlen soll.

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Auch Alois Griß, ebenfalls Mitglied in der Siedlergemeinschaft, betont, dass er seinen Garten naturnah und tierfreundlich gestaltet habe. In seinen Augen gilt: „Wer einen großen Garten hat, hat das Problem.“ Für ihn steige die Grundsteuer von 160 auf 505 Euro im Jahr, erzählt Griß. Beide sagen unabhängig voneinander, dass die höhere Grundsteuer sie nicht umbringe. „Aber es wurmt mich halt“, sagt Heidi Simon.

Auch die Siedlergemeinschaft selbst ist von einer höheren Grundsteuer betroffen. Für das Vereinsgrundstück mit dem Siedlerheim in der Südstadt müsse der Verein die 6,3-fache Grundsteuer zahlen, so der Vorsitzende Christian Siebold. Und Thomas Mohr aus Singen berichtet, dass er für einen verpachteten Acker nun mehr als 1600 Euro im Jahr zahlen müsse, nach 220 Euro jährlich bisher. Und er ärgert sich darüber, dass die höhere Grundsteuer B fällig werde, weil das Gebiet im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche ausgewiesen ist.

Kommunen nehmen durch neue Grundsteuer nicht mehr ein

Dabei dürfen Gemeinden nicht einmal mehr einnehmen – sie müssen nur die neuen Berechnungsgrundlagen umsetzen, was teilweise zu massiven Verschiebungen führt. Die Stadt Singen etwa nimmt laut eigenen Berechnungen nun jährlich etwa 200.000 Euro weniger durch Grundsteuer ein als zuvor, obwohl der Gemeinderat den Hebesatz erhöht hat. Auch die Gemeinde Rielasingen-Worblingen bleibt aufkommensneutral und musste dafür den Hebesatz sogar senken.

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Bernhard Hertrich kennt einige Fälle, in denen die Grundsteuer stark gestiegen ist. Er ist Vorsitzender des Eigentümerverbandes Haus und Grund in Singen und hat einen guten Einblick in das, was Immobilienbesitzer bewegt. Er berichtet etwa von einem extremen Fall in der Nordstadt, in dem die Eigentümer das 13,5-Fache des bisherigen Grundsteuerwertes zahlen sollen.

Als Grundproblem sieht er aber, dass es mitunter Grundstücke mit zwei verschiedenen Bodenrichtwerten gebe, einem höheren für den bebauten Anteil und einem niedrigeren, der beispielsweise für sonstige private Flächen ausgewiesen ist. Der Gutachterausschuss für Singen und den Hegau, der die Bodenrichtwerte ermittelt hat, habe dann die Aufteilung der beiden Werte auf die Fläche des Grundstücks bescheinigt. Doch das Finanzamt Singen habe auf einem regelrechten – und teuren – Gutachten bestanden und den höheren Wert für das ganze Grundstück angesetzt.

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Brigitte Reck gehört ein solches Grundstück in der Singener Nordstadt. Sie werde nun beantragen, dass das Grundstück mit beiden Bodenrichtwerten neu bewertet wird – auch im Blick auf ihre Mieter, die sonst mehr Nebenkosten zahlen müssten. Der Weg sei allerdings umständlich, denn sie müsse beim Gutachterausschuss ein Gutachten für 600 Euro erstellen lassen. Hauseigentümerverband und Gutachterausschuss hätten ihr in der Sache indes sehr kompetent Auskunft gegeben, sagt Reck noch.

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Solveig Elze, Leiterin des Singener Finanzamts, erklärt den Hintergrund. Ein solches Gutachten sei nötig, wenn ein Flurstück in verschiedene Teilbereiche aufgeteilt werden soll: „Die Aufteilung beziehungsweise die Abgrenzung kann nur durch ein Gutachten erfolgen“, schreibt sie. Wenn es darum gehe, einen von mehreren Bodenrichtwerten für ein ganzes Flurstück festzulegen, genüge eine Bescheinigung des Gutachterausschusses.

Landesregierung argumentiert mit jahrzehntelang ungerechten Bewertungen

Hans-Peter Storz (SPD), der im Singener Gemeinderat und als Landtagsabgeordneter im Stuttgarter Landesparlament in der Opposition sitzt, hat deswegen schon gefordert, ein wertbasiertes Modell einzuführen, das auch Wert, Zustand und Alter der Bebauung berücksichtigt. Dass die Landesregierung das Berechnungsmodell ändert, ist jedoch nicht absehbar. Es gebe keinen Anlass, das Modell zu ändern, schreibt Sebastian Engelmann, Leiter Kommunikation beim Stuttgarter Finanzministerium.

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Über Jahrzehnte seien die Grundsteuerwerte nicht aktualisiert worden, obwohl es in dieser Zeit große Wertveränderungen gegeben habe. Und der Sprecher wird deutlich: „Einige Eigentümer haben daher seit Jahren zu Lasten der anderen Eigentümer von der bisherigen (verfassungswidrigen) Einheitsbewertung profitiert.“ Deutliche Sprünge könne es im Übrigen auch geben, wenn der Gebäudewert in die Berechnung der Grundsteuer einfließe.